Baukultur gehört zu den wichtigsten touristischen Alleinstellungsmerkmalen vieler Destinationen. Pisa zum Beispiel hätte ohne schiefen Turm kaum jährlich 10 Millionen Touristen zu Besuch. Auch im Tourismus-Monitor Schweiz 2017 gaben 18 Prozent der Reisenden an, bei ihnen stehe der Besuch einer historischen Attraktion auf dem Programm. Weitere 17 Prozent wollten Sakralbauten besuchen.
Dabei ist Baukultur mehr als Schlösser, Kirchen und Altstadthäuser. Auch Bauwerke wie Eisenbahnbrücken, Bergstrassen und ganze Dörfer können dazugezählt werden. Die touristische Bedeutung von Baukultur kann deshalb kaum überschätzt werden. Weshalb auch Innotour respektive das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sich vor vier Jahren des Themas angenommen und unlängst im Schloss Burgdorf eine Veranstaltung dazu organisiert hat.
Historisches ist gerade ziemlich angesagt
Anhand konkreter Beispiele zeigten dort Praktikerinnen und Praktiker, welche Vor- und Nachteile eine touristische (Um-)Nutzung von historischen Bauten hat. In einem waren sich die Referentinnen und Referenten einig: Historisches ist gerade ziemlich angesagt. Denn Reisende suchen authentische, unverfälschte Erlebnisse. Und was ist authentischer als ein Bauwerk, dem man seine Geschichte ansieht? Was ist mehr instagramable? Dabei ist es sekundär, ob es sich beim Bauwerk um ein altes Industriegebäude handelt, das zum Restaurant umfunktioniert wurde, oder um ein historisches Hotel mit entsprechendem Charme.
[IMG 2]Vor allem in den Städten seien umgenutzte Industrieanlagen wie das Hürlimann-Areal und die Sihlcity in Zürich oder das Kunstzeughaus in Rapperswil-Jona zu Anziehungspunkten auch für die lokale Bevölkerung geworden, sagte Esther von Ziegler, Präsidentin des Vereins Industriekultour und Chefin des Lofthotels und Sagiareals in Murg am Walensee.
Man spreche damit ein junges, designaffines, zahlungskräftiges – sprich aus touristischer Sicht sehr interessantes – Publikum an. Die Vision des Vereins, der aktuell 16 Tagestouren in der Deutschschweiz vermarktet, sei es deshalb, analog zur Grand Tour eine Industrietour of Switzerland auf die Beine zu stellen.
Ketten sind an historischen Häusern interessiert
Wegen der hohen Nachfrage nach authentischen Erlebnissen in historischen Bauten und weil solche Gebäude wegen ihrer Einzigartigkeit von den Gästen nicht mir nichts, dir nichts substituiert werden können, sind die Preise für touristische Leistungen dort häufig höher als anderswo. «Wir haben die einfachsten Zimmer im Dorf, aber die höchsten Preise und die beste Auslastung», fasste es Christof Steiner, Hotelier im Kurhaus Bergün und Präsident der Marketing-Kooperation Swiss Historic Hotels, treffend zusammen. Es sei kein Zufall, dass sich grosse Hotelketten für historische Häuser interessierten.[IMG 3]
«Wir haben die einfachsten Zimmer im Dorf, aber die höchsten Preise und die beste Auslastung.»
Christof Steiner
Hotelier im Kurhaus Bergün und Präsident von Swiss Historic Hotels
Einen weiteren Vorteil historischer Bauten sah Esther von Ziegler in der hochwertigen Bausubstanz. Industriebauten aus dem 19. Jahrhundert zum Beispiel seien für enorme Belastungen konzipiert worden, weshalb sie kaum kleinzukriegen seien.
In einer 800 Jahre alten Burg kann nicht so effizient geputzt werden
Hohe Nachfrage bei hohen Preisen? Klingt zu gut, um wahr zu sein. Tatsächlich hat touristisch genutzte Baukultur auch ihre Schattenseiten. Eine Herausforderung ist beispielsweise der Betrieb. Anders als in einem Gebäude, das von Grund auf als Hotel konzipiert wurde, kann zum Beispiel in der Jugendherberge Burgdorf, die in einer 800 Jahre alten Befestigungsanlage untergebracht ist, die Putzequipe nicht mit derselben Effizienz durch die Gänge rauschen. Überall im Gebäude gibt es Treppen und Winkel, die das Housekeeping erschweren. Und die Heizkosten seien wohl etwas höher als in einem modernen Gebäude, meinte Peter Durrer, Gastgeber im Culinarium Alpinum von Stans.[IMG 4]
Zudem können die Vorgaben der Denkmalpflege zur Herausforderung werden. Die Praktikerinnen und Praktiker waren sich aber einig, dass die Fachleute der Denkmalpflege sehr bemüht seien, die Bauherrschaft bei der Umsetzung der Projekte zu unterstützen. Laut Urs Weber, Geschäftsführer der Stiftung Schloss Burgdorf, wurde der zuständige Denkmalpfleger fast zu einem Teammitglied.
«Das Industriegebäude am See könnten wir viel rentabler nutzen.»
Esther von Ziegler
Präsidentin des Vereins Industriekultour und Chefin des Lofthotels und Sagiareals, Murg
Mit beiden Herausforderungen lässt sich umgehen, wie die Referentinnen und Referenten einhellig sagten. Trotzdem brauche es eine grosse Portion Idealismus, meinte von Ziegler. Denn: «Das Industriegebäude am See könnten wir viel rentabler nutzen» – zum Beispiel mit Wohnungen. Auch Wohnungen im Schloss Burgdorf wären wohl weg wie warme Semmeln.
Ohne die künftigen Betreiber «baut man falsch oder zu teuer»
Eine ganz andere, ungleich grössere Schwierigkeit ist der Unterhalt der alten Gebäude. Dieser kann Unsummen kosten – zumal anfangs oft ein Investitionsstau besteht, wie Steiner bemerkte. Beim Schloss Burgdorf etwa steht momentan eine Sanierung der Aussenmauer an. «Das kostet Millionen, und das, nachdem wir gerade erst Millionen in den Innenausbau investiert haben», sagte Markus Meyer, Präsident der Stiftung Schloss Burgdorf, und ergänzte: «Das könnten wir nie erwirtschaften.» Da sei die Öffentlichkeit gefragt. Diesen Preis müsse sie zahlen, um solche Gebäude zu bewahren und für alle zugänglich zu halten.
«Das kostet Millionen, und das, nachdem wir gerade erst Millionen in den Innenausbau investiert haben.»
Markus Meyer
Präsident der Stiftung Schloss Burgdorf
Auch von Ziegler bestätigte, dass es «ohne Subventionen schlicht nicht möglich wäre, solche Betriebe aufrechtzuerhalten». Beim Verein Industriekultour werde zudem viel Freiwilligenarbeit geleistet.
Es ist deshalb kein Zufall, dass touristisch genutzte Baukultur oft im Besitz der öffentlichen Hand, von Genossenschaften, Stiftungen oder Vereinen ist. Oder es braucht einen glücklichen Zufall wie beim Umbau des Kapuzinerklosters in Stans zum Culinarium Alpinum. Der Investor, ein Architekt aus St. Gallen, wollte dort für 12 Millionen ein Referenzobjekt schaffen, weil er die Zukunft der Bauwirtschaft nicht im Neubauen, sondern im Umnutzen sieht.[RELATED]
Für alle Umnutzer hatte Durrer einen wertvollen Tipp auf Lager: «Die künftigen Betreiber sollten von Anfang an dabei sein. Sonst baut man falsch oder zu teuer.»
Mischa Stünzi