Stellen wir uns vor, Herr Müller, Direktor des Hotel Rössli, verbrachte früher jede Woche mehrere Stunden seiner Arbeitszeit mit dem Beantworten von Onlinebewertungen. Vor allem die Arbeit an negativen Kommentaren, die nicht immer fair sind, nahm dabei viel Zeit in Anspruch. Seit kurzem beantwortet Müller keine Gästekommentare mehr im Internet. Er erkennt dabei keinen negativen Einfluss auf das Geschäft. Sein persönliches Fazit: Seine Gäste, die mehrheitlich aus der Region stammen, beachten seine Antworten sowieso nicht. Dieses Vorgehen kann funktionieren, birgt aber auch Risiken.
Eine positive Wahrnehmung des eigenen Unternehmens durch möglichst viele Gäste sicherzustellen, ist das Ziel von Online Reputation Management (kurz ORM). Dieser Bereich des Onlinemarketings hat mit der steigenden Zahl an Portalen in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Denn Fakt ist: Der Bewertung durch Kunden und Gäste im Internet kann sich kein Unternehmen entziehen.
Ob es dem Betrieb gefällt oder nicht – im Netz wird über ihn geschrieben. Den Verantwortlichen bleibt somit nur die Wahl, auf diese Rückmeldungen einzugehen oder sie zu ignorieren. Beide Optionen haben ihre Berechtigung. Denn der Gastgeber sollte sich auch die Frage stellen, ob sich der Aufwand für ORM betriebswirtschaftlich tatsächlich rechnet.
Standardantworten sind kein Erfolg versprechendes Rezept
ORM bietet auf den ersten Blick viele Chancen. Neben der positiven Wahrnehmung durch zukünftige Gäste können seriöse Rückmeldungen im Idealfall auch Verbesserungspotenzial im eigenen Betrieb aufzeigen. Zudem können wertvolle Dialoge entstehen, und eine zeitnahe Reaktion zeigt die Wertschätzung gegenüber den Bewertenden.
Antworten erfordern jedoch Zeit, denn sie müssen glaubwürdig und authentisch wirken. Auf generische Copy/Paste-Antworten sollte verzichtet werden, wenn Interesse an einem ernsthaften und nutzenstiftenden Dialog besteht. Der ORM-Verantwortliche im Betrieb muss sich bereits im Vorfeld Gedanken darüber machen, wie in verschiedenen Situationen reagiert werden soll.
Verwässerung von Buchungs- und Bewertungsportalen
Öffentliche Bewertungen haben für den Betrieb zudem den Nachteil, dass der Leistungserbringer stets nur auf Vorwürfe reagieren kann, die bereits im Raum stehen. Eine Banalität kann genauso schwerwiegend gewichtet sein wie ein komplett verdorbener Abend. Und ungerechtfertigte Kommentare löschen zu lassen, ist eine langwierige und mühsame Angelegenheit, die weder Erfolg garantiert noch sicherstellt, dass der Betrieb in Zukunft davor gefeit ist.
Neben dem zeitlichen Aufwand für den Aufbau und den Betrieb des ORM können weitere Kosten entstehen, zum Beispiel Lizenzkosten für den Einsatz von Meta-Plattformen. Solche Programme ermöglichen die Überwachung und Bearbeitung von mehreren Kanälen über ein zentrales Cockpit, ohne dass sich der ORM-Verantwortliche in jedes Portal einzeln einloggen muss. Der Einsatz von Meta-Plattformen ist zwar nicht zwingend nötig, kann aber das ORM deutlich vereinfachen.
Das wird auch zusehends notwendig und sinnvoll, denn die Anzahl Ratingmöglichkeiten hat sich in den letzten Jahren ständig erhöht. Es findet eine fortschreitende Verwässerung der Grenzen zwischen ehemals reinen Buchungs- oder Reservationsportalen wie Booking.com und Bewertungsportalen wie Tripadvisor statt.
Egal ob Onlineshop, Online Travel Agency oder Reservationssoftware – stets werden Nutzerinnen und Nutzer aufgefordert, ihr Erlebnis öffentlich zu bewerten. Damit nimmt die Gefahr zu, dass plötzlich relevant gewordene Kanäle erst spät identifiziert werden. Dem vorzubeugen, bedeutet wiederum, regelmässig die eigene Präsenz im Internet zu überprüfen. Neue Portale und Communitys folgen auch nicht zwingend den gleichen Regeln wie etablierte Kanäle, sodass das eigene Kommunikationskonzept ständig angepasst und optimiert werden muss.
Der Nutzen von ORM ist oft nur indirekt sichtbar
Viele Betriebe beschränken sich darauf, nur die negativen Kommentare zu beantworten, im Versuch, die Gäste zu beruhigen und versöhnlich zu stimmen. Dafür spricht auch, dass laut Datenanalysen von Tripadvisor negative Kommentare und somit deren Antworten weit häufiger gelesen werden als positive Rückmeldungen. Bloss: Nur mit viel Mühe wird ein negativ Bewertender dazu bewegt werden können, dem Betrieb eine weitere Chance zu geben.
Sollte sich stattdessen der Gastgeber nicht die Frage stellen, ob sein Betrieb den ORM-Aufwand nur den zufriedenen Gästen zugutekommen lässt? Bei Gästen, die das vergangene Erlebnis positiv bewertet haben, ist die Chance auf ein Wiederkommen deutlich höher, weshalb auch ein Dialog mit ihnen nützlicher sein dürfte.
Es gibt unzählige Unternehmen im Gastgewerbe und in der Hotellerie, für die sich professionelles ORM auszahlt. Ebenso ist unbestritten, dass Gästekommentare im Web und in den sozialen Medien einen Einfluss auf den Entscheid potenzieller Gäste haben. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Vorbereitung und Betrieb eines seriös geführten ORM zeit- und kostenintensiver werden, während der Nutzen oft nur indirekt sichtbar und selten genau messbar ist. Jeder Betrieb muss selbst herauszufinden, wie bedeutend der digitale Austausch für die eigene Zielgruppe und für das Unternehmen ist und ob sich der Aufwand dafür lohnt.
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Fachautor Michael Siebenmann
Leiter Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung bei Gastrosuisse, Absolvent der Hotelfachschule Luzern [IMG 2]
Fachautor Pascal Bandi
Leiter Rooms Division und Mitglied der Geschäftsleitung im Hotel Schweizerhof, Luzern, Absolvent der Hotelfachschule Luzern [IMG 3]
Die Autoren sind Teilnehmer des Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft.