Nicole Brändle Schlegel ist Leiterin Arbeit, Bildung, Politik bei HotellerieSuisse.
Vor der Sommerpause nehmen die verschiedenen Nein-Kampagnen zur Kündigungsinitiative wieder Fahrt auf. Während Bundesrätin Karin Keller-Sutter in vereinter Front mit Arbeitgeberverband und Gewerkschaftsbund die Wiederaufnahme des Abstimmungskampfs markiert, folgt kurz darauf der Startschuss des überparteilichen Komitees. Wie geeinigt die Parteien gegen die schädliche SVP-Initiative auftreten, hat Seltenheitswert. Ebenso rar ist es, dass die Tourismusbranche gemeinsam und aktiv mit einem Komitee gegen eine nationale Volksinitiative mobilisiert. Dies zeigt eindrücklich, dass Parteien, Verbände und Organisationen sechs Jahre nach der Niederlage bei der Masseneinwanderungsinitiative gelernt haben, solch brandgefährliche Anliegen ernst zu nehmen.
Für den Schweizer Tourismus würde sich eine Kündigung der bilateralen Verträge direkt auf die Auslandnachfrage auswirken, die wegen der Krise ohnehin stark unter Druck ist. Durch lange Staus an den Grenzen und mühsame Passkontrollen würden ausländische Gäste vermehrt auf einen Besuch in der Schweiz verzichten. Wer will schon Wartezeiten und Mehrkosten auf sich nehmen bei seinem Europatrip? Hinzu kommt, dass der vereinfachte Zugang zu preisgünstigen Produkten erschwert würde, was die Hochpreisinsel Schweiz weiter befeuern würde.
Nicht zuletzt sind europäische Arbeitskräfte für das Gastgewerbe von überdurchschnittlicher Bedeutung. Trotz eigenen Sensibilisierungs- und Fördermassnahmen der Beherbergungsbranche kann dem Fachkräftemangel nicht ohne Einbezug europäischer Arbeitskräfte wirksam begegnet werden. Selbst wenn momentan aufgrund der aktuellen Krise der Fachkräftemangel weniger akut erscheinen mag, wird sich dieser wieder verschärfen, sobald sich der Tourismus erholt.
Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, dass die Reisefreiheit, welche heute in Europa herrscht, keine Selbstverständlichkeit ist. Die Schliessung der Grenzen mutete surreal an, und doch hat die Krise auch gezeigt, wie flexibel das heutige System im Notfall reagieren kann. Auch ich musste meine geplanten Familienferien auf Mallorca verschieben. Genauso wie unzählige Gäste aus dem Ausland ihren geschäftlichen oder privaten Aufenthalt in der Schweiz vorerst gestrichen haben. Unbeschwertes Reisen ist ein kostbares Gut, zu dem wir Sorge tragen müssen.
Nie waren stabile Beziehungen zur EU für den Schweizer Tourismus überlebenswichtiger. Durch die coronabedingte Negativentwicklung im internationalen Geschäfts- und Leisuretourismus muss das Image der Schweiz als internationale Reisedestination gerade jetzt gestärkt werden, damit der Tourismus wieder auf die Beine kommt. Ein Verlust der Schengen-Visum-Bestimmungen würde für den Tourismus gemäss einer Studie des Bundes zu jährlichen Umsatzeinbussen von bis zu einer halben Milliarde Franken führen. Dies wäre für unzählige Betriebe in der aktuellen Situation der Todesstoss. Das gilt es unbedingt zu verhindern.
Für die Tourismusbranche ist es überlebenswichtig, dass unser Reiseland Schweiz weiterhin von Gästen aus Nah und Fern entdeckt wird. Dafür sorgen die bilateralen Verträge. Sie bieten die Rahmenbedingungen, damit der Schweizer Tourismus einfach zugänglich und vernetzt bleibt. Damit werden Tausende von Arbeitsplätzen in der Schweiz gesichert. Am 27. September steht für uns viel auf dem Spiel. Um die Personenfreizügigkeit und die Schengen-Mitgliedschaft nicht zu gefährden, lehnt die Tourismusbranche die Kündigungsinitiative entschieden ab.