Mit Myriam Schlatter und Brigitte Berger Kurzen haben die Delegierten zwei erfahrene Frauen in das strategische Lenkungsgremium von HotellerieSuisse gewählt. Sie treten die neue Aufgabe Anfang Jahr an. Schlatter ist Direktorin des 4-Stern-Hotels Reine Victoria in St. Moritz und COO der Laudinella Hotel Group. Die promovierte Juristin Berger Kurzen ist Besitzerin und Verwaltungsrätin des Interlakner 4-Sterne-Superior-Hotels Royal St. Georges M Gallery. Ein Gespräch über Herausforderungen der Branche, kleine Hotels und das Verbandspräsidium, das nächstes Jahr neu besetzt wird.
Brigitte Berger Kurzen, in ihrem Statement in der letzten htr hotelrevue haben Sie die «unterschiedlichen Interessen der Regionen» betont. Wie gut gelingt es dem Verband, diese unter einen Hut zu bringen?
Brigitte Berger Kurzen: Zugegeben, das ist nicht leicht. Aber es muss der Anspruch eines nationalen Verbands sein. Als Vertreterin von HotellerieSuisse ist es mir wichtig, mit Mitgliedern aus allen Regionen in Kontakt zu stehen und ihre Bedürfnisse zu kennen und einzubringen. Ich habe aber auch den Anspruch, dass die Leute ihre Anliegen proaktiv artikulieren.
Wie kleinräumig darf oder soll ein nationaler Verband denken?
BBK: Je nach Geschäft. Bei einem Thema, das für eine Region sehr wichtig ist, aber die anderen nicht betrifft, kann man schon mal kleinräumig denken. Bei globalen Themen ist es aber wichtig, das grosse Ganze im Auge zu haben – ohne eine Region zu vernachlässigen.
Myriam Schlatter, Sie sprechen in Ihrem Statement die «strategische Weiterentwicklung des Verbandes» an. Wo sehen Sie Entwicklungsbedarf?
Myriam Schlatter: Aus meiner Sicht hat der Verband bisher einen tollen Job gemacht. Bei meiner Aussage ging es darum, dass wir am Ball bleiben. Wir sind gerade von der Pandemie in die Energiekrise geschlittert. In solchen Zeiten sind die Mitglieder auf Hilfestellungen angewiesen. Aktuelles Beispiel: die Weihnachtsbeleuchtung. Für den einzelnen Betrieb ist es schwierig, zu entscheiden, ob er trotz Stromknappheit die Weihnachtsbeleuchtung einschalten soll. Macht er es, und der Nachbar nicht, heisst es womöglich, er sei ein Verschwender. Möglicherweise steht aber auch der Nachbar als geizig und unfeierlich da. Hier braucht es gesamtheitliche Wegweisungen.
Für mich ist es eine Auszeichnung, wenn der Verband in der Krise den geplanten, den planbaren Weg verlässt und rasch reagiert.
Brigitte Berger Kurzen
Der Verband hat einerseits die Aufgabe, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren. Andererseits muss er auch künftige Themen antizipieren. Wo liegt das Optimum zwischen Agieren und Reagieren?
MS: Einen Prozentsatz zu nennen, finde ich herausfordernd da es situationsabhängig ist. Zuletzt hatte der Verband sicher aus der Aktualität heraus viel zu tun gehabt. Trotzdem finde ich es gut, dass er längerfristige, strategische Themen nicht vernachlässigt. Zum Beispiel die Bildungsinitiative, die neulich angestossen wurde: Sie wird uns in Zukunft helfen, Angestellte besser auszubilden.
BBK: Meistens heisst es, es sei besser, man könne agieren, statt zu reagieren. Aber in den Krisensituationen musste der Verband oft reagieren und hat damit für die Mitglieder einen wertvollen Mehrwert geschaffen. Es scheint mir wichtig, dass ein Verband überhaupt reagieren kann. Und HotellerieSuisse hat bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind.
Besteht die Gefahr, dass so das Agieren zu kurz kommt?
BBK: Es gibt Zeiten, da muss ein Verband aus der Aktualität heraus handeln. Darüber zu diskutieren, ob das eine Gefahr für die Zukunft ist, finde ich müssig. Für mich ist es eine Auszeichnung, wenn der Verband in der Krise den geplanten, den planbaren Weg verlässt und rasch reagiert.
Was sind aus Ihrer Sicht, die drei drängendsten Herausforderungen für die Branche?
BBK: Der Fachkräftemangel, den HotellerieSuisse von allen Seiten angeht. Die Nachhaltigkeit, die uns alle betrifft. Und die Digitalisierung.
