Als Präsident der Volksschulgemeinde Münchwilen TG war Thomas Wyser für rund 100 Mitarbeitende verantwortlich. Zuvor hatte er während Jahren bei der Bank Firmen und Privatkunden beraten.
Vor wenigen Tagen hat der frühere Banker und Schuldirektor eine neue Ausbildung begonnen. Im Rahmen eines HotellerieSuisse-Quereinsteiger-Pilotprojekts lässt sich der 58-Jährige während eines Jahrs zum Réception-Angestellten ausbilden. «Ich wollte unbedingt wieder mit Menschen zu tun haben und meine Französisch- und Englischkenntnisse einsetzen», sagt Wyser. «Und ich wollte etwas machen, woran ich Freude habe, und das ist nun zu 100 Prozent erfüllt.»
Nur «junge und dynamische» Banker gefragt
Nach den vier Jahren als Schuldirektor habe er zunächst gedacht, dass er in den Bankenbereich zurückkehren werde, wo er während 30 Jahren tätig gewesen war. Doch das erwies sich als umöglich. «Man sagte mir direkt, dass man junge und dynamische Banker wolle», sagt Wyser. Angestellte über 45 seien zu alt für die Branche.
Dank seiner kaufmännischen Kenntnisse werde er sich in seiner neuen Tätigkeit schnell zurechtfinden. «Meine Finanzkenntnisse werden sicher nicht brachliegen.» Und seine Erfahrungen in der Kundenberatung könne er nun von Beginn weg im Dienst an der Réception einbringen.
Schüler der Réceptionisten-Klasse zwischen 23 und 62
Während des einjährigen Quereinsteigerlehrgangs drückt Wyser nun zusammen mit den anderen Réception-Quereinsteigenden einmal wöchentlich die Schulbank, abwechslungsweise in Passugg und online. Das Alterssprektrum reiche von 23 bis 62, die Teilnehmenden hätten sehr interessante Lebensläufe.
Den branchenspezifischen Arbeitsbedingungen blickt Wyser gelassen entgegen. Bei den Dienstplänen habe er ein grosses Mitspracherecht. Sein 60-Prozent-Pensum lasse ihm genügend Zeit, sich weiterhin sportlich zu betätigen, etwa Golf zu spielen.
Ansturm auf das Quereinsteiger-Programm
Laut Lukas Gasser von HotellerieSuisse, der das Projekt koordiniert, haben sich zunächst über 550 Tielnehmende für die beiden Lehrgänge Réception und Küche beworben. Dabei sei das Interesse für den Réception-Lehrgang deutlich höher gewesen als für die Küche. «Als 550 Anmeldungen erreicht waren, haben wir keine weiteren Dossiers entgegengenommen, da dies unsere Kapazität für den Pilotlauf überstiegen hätte», sagt Gasser.[IMG 2]
Von den bis dahin eingetroffenen Bewerbungen seien nach dem ersten Anforderungscheck rund 150 Dossiers übrig geblieben. Nach dem Bewerbungsprozess hätten sich die Hotels für vier Quereinsteigende in der Küche und fünfzehn für die Réception entschieden. Weitere fünf Teilnehmende werden laut Gasser demnächst zur Réception-Klasse dazustossen. «Die letzten Gespräche zwischen Hotels und Quereinsteigenden stehen noch aus.»
Derzeit sei offen, ob und wie das im Raum Zürich gestartete Pilotprojekt gegebenenfalls national ausgedehnt werde.
Gastrobetriebe zögern
Wie sich zeigte, war es weit einfacher, Quereinsteigende zu finden als Hotelbetriebe, die diese beschäftigen wollen. Ohne zu zögern stieg allerdings die Marina Lachen im Kanton Schwyz ins Pilotprojekt ein – seit kurzem lernt und arbeitet dort eine Quereinsteigerin in der Küche. Geschäftsführerin Bettina Römer ist Vorstandsmitglied der Zürcher Hoteliers und entwickelte das Projekt selbst mit. Sie sagt auf Anfrage: «Wir haben seit Jahren Mühe, qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Ich bin daher der Auffassung, dass wir unbedingt etwas tun müssen, um qualifizierte Arbeitnehmende für den Einstieg in die Branche zu gewinnen.» Für die Zurückhaltung seitens der Hoteliers findet Römer naheliegende Gründe: «Die Quereinsteigenden sind erwachsen und erhalten einen Lohn in der Höhe der ungelernten Mitarbeitenden. Für dieses Geld könnte ein Betrieb auch einen Hilfskoch anstellen, der bereits Berufserfahrung hat.» Und es liege wohl in der Natur der Menschen, dass man zuerst einmal abwarte und beobachte.
Motiviert und mit viel Lebenserfahrung
Aus Römers Sicht ist es jedenfalls lohnenswert, Quereinsteigende zu beschäftigen. «Ihre Motivation ist überdurchschnittlich. Und sie bringen einen anderen Blickwinkel, eine Aussen- und Gästesicht, mit, das ist eine Win-win-Situation.» Auch dass sie Lebenserfahrung mitbrächten, sei positiv.
«Es ist wichtig, dass wir diese Gelegenheit beim Schopf packen, sich Betriebe engagieren und damit längerfristig in einen Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels investieren.»
Mit diesem Appell rennt sie beim Sorell Hotel Sonnental in Dübendorf offene Türen ein:
Das zur ZFV-Genossenschaft gehörende Hotel ist Ex-Banker Wysers neuer Arbeitsort. Gemäss Chief Human Resources Officer Angela Tauro unterstützt der ZFV das Quereinsteiger-Pilotprojekt zurzeit mit insgesamt drei Ausbildungsplätzen. «Gerade jetzt, wo pandemiebedingt nochmals viele der Branche den Rücken gekehrt haben, können wir den Fachkräftemangel aktiv angehen, indem wir uns für Quer- sowie Wiedereinsteigende allen Alters öffnen», sagt Tauro.
Quereinsteiger-Projekt «vielversprechender Ansatz»
Zwar sieht sie Herausforderungen: Quereinsteigende stünden mitten im Leben und brächten bestehende Verpflichtungen mit sich. «Es braucht beidseitig etwas Flexibilität bezüglich Pensen, Arbeitszeiten oder Einsätzen, beispielsweise an Sonn- und Feiertagen.»
Dennoch sei die Rekrutierung von Quereinsteigenden ein vielversprechender Ansatz. Denn es seien erfahrene Personen, die sich vielleicht gerade bewusst für einen Wechsel in die Hotellerie und Gastronomie entschieden hätten, da ihnen die Vielseitigkeit und der direkte Gästekontakt zusagten. Sie hätten einen frischen Blick oder eine etwas andere Perspektive und könnten wertvolle Inputs geben. «Grundlegend für uns ist jedoch, dass sie in erster Linie Leidenschaft für unsere interessante und vielseitige Branche mitbringen.»