Rund 55'000 Kunden müssten umbuchen oder sich ihre Tickets erstatten lassen, erklärte Ryanair-Marketing-Chef Kenny Jacobs am Mittwoch in Frankfurt. Die Betroffenen sollten sämtlich per E-Mail oder SMS individuell benachrichtigt werden.
Inwiefern die Schweiz vom Streik betroffen ist, gibt das Unternehmen auf Anfrage von AWP nicht bekannt. Angaben zu einzelnen Flughäfen würden keine gemacht, hiess es in einer kurzen Stellungnahme. Ryanair fliegt aus Basel nach Dublin, London und Palma de Mallorca und führt pro Woche zehn Flüge durch.
Streikankündigung für Freitag
Zuvor am Mittwoch hatte die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) alle angestellten Piloten an den deutschen Ryanair-Basen für den 10. August zu einem 24-stündigen Streik aufgerufen. Dieser soll am Freitag um 03.01 Uhr beginnen und bis Samstag in der Früh dauern. Die VC schloss sich damit den bereits zuvor angekündigten Ausständen ihrer Kollegen in Irland, Schweden und Belgien an.
Ryanair strich daraufhin nahezu das komplette Programm, das am Freitag mit den in Deutschland stationierten Maschinen geplant war. Eine Ausnahme ist der Flughafen Baden-Baden mit einem guten Dutzend Flügen, zu denen sich die dortigen Piloten bereit erklärt hätten. Es seien auch nicht sämtliche Flüge von und nach Deutschland abgesagt, machte Jacobs klar. Stammten Jet und Crew beispielsweise aus dem nicht bestreikten Spanien, werde der Flug wie geplant
stattfinden: «Mit rund 2000 Verbindungen wird Ryanair auch am Freitag die grösste europäische Airline sein.» Etwa jeder dritte deutsche Kunde könne seinen Flug antreten, meinte Betriebschef Peter Bellew.
Ryanair übt Kritik
Jacobs kritisierte die VC scharf dafür, dass sie ihren Streik nicht sieben Tage zuvor angekündigt hatte. «Eine Frist von 40 Stunden mitten im August führt nur dazu, den Urlaub unschuldiger Familien zu zerstören.» Er gehe davon aus, dass der Flugbetrieb am Samstag wieder normal laufe. Den wirtschaftlichen Schaden bezifferte er nicht. Es gebe sicherlich bei einigen Menschen eine gewisse Buchungszurückhaltung. Auch müssten kurzfristig Plätze in anderen Maschinen belegt werden, die man sonst teuer hätte verkaufen können.
Allgemein gestalten sich in der Hochsaison Umbuchungen schwierig, weil kaum freie Plätze vorhanden sind. Weitere Entschädigungen neben dem Ticketpreis oder einem Ersatzflug lehnt Ryanair ab, weil die Streiks nicht in der Macht der Gesellschaft lägen. Zu dieser Frage streben einige Flugrechteportale eine Musterklage an.
100'000 Passagiere betroffen
Die abgestimmte Aktion in vier Ländern ist der bislang grösste Pilotenstreik in der Geschichte der grössten Billig-Airline Europas, die erst seit Ende 2017 Gewerkschaften anerkennt. Vor zwei Wochen hatten zudem streikende Flugbegleiter in Portugal, Spanien und Belgien über zwei Tage zusammen rund 600 Flüge mit knapp 100'000 betroffenen Passagieren ausfallen lassen. Unter den europäischen Piloten haben bisher einzig die Iren an vier einzelnen Tagen die Arbeit niedergelegt. Ryanair hatte daraufhin den Abzug von sechs Jets samt 300 Arbeitsplätzen nach Polen angekündigt.
Die VC verlangt deshalb Schutz vor unfreiwilligen Versetzungen. Ihr Präsident Martin Locher warf der Fluggesellschaft vor, eine Lösung am Verhandlungstisch zu blockieren und für die Eskalation allein die Verantwortung zu tragen. «Ryanair hat in den Verhandlungen jedwede Personalkosten-Erhöhung kategorisch ausgeschlossen. Gleichzeitig hat Ryanair zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, an welchen Stellen Spielräume zur Lösungsfindung bestehen», erklärte der Gewerkschafter. Ihm fehle die Fantasie, wie Verbesserungen für das Personal ohne Kostensteigerungen erreicht werden könnten. Ryanair müsse sich vom bisherigen Umgang mit seinen Leuten verabschieden, meinte VC-Vize Markus Wahl: «Sie machen jedes Jahr Milliardengewinne, und das Durchschnittsticket kostet um die 40 Euro. Irgendwer muss dafür bezahlen. Das Personal wird es nicht mehr tun.»
Verhandlungen angestrebt
Die VC hat nach Angaben ihres Tarifexperten Ingolf Schumacher keine konkrete Geldforderung gestellt. Sie verlangt die erstmalige Einführung eines Systems von Gehalts- und Manteltarifvertrag: «Wir wollen eine feste Struktur zu zahlreichen Einzelthemen erreichen und darüber mit Ryanair verhandeln.» Als Massstab zieht die Gewerkschaft Tarifverträge von deutschen Fluggesellschaften wie der Tuifly heran, ohne explizit auf den dort genannten Gehaltsstufen zu beharren. Vorhaltungen des Ryanair-Managements, man verlange Gehaltserhöhungen von mehr als 60 Prozent, wies Schumacher als falsch zurück.
Bellew hielt der VC vor, viele ihrer Forderungen gar nicht konkretisiert zu haben. Die Tuifly sei zudem als Charter-Airline, die zum Verkauf stehe, der denkbar schlechteste Massstab für Ryanair. Das Unternehmen ändere sich, werde aber das Low-Cost-Geschäftsmodell auf jeden Fall beibehalten. Er sei optimistisch, mit der Gewerkschaft möglicherweise noch in diesem Jahr zu einem Abschluss zu kommen. Ohnehin verdienten die Piloten bei Ryanair bereits besser als bei Eurowings oder Norwegian. «Vielleicht ist der Streik nur ein notwendiger Teil des Dramas», meinte der Luftfahrt-Manager. (awp sda dpa)