«The Dolder Grand» in Zürich gehört zu den besten Hotels der Schweiz. Doch Ausruhen auf den Lorbeeren ist nicht angesagt. Ganz im Gegenteil: Das Luxushotel arbeitet laufend an der Qualität im Betrieb; ein Prozess, bei dem verschiedenste Normen einen wesentlichen Part spielen.

Eine grosse Gefahr sei, dass man beim Verbesserungsprozess den einfachsten Weg oder gar eine Abkürzung nehme, sagt Stefan Aerni, Qualitäts- und Nachhaltigkeitsmanager im «Dolder Grand». Der Verbesserungsprozess sei aber nicht damit abgeschlossen, dass das Symptom verschwinde. Stattdessen müssten die Ursachen identifiziert werden. «Das ISO-normierte Qualitätsmanagementsystem hilft uns, Abkürzungen zu vermeiden und ein prozessorientiertes und am stetigen Verbesserungsprozess orientiertes Denken zu fördern.»

Luxus wird heute anders definiert als früher
Viele Auszeichnungen, mit denen sich das «Dolder Grand» schmücken darf – 5 Sterne Superior, 5 Stars im «Forbes Travel Guide», Mitglied von Swiss Deluxe Hotels, Leading Hotels of the World und Responsible Hotels of Switzerland –, dienen nicht nur dem Zweck, sich den Kunden gegenüber als Spitzenhotel zu präsentieren, sondern legen mit ihren Vorgaben die Basis dafür, dass das Hotel den heutigen Qualitätsstandard erreichen konnte.

Aktueller Trend bei den Qualitätsnormen ist der Einbezug von Emotionen, etwa bei der Leading Quality Assurance, mit dem Leading Hotels of the World und Swiss Deluxe Hotels ihre Mitglieder überprüfen. Früher wurden vor allem technische Kriterien angewandt: Wie rasch wird das Telefon abgenommen? Wurde an der Réception der Augenkontakt gesucht? Wurde der Gast mit Namen angesprochen? Heute geht es vermehrt um das emotionale Erlebnis: Hat sich der Testgast wohlgefühlt?

So verändern sich vorgeschriebene Normen mit der Zeit. Aber auch implizite gesellschaftliche Normen verändern sich, etwa die Vorstellung davon, was Luxus ist, und damit die Erwartungen an ein Luxushotel. Luxus wird heute gesellschaftlich zwangloser definiert. So verschwand mit der neuen Uniform im Grand Hotel beispielsweise die Krawatte. «Wir haben die Uniform 2019 noch mit Krawatte bestellt. Doch während der Pandemie haben wir uns gefragt, ob das wirklich noch zeitgemäss ist. Und kamen zum Schluss: Nein, ist es nicht», sagt Quality-Manager Aerni.

Luxus wird auch nicht mehr mit Verschwendung gleichgesetzt. «Der üppige Früchtekorb auf dem Zimmer hat ausgedient», erklärt Randy Hitti, Director of Rooms Division. Heute gehe es Richtung Qualität statt Quantität. Lieber eine kleine, dafür grossartige Aufmerksamkeit auf dem Zimmer, die echte Emotionen weckt. Die neuen Qualitätsstandards eines zurückhaltenden Luxus sind aber für ein Spitzenhotel auch ein Balanceakt. Denn keinesfalls darf der Eindruck entstehen, man spare.

Berücksichtigen die von aussen auferlegten Qualitätsnormen die gesellschaftlichen Veränderungen gebührend? «Ja. Aber sie bilden sie nur mit Verzögerung ab», sagt Managing Director André Meier. Er sieht darin auch Vorteile: «Durch diese Trägheit müssen wir nicht auf jeden kurzfristigen gesellschaftlichen Trend reagieren, sondern sehen, was Bestand hat. Wenn die Normen nicht von heute auf morgen angepasst werden, haben zudem die Betriebe genügend Zeit, die Veränderungen nachzuvollziehen.»

