Anliegen der Hotellerie scheinen es in letzter Zeit bei den Bündnerinnen und Bündnern schwer zu haben. Im September lehnten die Stimmenden von Celerina eine Teilrevision der Ortsplanung ab, mit der Folge, dass ein geplantes 3-Sterne-Hotel nicht realisiert werden kann. Und erst Ende November scheiterten zwei weitere Anliegen an der Urne: Dem 4-Sterne-Superior-Hotel San Gian in St. Moritz verwehrte eine knappe Stimmenmehrheit die nachträgliche Bewilligung für einen bereits vorgenommenen Umbau. Der Betreiber soll nun die baulichen Veränderungen rückgängig machen. Gleichentags bodigte das Klosterser Stimmvolk das 5-Sterne-Hotel-Projekt «La Montana» mit einer Zweidrittelsmehrheit – trotz breiter Unterstützung aus Politik, Wirtschaft und Tourismus. Ungewiss ist ausserdem der Bau des Hotel Flaz in Pontresina sowie des Projekts «Serletta Süd» in St. Moritz, gegen welche zahlreiche Einsprachen eingegangen sind. Was ist los im Bergkanton? Hat die Bündner Bevölkerung kein offenes Ohr gegenüber der Hotellerie oder handelt es sich um isolierte Einzelfälle?
Von einer hotelleriefeindlichen Gesinnung im Dorf will der Klosterser Gemeinderat und «La-Montana»-Befürworter Ueli Marugg nichts wissen. «Das Nein hat sich gegen dieses spezifische Projekt gerichtet und nicht gegen die Hotellerie als Ganze.» Ein sehr grosses Projekt wie «La Montana» inmitten des Dorfes habe den Gegnern eben zu viele Angriffspunkte geliefert. «Wir sind ein relativ konservatives Dorf», erklärt Marugg. In Klosters brauche es eben immer mehrere Anläufe, bis ein Projekt realisiert werden könne. Ein bescheideneres Projekt mit vielleicht 50 anstatt über 100 Betten hätte bessere Chancen gehabt, glaubt er, wäre allerdings am Marktbedürfnis vorbeigegangen.
Ähnlich sieht es Reto Branschi, Tourismusdirektor der Destination Davos Klosters. «In Davos wurden in den letzten Jahren alle Hotelprojekte angenommen, in Klosters werden sie offensichtlich deutlich abgelehnt.» Klosters habe mit dem abgelehnten Projekt eine Chance verpasst. «Die Befürworter haben offen informiert, aber die Gegner haben einfache Schlagworte benutzt», bedauert Branschi. Nun sei zu befürchten, dass es sich zukünftige Investoren zweimal überlegen werden, in ein Projekt in Klosters zu investieren.
Der Klosterser, Clo Cuonz, der sich gegen das 5-Sterne-Hotel eingesetzt hatte, erklärt sich das klare Nein hingegen mit unglaubwürdigen Versprechen der Befürworter, welche die Risiken des Grossprojekts seiner Meinung nach nicht richtig eingeschätzt hätten. Nichtsdestotrotz hielt auch er gegenüber der Zeitung «Südostschweiz» fest: «Es ist sicher kein Nein gegenüber dem Tourismus.»
Ein Votum gegen den Hotelier, nicht die Hotellerie
In St. Moritz steht der Hotelier und Unternehmer Hans Jürg Buff, dessen Swiss Mountain Hotel Group vier weitere Hotels in der Region betreibt, nach dem Volks-Nein vor einem Scherbenhaufen. Erst im Jahr 2011 hatte er das «San Gian» für rund 12 Millionen Franken sanieren lassen. Im Zuge der Sanierung versäumten es die Bauherren jedoch, die baulichen Änderungen der Balkone vorschriftsmässig zu melden. Eine nach-trägliche Umzonung hätte die Umnutzung der Balkone rückwirkend legalisieren sowie eine Aufstockung des Hotels um drei Stockwerke ermöglichen sollen. Mit dem Nein ist Buff nun verpflichtet, die Balkone kostspielig zurückzubauen.
Buff führt den Stimmentscheid auf die Tatsache zurück, dass er Einheimischer ist. Er verweist auf vergleichbare Hotelprojekte in St. Moritz bei denen die Bauvorhaben nichteinheimischer Investoren gutgeheissen wurden – teilweise ebenfalls rückwirkend. Bezüglich seinem Fall spricht Buff von einer «Bankrotterklärung» an die Hotellerie. «Man hat im Engadin immer noch nicht verstanden, von was man lebt.» Er ziehe jetzt die Konsequenzen und widme sich vorerst einem 5-Sterne-Projekt in Konstanz. «Ich investiere mein Geld dort, wo man die Hotellerie schätzt.» Abgeschrieben habe er das «San Gian» indes noch nicht. Der Ball liege nun aber erst mal bei der Gemeinde. Für ihn komme ein Rückbau zum gegebenen Zeitpunkt nicht infrage.
