Thomas Steiner, Sie haben beschlossen, die Direktion der Union Fribourgeoise du Tourisme am Jahresende zu verlassen und Ihre Laufbahn in der Immobilienbranche fortzusetzen. Angesichts ihres passionnierten Engagements überrascht diese Entscheidung. Warum verlassen Sie den Tourismus?

Die Arbeit mit Immobilien ist ein Kindertraum. Das gebaute Kulturerbe dieses Landes hat mich schon immer fasziniert. Jetzt bot sich eine Gelegenheit, die ich nicht ausschlagen konnte. Das wird mich aber nicht hindern, dem Tourismus auf strategischer Ebene weiterhin zur Verfügung zu stehen.

Sie sind nicht der erste Tourismusdirektor, der die Branche wechselt. Liegt das vielleicht an einer gewissen Beschwerlichkeit oder Schwierigkeit, die Dinge voranzutreiben?

Überhaupt nicht (lacht)! Fribourg Region ist da etwas speziell, vielleicht wegen der geringen Grösse, den direkten Verbindungen zwischen den Akteuren, dem dynamischen Ausschuss und der bedingungslosen Unterstützung des Staats. Trotz den komplexen Strukturen habe ich einen aussergewöhnlichen Willen zur Vernetzung gespürt. Ich fühlte mich also nicht gebremst. Nach meinem Eindruck ist es uns gelungen, in kurzer Zeit einen strategischen und strukturellen Wandel herbeizuführen. Die Ausweitung des Prozesses auf regionaler Ebene läuft. Ich habe die Initialzündung gegeben, aber dieser Prozess lässt sich nicht in fünf oder zehn Jahren vollziehen. Es handelt sich um eine langfristige Vision.

Sie haben in Fribourg Region in den letzten fünf Jahren eine echte Dynamik in Gang gesetzt. Bedauern Sie etwas?

Kein Bedauern, keine Ressentiments, keine Nostalgie. Ich habe das Gefühl, meine Pflicht erfüllt zu haben, und bin zuversichtlich, dass das, was wir eingeleitet haben, in der Destination fortbestehen wird.

Letzte Woche haben Sie ihr letztes «RéseauPROtourism» zum Thema «Lean Destination Management» organisiert. Eine Gelegenheit, eine provokante Message über die Dichte der touristischen Strukturen anzubringen ...

Es war an der Zeit, die Dinge auf den Tisch zu legen. Auch wenn wir auf gutem Weg sind, stelle ich doch fest, dass wir uns nur mit Mühe von den traditionellen Strukturen lösen. Ich sehe die Zukunft des Tourismus in einer vernetzten Wirtschaft, die den Wert des Gastes in den Mittelpunkt stellt. Geografische Grenzen haben darin keine Daseinsberechtigung mehr. Konkret bewegen wir uns in Richtung weniger touristische Instanzen oder wenigstens freiere, agilere Strukturen. Und zu einer neuen Art, zu arbeiten, die sich an den Inhalten orientiert, wie Schweiz Tourismus es schon macht. Das Platzieren von Marktvertretern in den verschiedenen Ländern ist dagegen ein Auslaufmodell.

Wie werden denn die Profis der Zukunft arbeiten?

Ich bin radikal: Das klassische Marketing, das auf Preise und Distribution Einfluss nimmt, ist passé. Die Zukunft des Tourismus liegt mehr in der Tourismusförderung by Storytelling. Wir müssen in dieser vernetzten Welt für Tiefe sorgen. Der Tourismusprofi wird eher ein Redakteur sein als ein Regisseur. Er muss gute Geschichten erzählen und dafür vor allem aus der Erfahrung der Gäste schöpfen. Die Tourismusfachschulen müssen diese Entwicklung unbedingt antizipieren und die Humanwissenschaften – Geschichte, Kunst und Philosophie – in den Unterricht einbeziehen.

Fribourg Region erprobt dieses neue Organisationsmodell und leistet damit in der Schweiz Pionierarbeit. Was bedeutet das konkret?

Das Ziel ist die Entschlackung der Strukturen. Wir haben bei der UFT kein Organigramm mehr. Jeder Mitarbeitende zeichnet sich durch drei Kernkompetenzen aus. Diese Reorganisation führt zu mehr Flexibilität und grösserer Vielseitigkeit. Auf der Stufe der Destination mit ihren über 100 touristischen Instanzen braucht dieser Prozess Zeit ...

Ist Ihre Vision eine Art Zentralisierung?

Vernetzen bedeutet nicht, die Strukturen zu zentralisieren, noch sie abzuschaffen, sondern ihre Kompetenzen zu optimieren. Auf kantonaler Ebene wäre es denkbar, dass auch grosse Attraktionen wie die Maison Cailler einen Teil der Tourismusförderung übernehmen.