MS: Brigitte hat die Hauptpunkte erwähnt. Ergänzen möchte ich die Energiepreise. Wenn sich Energiekosten verdreifachen, ist das ein Riesenbetrag. Aber auch die ganzen Auflagen, die Hotels punkto Sicherheit und Brandschutz erfüllen müssen, finde ich herausfordernd. Natürlich steht die Sicherheit der Gäste an oberster Stelle. Doch mittlerweile sind wir so weit, dass wir zweimal überlegen müssen, ob wir gewisse Dinge erneuern – weil damit so viele Auflagen verbunden sind, dass man es sich fast nicht mehr leisten kann. Eine dritte grosse Herausforderung sind für mich die neuen Arbeitszeitmodelle. Wie soll ich den Leuten eine Vier-Tage-Woche anbieten, wenn ich ihnen gleichzeitig elf Stunden Ruhezeit einplanen muss? Hier erhalten wir viele Inputs, aber ich weiss nicht, wie die in der Praxis umgesetzt werden sollen.
Gerade kleinere Betriebe sind aber mit der Vielzahl an Informationen oft überfordert und fühlen sich deshalb vernachlässigt.
Myriam Schlatter
Unterstützt der Verband die Betriebe bei diesen Themen genug?
MS: Ich finde, der Verband macht sehr viel. Gerade die Kommunikation ist in den letzten Jahren deutlich verbessert worden. Ich fühle mich als Mitglied jeder Zeit bestens informiert. Gerade kleinere Betriebe sind aber mit der Vielzahl an Informationen oft überfordert und fühlen sich deshalb vernachlässigt. Wir müssen sicherstellen, dass sie wissen, wo sie welche Informationen und Hilfestellungen erhalten.
BBK: Der Verband ist an den wichtigen Themen dran. Bereitstellen ist das eine, ausliefern das andere. Wenn ich täglich drei Mails vom Verband erhalte, bringt mir das nichts. Stattdessen müssen wir die Mitglieder, wie es Myriam gesagt hat, besser informieren, wo sie was finden. Ob man die gebotenen Hilfen nutzt, ist dann auch eine Holschuld. Nur warten und sich beschweren, man sei vergessen gegangen, finde ich eine schwierige Haltung. So gesehen braucht es nebst den Hilfestellungen auch gute Anleitungen, wie diese Hilfestellungen gefunden und genutzt werden können.
Hoteliers sind häufig Einzelkämpfer. Das heisst aber auch, dass man sich manchmal alleingelassen vorkommt – bei kleinen Hotels noch viel mehr.
Brigitte Berger Kurzen
Angesichts dieser Herausforderungen spürt man die Komplexität der Hotelbranche. Und doch ist das Hotel nur ein Glied einer noch komplexeren Dienstleistungskette. Berücksichtigt der Verband die Gesamtinteressen des Tourismus genügend?
MS: Ich finde HotellerieSuisse bringt sich sehr aktiv ein – sei es als Mitglied von Schweiz Tourismus oder bei anderen Organisationen. Wir haben an der Delegiertenversammlung gesehen, dass auch ein aktiver Austausch mit den Lieferanten und Partnern stattfindet. Aus dem Regionalverband weiss ich zudem, wie wichtig und aktiv der Dialog mit anderen Dienstleistern wie den Bergbahnen ist.
BBK: Die Hotellerie kann ohne den Tourismus nicht sein – und umgekehrt auch nicht. Eine scharfe Trennung der Interessen ist deshalb oft gar nicht möglich. Ein Beispiel: Neu gibt es wieder eine direkte Zugverbindung von Zürich nach Interlaken. Das ist keine Hotelier-Angelegenheit. Aber für die Hotels ist diese Verbindung genauso wichtig wie für andere touristische Dienstleister. Möglicherweise könnte man aber in der Kommunikation nach aussen die Gemeinsamkeiten noch stärker betonen.
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Etwa die Hälfte der Schweizer Hotels sind Mitglied von HS – vor allem die grösseren. Was ist mit den Kleinen?
MS: Wir hören oft, kleine Betriebe würden vom Verband nicht wahrgenommen. Häufig sind diese Hotelièren und Hoteliers so stark eingebunden im Betrieb, dass sie nicht die Zeit haben, an einer Veranstaltung von HotellerieSuisse teilzunehmen, oder sich im Internet über die Leistungen des Verbands zu informieren. Grössere Betriebe können sich da in der Regel besser organisieren.
Was müsste der Verband unternehmen, um die Kleinen zu gewinnen?
MS: Genau diese Frage haben wir uns am Weltfrauentag auch gestellt und sind zum Schluss gekommen: Das gelingt uns nur, wenn wir aktiv und vor Ort auf diese Betriebe zugehen. Während Corona hatten wir auf einmal Anfrage von solchen Hotels, zu denen wir sonst wenig bis keinen Kontakt haben. Erst dann haben sie für sich die Vorteile erkannt, die ein Verband bietet.
