«Würde mich jemand fragen, ob ich in vier Wochen einen Regenschirm brauche, die ehrliche Antwort wäre: Ich weiss es nicht.» Mit diesem Beispiel wollte Jürg Mäder (GLP/ZH) aufzeigen, dass Prognosen im Umgang mit der Corona-Pandemie nur «Wunschzettel an den Weihnachtsmann» seien. Selbst wenn es heute viel mehr Daten gebe als noch vor einem Jahr.
So werde das Tempo vom Virus vorgegeben. «Das Virus ist ein natürliches Problem und nicht ein politisches.» Der Kern der Massnahmen müsse also auch von der Natur bestimmt werden, sagte Mäder – zwei Tage vor dem bundesrätlichen Entscheid über mögliche Öffnungsschritte.
Kindern «wird Schuld-Rucksack angehängt»
«Es geht hier um mehr als um Wetterprognosen», entgegnete Roland Rino Büchel (SVP/SG). Es gehe ums Klima, das sei längerfristig. «Wir müssen uns darum kümmern, was wir jetzt anrichten, was der Bundesrat anrichtet», sagte Büchel. «Wir nehmen den Kindern nicht nur die Perspektiven und einen Teil ihrer Kindheit, wir hängen ihnen noch einen Rucksack voller Schulden an.» Die SVP fordert grundsätzlich eine schnelle Aufhebung der Einschränkungen.
In dieser Session sei nur geredet worden – gehandelt oder das Heft in die Hand genommen habe das Parlament nicht. «Gehört wurden wir vom Bundesrat auch nicht», dieser regiere alleine, sagte Büchel. «Haben wir eigentlich vergessen, dass die Kantone zuständig sind?»
Glättli fragt: «Können wir Corona?»
Die Fraktion der Grünen störte sich derweil weniger an der Aufgabenteilung als am Gemeinschaftssinn. Vor einem Jahr habe der Bundesrat gesagt, «wir können Corona», sagte Grünen-Präsident Balthasar Glättli (ZH). «Können wir Corona?», stellte Glättli nun die Frage in den Raum. Die Antwort der Grünen lautet «Nein». Es mangle nicht nur am Können, «es mangelt auch am Wir», meinte er.
Aus dieser Krise käme die Schweiz nur «gemeinsam» wieder raus: Solange nicht alle, die es wollten, geimpft seien, sei ein Öffnen im Blindflug nicht angebracht, sagt Glättli. Es gelte, angesichts einer dritten Welle den Fehler vom vergangenen Jahr nicht ein zweites Mal zu machen. Da sei der Sommer nicht für Vorbereitungen genutzt worden.
Öffnungen: Jojo-Effekt verhindern
Gesundheitsminister Alain Berset sagte auch im Rat, dass eine dritte Welle tatsächlich möglich sei. Es sei noch unklar, ob die dritte Welle stärker sein werde und länger dauern werde als die zweite, oder ob die Situation unter Kontrolle gehalten werden könne. «Wir wissen aber, dass es immer noch gefährlich ist, die Kontrolle zu verlieren», sagte er.
Betreffend Öffnungen sehe es derzeit nicht gut aus. Drei von vier Kriterien seien nicht erfüllt, erinnerte er. Ohnehin sei die Situation im Moment schwierig – erst gehe es in eine gute Richtung, dann tauche plötzlich wieder etwas Unerwartetes auf. In den Nachbarländer seien viele Länder wieder am Schliessen. «Wir wollen jetzt nicht öffnen und dann wieder schliessen müssen», sagte Berset.
«Güetzi»-Vergleich bei Impfstoffverteilung
Thematisiert wurden in der Debatte auch die Impfungen. Der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina zog für sein Anliegen eine «Güetzi»-Methapher hinzu. Seine Grossmutter habe ein gutes «Güetzi»-Rezept gehabt. Als sie nicht mehr selber backen konnte, habe sie den Zettel Molinas Mutter weitergegeben. «Meine Grossmutter war eine kluge Frau», sagte Molina.
Weniger klug seien hingegen die Pharma-Firmen. Diese würden das Rezept – die Patenten – für die Impfstoffe nicht weitergeben. So würden sie verhindern, dass andere den Impfstoff produzieren könnten. Es gebe immer noch 130 Staaten, die keine einzige Dosis des Impfstoffes zur Verfügung hätten. «Als gäbe es heute etwas wichtigeres, als die Populationen auf diesem Planeten zu impfen», sagte Molina.
Impf-Nachweis in Erarbeitung
Im Zusammenhang mit dem Impfen forderte die Mitte-Fraktion einen gesamtschweizerischen Impfausweis. Ein solcher sei nötig, damit die Einschränkungen aufgehoben werden können und das Reisen wieder möglich sei, sagte Ruth Humbel (CVP/AG). In der EU werde noch in diesem Monat ein Impfpass vorgelegt. Innerhalb der nächsten drei Monate soll er definitiv eingeführt werden, sagte Humbel.
Es werde auch in der Schweiz eine gesetzliche Grundlage geschaffen, sagte Berset. Es gebe gute Perspektiven, dass in den nächsten Monaten etwas bereit sei. Das Ganze müsse aber auf internationaler Ebene abgesprochen werden, und sei deshalb eine Herausforderung. Die Frage, ob man dafür nicht die Swisscovid-App ausbauen könnte, verneinte Berset.
Keine ungesitteten Angriffe
Insgesamt musste der Gesundheitsminister zwar viele Fragen insbesondere seitens der SVP-Fraktion beantworten. Die Debatte verlief aber grösstenteils ruhig und gesittet.
Auf giftige Schuldzuweisungen oder harte Angriffe wurde verzichtet. In vergangenen Corona-Debatten in de laufenden Session war dies auch schon anders. (sda og)