Christoph Schlatter, Präsident des St. Moritzer Hoteliervereins, äussert ebenfalls sein Bedauern über den Volksentscheid, «gerade weil es ein bestehendes Hotel betrifft». Er interpretiert das Nein allerdings nicht als Absage an die Hotellerie, sondern gegen das Vorgehen von Buff. «Die Bevölkerung wollte Herrn Buff eins auswischen», ist Schlatter überzeugt. Auch den Widerstand gegen die Hotelprojekte «Flaz» in Pontresina und «Serletta Süd» in St. Moritz sieht Schlatter differenziert. Hier handele es sich nicht um ablehnende Volksentscheide. Letzteres Projekt wurde vom Stimmvolk im Herbst 2015 sogar ausdrücklich gutgeheissen. Die Einsprachen gegen die Bauvorhaben widerspiegelten vielmehr Partikularinteressen der Anrainer, allen voran Zweitwohnungsbesitzer und Hoteliers, die eine Beeinträchtigung und einen Wertverlust ihrer Immobilien befürchteten. «Land ist bei uns sehr teuer. Niemand ist bereit, Wertverluste hinzunehmen», so Schlatter.
Die Bündner Bevölkerung für den Tourismus sensibilisieren
Tatsächlich sei es in Graubünden so, dass die meisten Projekte an der Urne gutgeheissen würden, meint Ernst Wyrsch, Präsident von hotelleriesuisse Graubünden. Er geht sogar so weit, die Gegenthese aufzustellen: «Die Bündner Bevölkerung ist sehr freundlich gegenüber der Hotellerie eingestellt.» Verschiedene Ja zu Grossprojekten bewiesen dies. Etwas anders sehe es dagegen beim Tourismus aus. Selbst in grossen Tourismusdestinationen wie St. Moritz, Arosa oder Davos spreche sich die Bevölkerung immer wieder gegen touristische Vorlagen aus, zuletzt im Februar 2017, als eine klare Mehrheit eine Kandidatur für die Olympischen Winterspiele zum zweiten Mal innert vier Jahren bachab schickte.
Um die Bündner Bevölkerung wieder stärker für die Belange des Tourismus zu sensibilisieren, hat der Kanton jüngst eine Online-Plattform speziell für Einheimische und Zweitwohnungsbesitzer lanciert (siehe Text unten). Inwieweit das Projekt Früchte tragen wird, bleibt abzuwarten.
Ein «Grazcha fich» an Einheimische und Wahlbündner
Das frisch lancierte Online-Portal «GRhome», eine Art Facebook für Bündner, soll die Wohnbevölkerung im Kanton für den Tourismus sensibilisieren. Dabei geht es neue Wege.
«Bisher haben wir immer versucht, die Bündner Bevölkerung auf rationalem Weg, mit Zahlen und Fakten, für den Tourismus zu begeistern. Mit ‹GRhome› schlagen wir nun einen emotionalen Weg ein», erklärt Yvonne Brigger-Vogel, Geschäftsführerin der Interessengemeinschaft Tourismus Graubünden (ITG), der Trägerin des Social-Media-Kanals «GRhome». Auf der im Auftrag des Kantons am 1. Dezember lancierten Plattform können sich in Graubünden Wohnhafte sowie Zweitwohnungsbesitzer kostenlos registrieren, sich mit anderen Usern austauschen und erfahren, was im eigenen Kanton läuft. Zusätzlich können sie von exklusiven Spezialangeboten profitieren. Mittelfristig soll dadurch ein «destinationsübergreifendes Tourismus-bewusstsein» entstehen, so die Hoffnung der Initianten.
Die Bevölkerung emotional abholen
Ist das neue Angebot eine Reaktion auf die im Februar vor dem Bündner Stimmvolk gescheiterte Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2026? «Damals waren wir schon mitten in der Projektphase», verneint Brigger-Vogel. Der Impuls für die Plattform gehe weiter zurück, unter anderem auf die vor vier Jahren verlorene Olympia-Abstimmung für die Winterspiele 2022 sowie das abgelehnte Tourismusabgabegesetz von 2012. Spätestens danach habe man im Kanton realisieren müssen, dass sich die Bevölkerung beim Tourismus emotional nicht abgeholt fühlt. Mit «GRhome» wolle man nun unter den Ein- und Zweitheimischen eine touristische Identität stärken und sich gleichzeitig mit exklusiven Angeboten bei ihnen bedanken, zum Beispiel «Dampfschneeschleuderfahrten» der RhB.
Ob die Rechnung für den Kanton aufgehen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob «GRhome» auf breite Akzeptanz stossen wird. Es gebe durchaus die Tendenz, dass Angebote nur von jenen genutzt werden, die dem Tourismus gegenüber sowieso schon aufgeschlossen sind, gibt Monika Bandi, Leiterin der Forschungsstelle Tourismus an der Universität Bern, zu bedenken. «Ein gewisses Grundinteresse muss schon vorhanden sein.» Trotzdem sei die Plattform eine Chance, auch konstruktive Kritik einzuholen, glaubt die Wissenschaftlerin. «Das Ganze ist ein Versuch», aber das hätten innovative Projekte nun mal so an sich. Neu sei an dem Angebot die Tatsache, dass man plötzlich die Einheimischen anstatt der Gäste mit Content zu gewinnen versucht. Dies ist laut Yvonne Brigger-Vogel auch einer der Gründe, warum «GRhome» nicht von Graubünden Ferien getragen wird. Die Bündner Tourismusorganisation werde in der Bevölkerung nämlich vor allem als Organisation wahrgenommen, die die Interessen der Gäste vertritt.