Vorgaben sollen nicht einengen, sondern Halt geben
Das Definieren von Qualität ist das eine, das Umsetzen etwas anderes. «Jede und jeder muss die Normen im Alltag umsetzen. Alle Angestellten – egal ob im Restaurant, an der Réception oder im Housekeeping – dürfen die Gastgeberrolle wahrnehmen», sagt Hitti. Zentral sei dabei, dass die Führung die Werte jeden Tag vorlebe.

Hoteldirektor Markus Granelli betont zudem, wie wichtig der Rekrutierungsprozess sei. Dort werde der Grundstein gelegt: Jede Person, die neu angestellt werde, müsse die Qualitätsansprüche verstehen und teilen. «Die Normen sind die Basis, aber für die Extrameile brauchen die Angestellten einen gewissen Freiraum», sagt Granelli. Schliesslich wolle man sie nicht durch eine Schablone drücken, sondern die persönliche Note ermöglichen. «Am Ende ist der Gast wichtiger als die Norm. Und Gästeerwartungen sind nicht standardisierbar.»

Normen sind die Basis, aber für die Extrameile braucht es Freiraum.
Markus Granelli, General Manager «The Dolder Grand»

Freiraum und Flexibilität auf der einen, Normen auf der anderen Seite. Für Aerni ist diese Koexistenz kein Widerspruch: «Normen gelten als starr und einschränkend; dem widerspreche ich.» Eine Organisation werde nicht flexibler, wenn sie keine Normen kenne. Das Gegenteil sei der Fall: «Wenn nichts normiert ist, müssen alle das Rad immer wieder neu erfinden, was Ressourcen verschwendet und die Angestellten in ihrem Handeln letztlich stark einengt.» Eine Leitplanke dagegen helfe, alltägliche Prozesse effizient zu gestalten und mehr Raum für die Extrameile zu lassen.

«Wir wollen unsere Mitarbeitenden keinesfalls verheizen und beugen dem vor, indem wir aufzeigen, was in welchem Szenario getan werden muss. So gesehen sind die Normen auch ein Mittel gegen den Fachkräftemangel», ergänzt Hitti.

Normen seien aber kein Allheilmittel, stellt Meier klar. Gerade wenn es darum gehe, die Erwartungen eines Gasts abzuholen, brauche es ein feines Gespür. «Normen stossen hier an Grenzen.» Sie könnten im schlimmsten Fall sogar hinderlich sein. Dann etwa, wenn ein Gast aufgrund seiner Herkunft normiert behandelt werde, wenn beispielsweise konsequent jedem arabischen Gast ein alkoholfreies Willkommensgetränk angeboten werde. Hitti spricht in dem Zusammenhang von einer Vorurteilsfalle. Agilität, Flexibilität und ein gutes Gespür für die Mitmenschen sind auch – oder besonders? – in einer stark normierten Welt unabdingbar.


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Normen: Im Hintergrund und doch omnipräsent

Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung des Kapitels «Eines der besten Hotels will noch besser werden» aus dem soeben erschienenen Buch «Räderwerke der Normalität. Wie Normen und Standards Vertrauen schaffen». Solche Regelwerke erleichtern es Unternehmen, hohe Erwartungen zuverlässig zu erfüllen. Sie tragen so zu unserem Vertrauen in eine Normalität bei, die sich durch Qualität, Sicherheit und Komfort auszeichnet – und deshalb keineswegs «normal» ist. Das Sachbuch gibt erstmals einen Überblick über Normen- und Standardsysteme in der Schweiz.

Herausgegeben wurde es von der Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS), der 50 Verbände, Behörden und andere wirtschaftsnahe Organisationen angehören, auch HotellerieSuisse und der Schweizer Tourismus-Verband. Die SQS wurde vor 40 Jahren gegründet. Sie bewertet und zertifiziert allein in der Schweiz rund 6000 Organisationen und ist damit gemäss eigenen Angaben Marktführerin.

Räderwerke der Normalität [IMG 2]

Herausgeber: Alex Gertschen

Verlag: NZZ Libro

Seitenzahl: 240

Preis: 39 Franken

ISBN: 978-3-907396-28-5