Die Artisa-Gruppe des Tessiner Unternehmers Stefano Artioli hat das Grand Hotel in Locarno gekauft und ein Baugesuch eingereicht. Allerdings bremsen zwei Einsprachen das Vorhaben, der historischen Herberge neues Leben einzuhauchen.
Eine langsame Renaissance
Die ersten Anzeichen der Wiederbelebungsmassnahmen sind sichtbar. Der Park des seit 2005 geschlossenen Grand Hotel ist gesäubert und von Gestrüpp befreit. Arbeiter füllen ganze Schuttmulden mit Material. Der alte Swimmingpool ist wieder zum Vorschein gekommen; die Grotten mit Natursteinen im unteren Teil des Gebäudes sind wieder sichtbar. Über Weihnachten flimmerten dank eines gigantischen Beamers sogar digitale Schneeflocken über die Fassade – als Vorboten des neuen Grand Hotel.
Hinter all diesen Initiativen stehen der 61-jährige Tessiner Unternehmer Stefano Artioli und seine Immobiliengruppe Artisa. Im Oktober 2021 erwarben sie das Vorkaufsrecht für das Grand Hotel, im März dieses Jahres wurde die Option eingelöst und kurz darauf bereits der Bauantrag bei der Gemeinde Muralto, der Standortgemeinde des Hotels, eingereicht. Formal wird das Projekt von der neu gegründeten GHL SA (Grand Hotel Locarno SA) mit Sitz in Lugano vorangetrieben, die Stefano Artioli präsidiert.
Für seine Gruppe, die auf Geschäfts- und Wohnimmobilien spezialisiert ist, stellt die Hotellerie Neuland dar. Ein Risiko? «Wir haben alle nötigen Analysen zu diesem Objekt durchgeführt, wir glauben ganz stark an das Projekt, und wir lieben Herausforderungen», heisst es in einer schriftlichen Stellungnahme von Stefano Artioli auf Anfrage. Die Hotellerie sei eine romantische und faszinierende Branche. In diesem Sinne bedeute das Projekt einen Schritt nach vorne für sein Unternehmen.
Das nahe dem Bahnhof von Locarno gelegene Grand-Hotel-Areal wird gänzlich einer Renovation unterzogen, auch der Park. 122 Zimmer und Suiten, die meisten mit Seeblick, werden neu gestaltet oder sollen neu entstehen. Dazu kommen drei Restaurants, ein Wellnesszentrum von 1800 Quadratmetern Grösse im Bereich der heutigen Grotten. Dabei soll der Palace-Charakter des Hotels aus der Belle Époque – es wurde 1876 eröffnet – beibehalten bleiben, dies gilt insbesondere auch für den grossen Salon und die Freskenmalereien.
«Es liegt in unserem Interesse, dieses Hotel selbst zu managen.»
Stefano Artioli, Unternehmer und Besitzer des Grand Hotel Locarno
Denkmalschutz meldet sich
«Unsere Absicht ist es, der existierenden Bausubstanz neuen Glanz zu verleihen und dank Spa und Wellness ein integriertes Wohlfühlkonzept zu bieten», sagt der federführende Architekt Ivano Gianola, der schon bei früheren, nicht verwirklichten Restaurierungsplänen mit von der Partie war, etwa bei Denner-Erbe René Schweri, der seine Pläne im Jahr 2009 ad acta legte. Die gesamten Investitionskosten, inklusive Ankauf, veranschlagen die neuen Eigentümer auf 80 Millionen Franken. Allein für die Liegenschaft mussten circa 22 Millionen Franken hingeblättert werden.
Vorgesehen ist, 2024 zu eröffnen. Das ist eine sportliche Vorgabe, denn zum Baugesuch sind bereits zwei Einsprachen eingegangen. Eine stammt vom nicht weit entfernten Hotel Belvedere und moniert unter anderem eine ungenügende Zahl von geplanten Parkplätzen und wirft Fragen in Bezug auf die Restaurierung des Daches unter Denkmalschutzaspekten auf; eine weitere Einsprache stammt vom Tessiner Heimatschutz, der Società ticinese per l’arte e la natura (Stan). Die detailreiche Eingabe der Heimatschützer bemängelt, dass das Baugesuch in Bezug auf den Denkmalschutz lückenhaft und unausgereift sei, zumal die Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalschutzkommission gerade erst begonnen habe.
