Frau Ullmann, das Tagungs- und Eventcenter, das Sie leiten, hat diesen Frühling eröffnet, mitten in der Pandemie. Ist da ein Fehlstart nicht programmiert?

Ursprünglich war die Eröffnung für Januar 2021 vorgesehen. Das liess sich aufgrund der damaligen Schutzmassnahmen aber nicht realisieren. Also haben wir den Termin auf einen Zeitpunkt verschoben, an dem Tagungen und Veranstaltungen zumindest im kleinen Rahmen wieder möglich waren. Diese Flexibilität hatten wir glücklicherweise. Die Infrastruktur war grösstenteils komplett. Es gab aber auch gewisse Lieferverzögerungen beim Mobiliar.

Coronabedingt?

Ja. Die Einrichtung ist immer noch nicht ganz komplett. Es war für uns somit kein Nachteil, erst im April zu eröffnen.

Zur Person

Anja Ullmann verfügt über langjährige Erfahrung in der internationalen Hotellerie und hat zahlreiche Preopenings und Openings begleitet. Die gebürtige Deutsche war unter anderem für die SV-Gruppe und die Luxushotels Schweizerhof Bern und Palace Gstaad tätig. Im September 2020 stiess sie zum Tagungs- und Eventcenter im Haus der Wirtschaft in Pratteln BL, das sie im April eröffnete und seitdem leitet.

War es je ein Thema, das Projekt zu sistieren?

Ganz und gar nicht.

Warum waren Sie trotz erschwerter Rahmenbedingungen überzeugt, dass ein neues Eventcenter Erfolg haben kann?

Die ganz unterschiedlich grossen Räume ermöglichen es uns, Veranstaltungen vom Kleinstmeeting ab zwei Personen bis zum Grossanlass durchzuführen. Anfangs durften Meetings mit bis zu 30 Personen stattfinden. So hatten wir eine etwas ruhigere Startphase, in der wir sahen, was gut und was noch nicht so gut lief, und allenfalls kleine Korrekturen anbringen konnten.

Unterschiedlich grosse Räume: Ist das die Infrastruktur, die ein Veranstaltungsort heute bieten muss – und nicht mehr den einen grossen Saal?

Man kommt nicht darum herum, sehr viele Optionen zu bieten. In den letzten Monaten galt: je grösser die Räume, desto besser. Die Kunden wünschen derzeit viel Platz – nicht nur wegen der Sicherheitsabstände, sondern auch, weil ihnen das mehr Flexibilität gibt. Grosse Räume in Kombination mit möglichst vielen kleineren Gruppenräumen sind optimal. Bei uns ist der kleinste Raum 15, der grösste 430 Quadratmeter gross.

Worauf achten die Kunden sonst noch?

Auf die neuste Technik. Technik muss alle Bedürfnisse abdecken können – egal, ob die Veranstaltung virtuell, hybrid oder physisch stattfindet. Auch der kleinste Raum muss entsprechend ausgerüstet sein.

«Sehr gefragt sind zurzeit Strategie-Meetings, Workshops, Teambuilding.»

Von hybriden Meetings ist immer wieder die Rede. Welche Relevanz haben die aktuell?

Wir haben im April mit einem grossen Hybrid-Meeting eröffnet. Meine Erfahrung zeigt: Die Kunden passen sich dem an, was möglich ist. Sie sind sehr gut über die Vorschriften des BAG informiert und wissen genau, was geht und was nicht. Ich kann aber klar sagen: Die Kunden wollen Hybrid-Meetings nur dann, wenn keine physischen Veranstaltungen möglich sind. Hybride und virtuelle Treffen entstehen aus der Not heraus – wegen der Pandemie oder auch, um Kosten zu sparen. Bevorzugt werden aber ganz klar persönliche Treffen. Sehr gefragt sind zurzeit Strategie-Meetings, Workshops, Teambuilding.

Vor der Pandemie gab es einen regelrechten Boom im Tagungsgeschäft. Dann kam die Zeit von Homeoffice und Zoom-Meeting. Gibt es jetzt ein Überangebot an Eventräumen?

Das kann ich aus unserer Sicht nicht bestätigen. Wir haben eine sehr gute Nachfrage. Dabei haben wir keine speziellen Eröffnungsangebote geschaltet oder Rabatte gewährt. Auf Basis einer schweizweiten Mitbewerberanalyse haben wir unsere Preise gesetzt und verkaufen zu diesen.

Sie haben schon viele Hotels in unterschiedlichen Kategorien eröffnet und nun zum ersten Mal ein Tagungszentrum. Was war dieses Mal wegen der Pandemie anders?

Der grösste Unterschied war, dass ich nicht in die Firmen gehen und keine klassischen Verkaufsgespräche führen konnte. Vieles lief über Zoom-Meetings und Telefonate. Wir konnten bisher keinen Tag der offenen Tür durchführen. Ein eigentliches Preopening gab es auch nicht. Das war ungewohnt.

