Für das Bahnland Schweiz ist der heutige Dienstag, 9. August, ein historischer Tag: Vor 175 Jahren nahm die erste Bahnlinie, die «Spanisch-Brötli-Bahn» von Baden AG nach Zürich, ihren fahrplanmässigen Betrieb auf. Zum Jubiläum fährt der Dampfzug mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga am Dienstagnachmittag von Baden nach Zürich. Mit dabei in den Holzbahnwagen sind auch Mitglieder des Bundesparlaments und die Präsidentinnen der Kantonsparlamente Aargau und Zürich sowie Gäste.
Bei der Lokomotive der «Spanisch-Brötli-Bahn» der früheren Schweizerischen Nordbahn handelt es sich um einen originalgetreuen Nachbau. Das zum 100-Jahr-Jubiläum 1947 erbaute Replikat ist im Besitz der Stiftung SBB Historic in Brugg.
Die beiden ersten Lokomotiven der «Spanisch-Brötli-Bahn» waren in Karlsruhe (D) bestellt worden. Die trugen die Namen «Limmat» und «Aare». Die Originalloks verkehrten 19 Jahre lang bis 1866. Dann wurden sie in Rangier-Tenderlokomotiven umgebaut. Die Lokomotive «Aare» wurde 1868, die «Limmat» 1882 abgebrochen. Auf die Hundertjahrfeier 1947 (siehe Bild) wurde ein Nachbau der «Limmat» erstellt. Zum 150-Jahr-Jubiläum gab es 1997 Fahrten mit der 11,6 Meter langen und bis zu 40 km/h schnellen Lokomotive.
Vier Fahrten pro Tag
Die «Spanisch-Brötli-Bahn» startete den ordentlichen Betrieb am 9. August 1847 mit vier Fahrten pro Tag. Die Züge brauchten für die 23 Kilometer lange Strecke ohne Halt 33 Minuten. Eine Fahrt in der dritten Klasse kostete 80 Rappen (vier Stundenlöhne). Wer sich die erste Klasse leistete, bezahlte das Doppelte. Die Bahnverbindung war nicht rentabel.
Die erste Schweizer Bahnlinie wurde in nur 16 Monaten erstellt, mitsamt Brücken und Bahnhöfen. Die dabei benötigte, fünf Meter lange Schäflibachbrücke bei Dietikon ZH ist heute die älteste noch in Betrieb stehende Eisenbahnbrücke der Schweiz.
Die wichtigsten Fragen zum historischen Jubiläumsanlass:
Was wird gefeiert?
Vor genau 175 Jahren nahm erstmals ein Schweizer Zug fahrplanmässig seinen Betrieb auf: die sogenannte «Spanisch-Brötli-Bahn», die zwischen Baden AG und Zürich verkehrte. Betrieben wurde die Verbindung von der damaligen Nordbahn. Die Züge brauchten für die 23 Kilometer lange Strecke ohne Halt 33 Minuten. Heute dauert die Fahrt ohne Halt 15 Minuten.
Was hat es mit den «Spanischen Brötchen» auf sich?
Es handelt sich um ein viereckiges Blätterteiggebäck, das von Zürcher Kurgästen in den Thermalbädern von Baden gerne schon zum Frühstück gegessen wurde. Im reformierten Zürich war es den Bäckern aber verboten, ein solches Luxusgebäck herzustellen, weshalb sich die Herrschaften die "Brötli" per Zug liefern liessen. Die Bediensteten mussten so keinen langen Fussmarsch mehr auf sich nehmen.
Wieso feiert man nicht die SBB?
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wurden erst im Jahr 1902 gegründet, nach einer Volksabstimmung im Jahr 1898. Bis dahin lag der Bau des Schienennetzes vollständig in der Hand von privaten Gesellschaften, die allerdings zunehmend in Schwierigkeiten gerieten. Viele Linien rentierten nicht, gingen Konkurs und Passagiere waren mit der Leistung unzufrieden. Per Volksabstimmung wurden die wichtigsten Privatbahnen schliesslich verstaatlicht und die SBB gegründet. Die Mehrheit der regionalen Bahnen blieb jedoch auch mit den SBB in privater Hand, respektive unter der Führung der jeweiligen Kantone.
War die Schweiz das erste Bahnland?
Obwohl in Europa niemand so lange im Zug sitzt wie die Schweizerinnen und Schweizer: Die Bahnpionierin ist das Land nicht.
Der Bau der Eisenbahn ging hierzulande erst spät los. Bereits im Jahr 1802, also 45 Jahre zuvor, fuhr in Grossbritannien eine erste Dampflok. 1825 verkehrte ebenfalls in Grossbritannien ein erster öffentlicher Eisenbahnzug. Als in der Schweiz die ersten Linien eröffnet wurden, gab es solche bereits in fast allen europäischen Ländern.
Was waren die Schwierigkeiten beim Bahnbau?
Neben natürlichen Erschwernissen, Stichwort Berge, waren es vor allem die politischen Strukturen des Staatenbundes, die der Bahn den Weg versperrten. Vereinfacht gesagt: Die Kantone wurden sich nicht einig. Hinderlich waren von Anfang an die verschiedenen Interessen zwischen den Wirtschaftszentren Basel und Zürich.
Während Basel eine Verbindung zum Mittelland wollte, suchte Zürich vor allem eine Verbindung über Basel ins Ausland. Der Bahnboom setzte erst 1854 ein, als die Eisenbahn privaten Investoren überlassen wurde, allerdings mit den Folgen, die 1898 zur Verstaatlichung führten.
Was zeichnet die Schweizer Bahnen aus?
Die Schweizer Bahngeschichte ist reich an Meisterleistungen. Die Eröffnung des Gotthard-Tunnels 1882 veränderte die europäische Verkehrslandschaft. Der Jahrhundertbau sicherte der Schweiz die Position als führendes Transitland zwischen Nord- und Südeuropa. Es folgten der Simplon- und der Lötschbergtunnel. Gut 100 Jahre später sind die noch tiefer in den Berg gegrabenen Basistunnels am Gotthard und am Lötschberg sowie beim Ceneri die Nachfolger für das 21. Jahrhundert. Die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) ist damit vollendet. Auch bei der Elektrifizierung der Bahnen ab 1918 war kein Land so rasch und gründlich wie die Schweiz. Und der 1982 eingeführte Taktfahrplan (Motto damals: "Jede Stunde ein Zug") war als flächendeckendes Konzept in Europa einzigartig. Und bis heute hat kaum ein Land ein derart dichtes Bahnnetz wie die Schweiz.
Was trübt die Feierlaune?
Die Bahnen mussten während der Corona-Pandemie einen noch nie dagewesenen Fahrgastschwund hinnehmen. Für die Branche sei es wichtig, nun das Vertrauen der Kundinnen und Kunden zurückzugewinnen, damit diese rasch wieder den öffentlichen Verkehr als Transportmittel benützten, sagte jüngst Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr. Und bereits bahnt sich die nächste Krise an: Die mögliche Strommangellage im Winter bedroht auch die energieintensive Mobilitätsbranche. Diese wälzt derzeit Pläne für den Notfall. (sda/cl)