BBK: In einem Kleinstbetrieb sind die Unternehmer oft für alles zuständig – vom Empfang bis zum Housekeeping. So ein Tag ist komplett ausgefüllt, das muss man berücksichtigen. Hoteliers sind zudem häufig Einzelkämpfer. Das heisst aber auch, dass man sich manchmal alleingelassen vorkommt – bei kleinen Hotels noch viel mehr. Es führt kein Weg daran vorbei, diesen Betrieben aktiv die Vorteile einer Verbandsmitgliedschaft aufzuzeigen. In Krisenzeiten ist das zweifelsfrei einfacher.
Im Schnitt werden Hotelbetriebe seit Jahren immer grösser. Ökonomisch ist das sinnvoll, aber schwindet damit nicht die Nähe zum Gast?
MS: Kleine Betriebe müssten unbedingt anfangen, mehr zusammenzuarbeiten und Synergien zu nutzen. Wir haben als Betrieb schon mehrfach kleineren Hotels angeboten, dass wir beispielsweise gemeinsam einkaufen. Grosse Betriebe haben viel mehr Verhandlungsmacht, um beim Einkauf gute Preise durchzusetzen. Wir haben zwar schon von einigen Hotels gehört, die so zusammenspannen. Aber für viele ist das eine Grenze; die wollen das nicht.
BBK: Gerade wenn du ein einsamer Wolf bist, ist es als kleines Individualhotel schwierig. Ich habe die Veränderung bei uns selbst miterlebt. Wir sind ein reines Familienunternehmen, das früher alles selbst gemacht hat und heute unter dem Management von Accor ist. Wenn ich beispielsweise sehe, was wir früher beim Einkauf für Umbaumassnahmen ausgegeben und welche Möglichkeiten wir heute haben – je nach Produktkategorie sind die Unterschiede beträchtlich. Dass die Ausgangslage dadurch für die Kleinen anspruchsvoller und für die Grossen einfacher wird, lässt sich nicht abstreiten. Kleine Betriebe, wenn sie über den eigenen Schatten springen und sich entsprechend organisieren, können dafür ihren Charme besser ausspielen, den Grosse etwas verlieren können.
MS: Ich gebe dir Recht, dass bei grossen Hotels etwas vom Charme verlorengeht. Viele Gäste schätzen es, wenn die Direktorin oder der Direktor vor Ort ist und sogar deren Kinder im Betrieb aufwachsen. Diese Nähe, dieses Familiäre geht bei grossen Betrieben verloren. Aber der einzelne Mitarbeiter kann den Unterschied ausmachen. Wir haben Angestellte, die schon so lange bei uns sind, dass die Gäste wegen ihnen zu uns kommen. Deshalb muss es uns gelingen, die Mitarbeitenden länger zu halten.
Wir müssen die Mitarbeitenden dafür begeistern, dass sie sich im Betrieb weiterentwickeln können und wollen.
Myriam Schlatter
Gerade in der Kettenhotellerie, die in der Schweiz immer wichtiger wird, können die Angestellten aber innerhalb der Kette relativ einfach den Betrieb wechseln.
MS: Es stimmt, dass die Mitarbeiterfluktuation seit Corona stark zugenommen hat. Wir müssen die Mitarbeitenden dafür begeistern, dass sie sich im Betrieb weiterentwickeln können und wollen. Auf Aus- und Weiterbildung müssen wir in den nächsten Jahren den Fokus legen.
BBK: Wir haben als Familienbetrieb zu einer Kette gewechselt. Trotzdem haben wir weiterhin Mitarbeiter, die seit Jahren bei uns arbeiten; einige Mitarbeitende waren schon viele Jahre vor unserer Übernahme der Direktion im Haus tätig und sind es heute noch und auch unser General Manager ist nun schon einige Jahre bei uns. Klar gibt es auch Angestellte, die häufig wechseln – heute noch viel mehr als früher. Und vermutlich haben unsere Mitarbeitenden eher die Möglichkeit, in ein anderes Accor-Hotel zu wechseln. Aber im Moment ist es für die Angestellten so oder so einfach, eine neue Stelle zu finden. Handkehrum haben auch wir es leichter, über das Accor-Netzwerk Mitarbeiter zu finden.
Der zunehmenden Stärke der Kettenhotellerie will HotellerieSuisse Rechnung tragen, indem die Verbandsleitung nächstes Jahr entweder um ein Mitglied aus der Ketten- oder eines aus der Parahotellerie, die ebenfalls sehr starke Jahre hinter sich hat, erweitert wird. Welche Vertretung wäre in Ihren Augen wichtiger?