100 Arbeitsplätze entstehen
Bei den Promotoren nimmt man diese Einsprachen ernst, zeigt sich aber zugleich gelassen. «Wir gehen die kritischen Punkte mit allen beteiligten Parteien in einem konstruktiven Arbeitsklima an, um die Probleme schnellstmöglich zu lösen», heisst es vonseiten der Artisa-Gruppe. Selbst wenn diese Probleme gelöst werden, können neue Hürden auftauchen. Denn nach Erteilung der Baubewilligung können Beschwerden eingereicht werden, was das ganze Prozedere weiter verzögern könnte.
Im restaurierten Grand Hotel sollen 100 Arbeitsplätze geschaffen werden. Wer die künftigen Betreiber sein werden, ist nicht bekannt. Stefano Artioli erklärt, dass gewisse Hotelgruppen auf die Besitzer zugekommen seien. «Doch es liegt in unserem Interesse, dieses Hotel selbst zu managen, dank einer Gesellschaft, die sich der Hotellerie und Luxus-Hospitality widmet.» Die Details werde man in Kürze bekannt geben.
Diese Details dürften auch die Pläne für andere Immobilien beinhalten, die der Hotellerie gewidmet sind. Die Artisa-Gruppe hat ebenfalls das Warenhaus Globus nahe der Piazza Grande von Locarno erworben, das die Migros noch in diesem Jahr schliesst. Auch dort soll – zumindest in einigen Etagen – ein Hotel entstehen. Zudem gibt es Pläne für Cardada – bei der Bergstation der gleichnamigen Seilbahn. «Wir glauben ganz stark an die touristische Anziehungskraft von Locarno», heisst es auf die Frage zu den Gründen für dieses Engagement.
In Tourismuskreisen des Locarnese ist man natürlich überglücklich, dass das Grand Hotel aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. «Es passt bestens in unsere Angebotspalette», so Fabio Bonetti, Direktor von Ascona-Locarno Tourismus. Das gilt auch für Filmfestivalpräsident Marco Solari, der das geschlossene Hotel stets als «Stachel im Fleisch des Festivals» bezeichnete, weil seit dessen Schliessung ein nächtlicher Treffpunkt für die Filmbranche fehlte. Solari hofft, dass mit dem restaurierten Hotel diese Tradition wieder auflebt und die Branche die Abende wie früher an einem Ort mit Grandezza ausklingen lassen wird.
Ein Hotel mit Geschichte
Die Konferenz von Locarno zwischen Vertretern der Sieger- und der Verlierermächte des Ersten Weltkriegs fand im Oktober 1925 statt. Sie ebnete Deutschland den Weg in den Völkerbund. Allerdings fand diese Konferenz nicht im Grand Hotel statt, wie immer wieder zu lesen ist. Ort der Verhandlungen war der Palazzo del Pretorio, das Gerichtsgebäude von Locarno, heute Sitz des kantonalen Appellationsgerichts (Via della Pace). Dort wurden die Verträge parafiert. Im Grand Hotel logierten die Delegationen Italiens, Englands, Belgiens und Frankreichs. Sie richteten dort ihre Hauptquartiere – eine Art Mini-Botschaften – ein. Die deutsche Delegation bezog hingegen im Hotel Esplanade in Minusio Quartier. Der grosszügige Park vor dem Grand Hotel wurde ab 1946 zu einem Treffpunkt der Filmschaffenden, als hier das internationale Filmfestival von Locarno gegründet wurde. 1971 wurden die Abendvorführungen des Filmfestivals auf die Piazza Grande verlegt, wo sie bis heute stattfinden.
Gerhard Lob