«Die Segmentierung, die Positionierung, die Kommunikation, all das muss man noch gründlicher machen.»

Was raten Sie Hoteliers und MICE-Anbietern, die in dem Umfeld eröffnen?

Sich gut zu überlegen, was wirklich die Innovation ist. Was biete ich, was nicht jeder bietet? Aber auch: Wie ist mein Standort, wie bin ich angebunden, wen will ich überhaupt ansprechen? Die Segmentierung, die Positionierung, die Kommunikation, alle diese Hausaufgaben muss ich noch gründlicher machen.

In der Hotellerie gab es aber im Lifestyle-/Budget-Design-Bereich in den letzten Jahren zahlreiche Neueröffnungen – gerade im urbanen Umfeld und besonders durch die Kettenhotellerie. Ist das nicht ein Widerspruch?

Für Hotelketten wird es eine wirtschaftliche Überlegung sein, in dieses Segment zu gehen. Dort brauchen sie weniger Personal und haben ein entsprechend tieferes Budget als ein Full-Service-Hotel. Ketten haben zudem die Chance, den Gast innerhalb der Gruppe zu halten, wenn sie verschiedene Produkte anbieten. Sie können vom Luxus- bis zum Budget-Hotel verschiedenste Bedürfnisse abdecken. Wenn ich als Kette gewisse Segmente nicht habe, verliere ich den Gast unter Umständen an einen Konkurrenten. Zudem stellt sich die Frage der Positionierung für ein Kettenhotel nicht gleich dringend, wie wenn ich ein individuelles Hotel eröffne, bei dem ich mich für ein einziges Segment entscheiden muss.

In der Stadthotellerie läuft aktuell die Debatte, wie gewisse Bereiche – etwa die Lobby – produktiver genutzt werden können. Eine Lösung ist, sie als Treffpunkte oder Arbeitsräume zu nutzen. Kommt da eine neue Konkurrenz für Sie auf?

Nein, das ist eher eine Ergänzung. Diese offenen Räume für Begegnungen ziehen sich heute durch viele Bürowelten. Auch unsere eigenen Büros sind in dem Stil gehalten. Ich denke, dass sich auch Co-Working-Spaces hier von der Hotellerie haben inspirieren lassen. Sie bieten heute mehr offene, gemütliche Räume als die klassischen Business-Center von früher. Auch Services werden wichtiger, etwa die Küche. Also Dinge, die man aus der Hotellerie schon länger kennt. So verschwimmen letztlich die Grenzen, und die Angebote gehen ineinander über.

«Wir spüren derzeit ein geringes Interesse an Rahmenprogrammen.»

Urbane Veranstaltungsorte haben vor der Pandemie davon profitiert, dass sie ein attraktives Rahmenprogramm bieten konnten – etwas, das heute nicht mehr so gefragt ist. Profitiert so ein Standort wie Pratteln, der punkto Rahmenprogramm nicht mit dem benachbarten Basel mithalten könnte?

Wir spüren derzeit tatsächlich ein geringes Interesse an Rahmenprogrammen. Die Leute kommen hierher und konzentrieren sich auf die Veranstaltung, auf sich als Team. Sie suchen genau diese Art von Produkt.

Ist das neu?

Früher packte man eher noch dies und das ins Programm. Die Zeit, die man heute miteinander verbringt, wird intensiver genutzt und auch mehr wertgeschätzt. Das ist meine Beobachtung jetzt und hier; vielleicht sieht es in einem Jahr wieder anders aus.

Spüren Sie einen Preisdruck, weil Kongresshotels in der Stadt Basel Mühe haben mit der Auslastung?

Es gibt immer Kunden, die preissensibel sind und vergleichen. Aber das sind wenige. Wir führen wenige Preisverhandlungen. Mir zeigt das, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben und das Produkt zu dem Preis stimmt.

Haben Sie Kostenvorteile, weil die Kunden bei Ihnen kleinere Räume vollständig digital buchen und sie ohne menschlichen Kontakt nutzen können?

Es stimmt: Der Kunde kann alles digital buchen, wenn er das möchte. Interessant ist aber: Er ruft trotzdem an und fragt nach Beratung. Das habe ich so nicht erwartet. Obwohl auch Sonderwünsche digital erfüllt werden können, sucht der Kunde oft den persönlichen Kontakt zu uns. Der Faktor Mensch spielt weiterhin eine wichtige Rolle.

«Im Moment etwa 30 Prozent digital. 70 Prozent buchen klassisch.»

Wie hoch ist der Anteil der digitalen Buchungen?

Im Moment etwa 30 Prozent. 70 Prozent buchen klassisch. Wir hätten es genau umgekehrt erwartet.

Und in einem Jahr?

Schwer zu sagen. Es wird sich annähern, vielleicht 40 Prozent digital, 60 Prozent klassisch. Das hängt aber sicher auch von der Entwicklung der Pandemie ab.

Mischa Stünzi