Yvette Thüring, nach diversen Engagements als GM in Hotels im Ausland haben Sie, mittlerweile im Pensionsalter, drei Jahre lang das ramponierte Le Mirador Resort & Spa in Le Mont-Pèlerin in eine bessere Zukunft geführt. Sind Sie ein Workaholic?
Arbeit hat mir immer Freude gemacht. Sie ist auch mein Hobby, darum kann ich nicht aufhören zu arbeiten. Und Golf spielen reizt mich nicht.
Sie haben also keine Mühe, die Work-Life-Balance zu finden?
Nein. Ich bin überzeugt, dass erfüllte Freizeit nicht von der Quantität abhängt. Es sind die speziellen Momente, mit dem Partner, mit den Freunden, die das Leben wertvoll machen. Leider habe ich es nie geschafft, mehr Zeit für die Fitness zu investieren. Aber das war nur eine Frage der fehlenden Selbstdisziplin.
Je grösser die Herausforderung, desto spannender wird es für Sie?
Das kann man tatsächlich so sagen. Ich bin nicht für Routinearbeiten geschaffen. Taucht ein grösseres Problem auf, sorgt das bei mir für einen Adrenalinschub. Es ist mein Anspruch an mich selbst, für alles eine Lösung zu finden.
Yvette Thüring hat sich nach Abschluss des Handelsdiploms in der Hotellerie hochgearbeitet und zahlreiche Häuser im In- und Ausland geleitet, darunter das Swissôtel Le Plaza in Basel, das Raffles Browns in London oder das Presidente InterContinental in Mexiko-City. Bevor die Baslerin 2014 die Stelle als Leiterin Administration beim Basel Tatoo Musikfestival antrat, eröffnete sie in Dresden erfolgreich das Swissôtel Am Schloss. Zuletzt sanierte die unermüdliche Schafferin während dreier Jahre das sich heute in chinesischem Besitz befindende Le Mirador Resort &Spa in Le Mont-Pèlerin. Derzeit promotet Yvette Thüring die Springkonkurrenz Longines CSI Basel, wo sie zusammen mit ihrem Ehemann auch lebt.
Holen Sie sich Unterstützung, oder sind Sie die Einzelkämpferin?
Ich binde natürlich die Leute mit ein, die es in der jeweiligen Situation braucht. Da fällt mir kein Stein aus der Krone. Aber ich übernehme die Verantwortung.
Der Job wird immer komplexer, das digitale Zeitalter schafft andauernd neue Herausforderungen, Beschwerden auf Bewertungsplattformen sorgen für zusätzlichen Stress. Ist der Hotelier heute überfordert?
Das ist eine Organisationsfrage. Ja, man kann nicht mehr alles bis ins Detail selber kompetent erledigen. Also muss man abgeben können, delegieren. Chefsache sind für mich allerdings Beschwerden, wobei ich lieber von Gästeanliegen spreche. Dabei geht es nicht darum, alles selber zu behandeln und zu entscheiden, und es ist auch nicht mangelndes Vertrauen in die Mitarbeitenden. Aber ich will in Kenntnis gesetzt werden. Nur schon, damit ich den betreffenden Gast darauf ansprechen kann, wenn ich ihn beim Morgenessen oder beim Check-out sehe. Vor allem aber geht es um die Frage, ob und wie man Prozesse verbessern kann und muss.
Eine weitere Herausforderung ist der Fachkräftemangel.
Ein schwieriges Thema. Wir reden ständig über qualifizierte Arbeitskräfte, aber was ist mit den anderen, die es auch braucht? Ich sage immer, einen guten Küchenchef zu finden, das geht ja noch, aber wer will heute Commis sein? Oder was ist mit der Reinigung? Da wird dann outgesourct. Das heisst, wir Hoteliers lagern ein Problem aus, wollen dann auch möglichst wenig zahlen. Das bedaure ich. Es ist mir ein Anliegen und ich möchte auch aktiv mithelfen, die Wertschätzung für Office-Burschen und Zimmermädchen zu verbessern. Wir müssen ernsthaft an den Arbeitsbedingungen arbeiten, zum Beispiel bei den Arbeitszeiten. Vergessen wir nicht: Das sind Mitarbeitende, die für den Gast viel präsenter und damit wichtiger sind als der Direktor.
Sie sagten, einen guten Chefkoch finde man ja noch. Achtet man dann aber auch genügend auf die Sozialkompetenz der Kandidaten?
Sozialkompetenz war ja früher überhaupt kein Thema. Heute müssen wir emotionale Komponenten vermehrt berücksichtigen. Also verlangen wir vom Küchenchef, dass er liefert, dass er die Kosten im Griff hat, und dann soll er sich auch noch pädagogisch um den Nachwuchs kümmern. Das ist viel verlangt und geht infolge Zeitdruck oft wieder vergessen. Allerdings liegt es nicht nur an den Führungskräften. Ich musste erfahren, dass viele Junge heute weich in Wohlstand gebettet und nicht mehr konfliktfähig sind.
Wie stehen Sie zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer?
Das ist mir sehr wichtig. Offenheit und der Wille zur Veränderung sind keine Frage des Alters. Aber man muss ältere Arbeitskräfte dort einbinden, wo es Sinn macht. Im «Mirador» beschäftigten wir zum Beispiel einen Steinpilzasammler. Wir hatten weit und breit die frischesten und grössten Pilze im Angebot.
Sie führten grosse Häuser mit bis zu 660 Zimmern, aber auch kleinere Betriebe wie das «Le Mirador» mit 63 Zimmern und Suiten. Was fehlt noch im Portfolio?
(lacht) Ein kleines Boutique-Hotel in einem Land, wo das Personal gerne und zuverlässig arbeitet, weil es den Arbeitsplatz nicht verlieren möchte. Im Ernst: Mir fehlt nichts im Portfolio. Schon als ich 2014 das Swissôtel Dresden verliess, das ich drei Jahre zuvor eröffnet hatte, dachte ich, dies sei für mich der krönende Abschluss. Wir waren dort ja wirklich sehr erfolgreich, zwei Jahre lang die Nummer eins auf Tripadvisor. Und dann zeigte man mir das «Le Mirador». Ich sah, in welch schlechtem Zustand es sich befand, und stieg wieder ein.
Um in diesem Jahr überraschend zurückzutreten. Warum?
Das war nicht überraschend. Ich sagte dem chinesischen Besitzer seit geraumer Zeit, dass drei Jahre genug seien. Dabei spielte auch Selbstschutz mit. Ich kann nicht in einem Hotel auf einem Berg wohnen und in Frieden den freien Sonntag geniessen, wenn unten im Restaurant der Teufel los ist. Aber meine Ankündigungen wurden nicht ernst genommen. Man dachte sich wohl, ich würde letztendlich schon weitermachen.
Sie machen weiter, und zwar in Ihrer Heimatstadt Basel, wo Sie bereits Leiterin Administration beim Basel Tattoo Musikfestival waren. Jetzt promoten Sie den Longines CSI Basel, der Anfang 2020 zum 11. Mal stattfinden wird.
Der Longines CSI Basel ist mittlerweile weltweit eine bedeutende Springkonkurrenz. Für mich bedeutet dieses Engagement, wieder in Kontakt mit alten Bekannten zu kommen, denn ich ritt früher selbst und liebe die Pferdedressur.
Sie sagten einmal: Früher verkaufte ich Hotelzimmer, jetzt Tickets. Ist es dasselbe?
Es sind beidseits Emotionen, die man verkauft.
Worauf schauen Sie, wenn Sie als Gast ein Hotel betreten?
Ich schaue nicht, ich spüre mit allen Sinnen, ob ich willkommen bin oder nicht. Es ist einfach so: Der erste Eindruck entscheidet, und das hat nur begrenzt mit dem Sehen zu tun.
Der erste Eindruck im Zimmer?
Ich achte darauf, ob es gut riecht. Wohlgefühl hat mit Energie zu tun, mit positiver Energie. Unter das Bett schaue ich dagegen nicht. Wenn man nach Fehlern sucht, findet man immer etwas, das nicht perfekt ist. Das gilt auch beim Service. Stimmt die Haltung des Mitarbeitenden, sehe ich eher über Details hinweg. Schliesslich kann man auch in Perfektion ersticken. Entscheidend ist, dass wir Brücken bauen und uns mit Respekt begegnen.
Ihre Erfahrung im Hotelbusiness ist gross. Werden Sie oft um Rat gefragt?
Die Besitzer des «Mirador» haben mich oft um Rat gefragt. Aber sonst halte ich mich in dieser Hinsicht zurück.
Es läuft also nicht auf eine Beratungstätigkeit hinaus?
Wenn schon, interessieren mich Projekte, wo ich selbst Einfluss nehmen kann. Was ich hingegen gerne einmal machen würde, wäre Hotel-Sitting.
Wie geht das?
So wie Hunde- oder Baby-Sitting. Hoteliers mit einem kleinen Betrieb können ja selten gemeinsam Ferien machen. Vielleicht sind sie froh um jemanden, der nichts verändert und sich nicht einmischt, aber als Vertrauensperson für Mitarbeitende und Gäste das Funktionieren des Betriebs garantiert.
Was geben Sie als Hotelière des Jahres der Branche mit?
Ein Hotel zu führen, ist und bleibt ein Balanceakt. Es ist ein Zusammenspiel zwischen dem Besitzer, der in einen Betrieb investiert und dort vermehrt auch mitreden will; den Managern, die sich nicht wichtiger fühlen als ihre Gäste oder Mitarbeitenden; dem ganzen Team, also auch den Zimmermädchen; den Lieferanten; den Gästen. Eigentlich dürfte der Hotelier oder die Hotelière des Jahres die Bühne nicht allein betreten. Es gehören viele andere dazu.