Hätte dies einen Stellenabbau zur Folge?

Nein, die Zahl der Arbeitsplätze bleibt konstant, aber die Profile verändern sich. Das Netz absorbiert immer diejenigen Leistungen, die es erbringen kann. Ein Beispiel bei der UFT: Wir haben keine Reservationsplattform mehr, alles wird auf Booking.com umgeleitet. Dies wurde auch von der Basis gewünscht.

Ihr Beitrag zum «Lean Destination Management» hat ihnen mehrere Preise eingebracht, in Vail in den USA und in Malta. Die Krönung ihrer Karriere?

Mich berührt das umso mehr, als ich es überhaupt nicht erwartet habe. Es ist ein sehr gutes Gefühl. Diese Auszeichnung zeigt, dass das Freiburger Modell jetzt so reif ist, dass sich akademische Kreise dafür interessieren.

Auf welchen der Erfolge, die sie in Fribourg Region eingeleitet haben, sind sie am meisten stolz?

Sicher darauf, vom Ausschuss grünes Licht für die «Vision 2030» erhalten und sie umgesetzt zu haben.

Konkret: Wo steht die Destination heute hinsichtlich dieser Strategie?

Wir sind auf gutem Kurs. Innert acht Jahren ist der Beitrag des Tourismus an die Wirtschaft von 1 auf 1,3 Milliarden gestiegen. Ob wir das Ziel von 2 Milliarden in 2030 erreichen werden, weiss ich noch nicht. Ich habe sehr für ein qualitatives Wachstum gekämpft, statt für mehr Masse. Alles hängt davon ab, was man will.

Die Frage der Erneuerung der Infrastrukturen nimmt in dieser Vision einen zentralen Platz ein. Wo sollte prioritär investiert werden?

Der Kanton hat als Wachstumsstimulator eine Rolle zu spielen und wird seine Ressourcen erhöhen müssen, wenn man die bestehende Infrastruktur verbessern will. Mein Standpunkt in Bezug auf Prioritäten ist umstritten. Ich bin der Meinung, man müsse dort investieren, wo der Tourismus bereits gut läuft, und dann vernetzen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Destination?

Fribourg Region bietet einen wunderbaren Erlebnisraum, mit lebendigen Traditionen, einer engagierten Bevölkerung und echter Tiefe. Die Destination wird weiterhin Gäste aus dem Umland anziehen, doch die Übernachtungszahlen werden nicht dramatisch ansteigen. Allerdings ist die Destination zu billig und wird die Preise anheben müssen. Bei den Strukturen stelle ich mir langfristig eine Bündelung der Kräfte vor, eine grosse Organisation, die alle Kompetenzen vereinigt, und ein sehr feines Gefüge aus lokalen Tourismusorganisationen.

Thomas Steiner, gebürtiger Berner und im Herzen Freiburger, hat seine Karriere während fast 20 Jahren dem Tourismus gewidmet.

Der Absolvent der HEC Lausanne und promovierte Wirtschaftsinformatiker unterrichtete an der Universität Lausanne und später an der HES-SO Wallis. 2007 wurde er zum Direktor der Tourismusfachschule Sierre ernannt, bevor er von 2009 bis 2011 die Abteilung Wirtschaft und Dienstleistungen der HES-SO Wallis leitete. Im Oktober 2011 vertauschte er die Theorie mit der Praxis und überahm die Leitung der Union Fribourgeoise du Tourisme (UFT), für die er die «Vision 2030» mitverfasst hat. «Ich habe die Konfrontation der akademischen Welt mit der Praxis immer als sehr gesund empfunden», sagt er.

Seit 2013 macht sich Fribourg Region Gedanken über die Touristenflüsse und ist Pilotdestination im Rahmen des nationalen Projekts DMO 3.0 unter der Leitung der Universität St. Gallen. Daraus entwickelten sich verschiedene Projekte in der Destination wie die Einrichtung einer Incoming-Abteilung für interregionale Angebote, die Schaffung des professionellen PROtourism-Netzes, des Freiburger Tourismus-Observatoriums und einer kantonalen Gästekarte in Form eines nummerierten Armbands.

Sein Beitrag zum «Lean Destination Management» wurde von Innotour unterstützt und an einem Kongress in Vail (USA) und in Malta ausgezeichnet. Im Januar 2017 wird Thomas Steiner die Generaldirekton von Bulliard Immobilier in Freiburg übernehmen. Pierre-Alain Morard, derzeit Direktor des Tourismusverbands Aigle-Leysin-Col des Mosses, wird ihm an der Spitze der UFT nachfolgen.