BBK: Zu einem gewissen Teil vertrete ich die Kettenhotellerie bereits. Je mehr Knowhow in der Verbandsleitung, desto besser. Die Parahotellerie darf man nicht vernachlässigen. Aber ich denke, es gibt für beide Segmente überzeugende Argumente, warum sie in die Verbandsleitung sollten.
MS: In meinen Augen spielt es nicht so eine grosse Rolle. Ob Kettenhotellerie, Individualhotellerie oder Parahotellerie, ob Kleinbetrieb oder Grossunternehmen, wir müssen die Interessen der gesamten Branche berücksichtigen. Und letztlich sind wir alle so gut untereinander vernetzt, dass wir die Bedürfnisse der anderen kennen.
Wenn wir für die Verbandsleitung jemanden finden, der oder die stark ist beim Thema Soziale Medien, wäre das bestimmt eine gute Ergänzung.
Brigitte Berger Kurzen
Ein Sitz ist zusätzlich für einen Junghotelier, eine Junghotelière reserviert. Ist das ein richtiger Schritt?
BBK: Ich finde das spannend. Beim Thema Digitalisierung bin ich auf der Höhe, aber zu gewissen Aspekten wie den Sozialen Medien habe ich den Zugang nicht mehr so. Gerade bei der Bewirtung von Influencern bin ich eher zurückhaltend. Wenn wir jemanden finden, der oder die stark ist beim Thema Soziale Medien, wäre das bestimmt eine gute Ergänzung.
MS: Ich finde das den richtigen Weg, weil wir auch immer mehr Mitglieder haben, die jünger sind.
Die dritte Wahl, die nächstes Jahr ansteht, ist das Verbandspräsidium: Wäre das für Sie eine Option?
MS: Ich freue mich sehr über die Wahl in die Verbandsleitung, sehe, was auf mich zukommt, aber auch als grosse Herausforderung. Insofern ist das Präsidium im Moment keine Option für mich.
BBK: Dem kann ich mich nur anschliessen. Als Neue gleich Anspruch auf das Präsidium zu erheben, wäre etwas anmassend.
Die Debatte um die Neubesetzung der Verbandsleitung war dieses Jahr stark geprägt von der Genderfrage. Ist die Zeit reif für die erste Präsidentin?
MS: Das würde ich begrüssen. Am Ende soll aber jene Person gewählt werden, die den Verband am meisten vorwärtsbringt – egal, ob Mann oder Frau.
BBK: Ich würde mich auch über eine Präsidentin freuen, entscheiden sollen aber die Kompetenzen. Ich wäre enttäuscht, wenn ich gewählt worden wäre, nur weil ich eine Frau bin und nicht wegen meiner Kompetenzen. Nichtsdestotrotz finde ich gemischte Gremien wichtig.
Im Hotel geht es um Momente des Geniessens, des Zurücklehnens und um Erlebnisse, die in Erinnerung bleiben.
Myriam Schlatter
Wenn Sie beide sich nicht aufdrängen und es eine Präsidentin geben soll, bleibt nur noch Marie Forestier. Ich gehe davon aus, dass es bei ihr nicht an der Kompetenz scheitern sollte.
MS: Alle Teammitglieder haben sicher die Kompetenzen, das Präsidium zu übernehmen. Sie haben in der letzten Amtsperiode alle dazu beigetragen, die Mitglieder gut durch die Krise zu bringen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass ein Noch-nicht-Vorstandsmitglied für den Präsidiumssitz gewählt werden könnte.
BBK: Letztlich ist es auch eine Zeitfrage. Man muss sich fragen: Habe ich überhaupt die Kapazität für ein solches Amt? Das ist nicht zu unterschätzen.
Beenden wir das Gespräch mit einer etwas philosophischeren Frage: Es wird immer wieder diskutiert, dass Hotels mehr sind als Häuser, wo die Gäste schlafen und sich verpflegen. Welche Rolle in der Gesellschaft spielen Hotels für Sie?
MS: Für mich ist ein Hotel ein Begegnungsort für Menschen. Die Gäste sollen einen Ausflug aus dem Alltag erleben. Es geht um Momente des Geniessens, des Zurücklehnens und um Erlebnisse, die in Erinnerung bleiben. Für mich hat das viel mit Experience, Überraschen und einer guten Zeit zu tun.
BBK: Unser Brand, M Gallery, hat den Leitspruch «Memorable Moment». Wenn es uns gelingt, dass sich die Gäste daran erinnern, was ihnen bei uns gefallen hat, haben wir sehr viel erreicht. Ob es nun ein Business-Gast ist, der sich in der Zeit zwischen den Meetings wohlfühlen will, oder ein Freizeitgast, das Ziel ist das gleiche: Sie sollen die Zeit bei uns geniessen und entspannen. Das hängt nicht nur vom Haus oder den Hard Factors ab, sondern wesentlich auch von den Soft Factors.