Gastkommentar von Jürg Schmid
In Touristikerkreisen wird oft gewerweisst, ob Nachhaltigkeit auch mehr Gäste bringt oder nur als die neue Selbstverständlichkeit angesehen werden muss. Einfach gefragt: Muss man einfach oder bringt es auch etwas? Zur Beantwortung dieser Frage lohnt sich ein Blick über die Landesgrenzen – genauer auf die Ostfriesischen Inseln im hohen Norden Deutschlands. [IMG 1]
Die sieben Inseln sind 126 km2 gross und zählen etwas mehr als 17 000 Einwohner. Ihr Asset? Eine raue Nordsee, das Wattenmeer und viele freundliche Insulaner. Der wertschöpfungsstarke Tourismus beglückt. 5.7 Millionen Logiernächte generieren die Inseln. Und jedes Jahr wird ein neuer Logiernächterekord verzeichnet. Das sind mehr Hotelübernachtungen als unsere grössten Tourismusregionen verzeichnen. Klar, bei uns kommen noch die Parahotellerie und die Zweitwohnungen dazu. Aber dennoch ziemlich beeindruckend. Dass immer mehr Schweizer in den hohen Norden reisen, rechtfertigt eine vertieftere Betrachtung. Haben die ostfriesischen Insulaner die magische touristische Zauberformel gefunden? Sie heisst konsequenter Fokus auf Nachhaltigkeit. Geniessen ohne schlechtes Gewissen.
So richtig begann es vor zehn Jahren mit der Ernennung des Wattenmeers zum Unesco-Weltnaturerbe. Seither dreht sich alles um die Nachhaltigkeit. Das Ziel? Im 2030 sind die Inseln plastikfrei, CO2-neutral und emissionslos. Jede Insel verfolgt ihre eigene Strategie, aber alle zahlen auf das gemeinsame Ziel ein. Alles beginnt mit der Anreise der Gäste. Sie generiert 43 Prozent des ungeliebten CO2. Über alle Kanäle werden die Gäste angehalten, mit der Bahn anzureisen. Einzelne touristische Akteure gewähren sogar einen Preisnachlass. Die Fähren auf die Inseln rüsten auf Flüssiggas und somit auf einen umweltfreundlichen Antrieb um. Fünf der sieben Inseln sind autofrei respektive transportieren mit Elektrofahrzeugen. Die Insel Juist setzt sogar auf natürliche Pferdestärken und organisiert die ganze Müllabfuhr über Pferdefuhrwerke. Auch einfachere Massnahmen finden positive Resonanz. Die meisten Inseln haben ein Pfandbechersystem für den «Coffee to go», einen Veggie-Tag eingeführt oder sich als Fairtrade-Insel zertifizieren lassen.
Die Inselgemeinden tun sich als wahre Pioniere in der Energiegewinnung und -versorgung hervor. Sie sind aktiv in zahlreichen Forschungsprojekten dabei zur Nutzung der reichlich vorhandenen natürlichen Energien wie Sonne, Wind und Wasser. Mittlerweile wurden die Ostfriesischen Inseln für ihre konsequente Nachhaltigkeitspolitik schon mehrfach ausgezeichnet. Tue konsequent Gutes und rede kontinuierlich darüber – das scheint ihre Zauberformel zu sein. Und es scheint bewiesen: Nachhaltigkeit bringt touristische Wertschöpfung.