Als Generaldirektor der postobligatorischen Bildung im Kanton Waadt hatte Séverin Bez die Verantwortung über ein Budget von einer halben Milliarde Franken. Er wirkte in zahlreichen Kommissionen auf Bundesebene mit. Seit 2015 leitet er ein Projekt der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) des Bundes, bei dem es um nichts Geringeres geht, als in Senegal ein duales Berufsbildungssystem nach dem Vorbild der Schweiz zu etablieren.

Verglichen mit diesen Stationen in seiner Laufbahn mutet das aktuelle Projekt Bildungslandschaft eher überschaubar an: Die vormaligen HotellerieSuisse-Schulhotels kommen unter die operative Leitung der Ecole hôtelière de Lausanne (EHL) und werden zu einem Teil der HF Thun. «Das Projekt ist komplex», sagt Bez. Seit September 2020 ist er daran, eine neue Struktur aufzubauen, bei welcher künftig die Bildungsangebote einer einzigen Fachschule an vier Standorten angeboten werden. [RELATED]

«Erfolg ist kollektiv»
Parallel zu seinem Engagement für die Bildungslandschaft wird er das Projekt in Senegal bis zu dessen Abschluss in zwei Jahren weiter leiten. Der heute 62-Jährige spricht von einer «Herzensangelegenheit». Durch die bessere Berufsbildung finden künftig mehr junge Leute Arbeit, das hilft der Wirtschaft in Senegal und führt eventuell zu weniger Migration. «Es würde mich freuen, wenn sich durch meine Berufserfahrung in Senegal etwas ändert. Wenn meine Arbeit anderen nützt, gibt das meinem Leben Sinn.»

Es würde mich freuen, wenn sich durch meine Berufserfahrung in Senegal etwas ändert.

Jahrelange Erfahrung im Bildungswesen und frankofon – damit brachte Bez wichtige Voraussetzungen für das Deza-Projekt mit. Etwa viermal pro Jahr reist er in das westafrikanische Land. Man müsse vor Ort sein, um es richtig machen zu können, trotz der heutigen digitalen Möglichkeiten mit Teams. Für Bez ist dabei auch klar: «Erfolg ist immer kollektiv, ich muss es gemeinsam mit meinen Leuten und den Behörden in Senegal erreichen.» Schliesslich müssten diese nach Ende seines Einsatzes das Projekt selbstständig weiterführen.

Und das sei auch bei dem aktuellen Projekt Bildungslandschaft in der Schweiz so. Es gelte, verschiedene Menschen aus verschiedenen Schulkulturen zusammenzubringen. «Veränderungen führen immer zu Verunsicherungen, sei es in Afrika oder in der Schweiz. Zuerst muss man schauen, dass sich die Menschen mit dem Projekt identifizieren und den Sinn der Veränderung für sich persönlich sehen.» Sein Ansatz: Zeit geben, das Ziel klar kommunizieren und ohne Druck herangehen, mit und bei den Leuten sein statt eines Top- down-Managements.

Der gebürtige Lausanner gilt denn auch als einer, der seinen Mitarbeitenden nahe ist. «Séverin Bez hat uns allen seine Handynummer gegeben. Unser Tellerwäscher könnte ihn anrufen, wenn er ein Anliegen hat», sagt Sandra Wehren, Dozentin an der HF Thun und Front Office Manager des schuleigenen Lab Hotel.

Rationales Denken dank Mathematik
Dabei verlangt Bez von seinen Mitarbeitenden auch viel. Man könne Fehler machen, sagt Bez – «aber nie zweimal den gleichen». Von seinen Mitarbeitenden erwartet er Loyalität – sonst könne das zu Konflikten und Spannungen führen, und dafür habe er keine Zeit. Wenn Loyalität und gegenseitiger Respekt fehlten, habe er Mühe. Und: «Man muss Menschen immer die Chance geben, sich zu verändern.» Rigueur – Strenge, Härte. Dies ist ein Begriff, mit welchem Bez seinen Führungsstil beschreibt. «Man weiss, wo ich stehe und wo wir zusammen hingehen müssen.»

Vater unterrichtete an Berufsschule
Am Anfang seiner Karriere stand das Mathematikstudium. Er habe nie Probleme gehabt in der Schule, war insbesondere mathematisch stark. «Für mich war immer klar, dass ich Mathematik unterrichten wollte», sagt Bez. Als Mathematiker entwickle man rationales Denken, er begreife schnell. Logisches Denken helfe, wenn es beispielsweise darum gehe, einen Stundenplan für ein Gymnasium mit 45 Klassen und 120 Lehrkräften zu planen.

Man weiss, wo ich stehe und wo wir zusammen hingehen müssen.

Die Karriere in der Bildung schien ihm zunächst nicht in die Wiege gelegt. Bez wuchs in Lausanne als Sohn deutschsprachiger Eltern auf. Sein Vater war Uhrmacher, die Mutter gelernte Schneiderin und Hausfrau, die sich um die drei Söhne kümmerte. «Hätte mein Vater ein eigenes Geschäft gehabt, hätte ich vielleicht Uhrmacher gelernt», sagt Bez. Gleichwohl gab es den Bezug zur Bildung im Elternhaus. Denn der Vater war nicht nur Leiter des Kundenservice bei Omega, sondern unterrichtete zudem an der Berufsschule in Lausanne. «Ich war fasziniert von den technischen Zeichnungen, die mein Vater jeweils zu Hause machte oder korrigierte. Ich habe ihm jeweils am Salontisch zugeschaut.»

Seine Eltern hatten sich in Murten kennengelernt. Durch deren Herkunft aus der Deutschschweiz und durch seine Ehe mit einer Deutschschweizerin aus Schaffhausen ist Bez gewissermassen dies- wie jenseits des Röstigrabens zu Hause. Auch wenn er als Managing Director der EHL nun die Schulhotels mit der HF Thun zusammengelegt hat – «der aus Lausanne» sei er nicht. «Warum schätzen sie mich in der HF Thun? Meine Grossmütter lebten in Bern, Thun und Interlaken, und mein Götti wohnte in Bönigen», sagt Bez und lacht.

In seiner Jugend engagierte sich Bez in der Pfadi. Das Miteinander, der Gemeinschaftssinn von damals präge und leite ihn bis heute, nebst christlichen Werten. Im Zentrum steht für ihn der Respekt für das Gegenüber. «Sinn», «Freude», «Glück» – das sind Worte, die er im Gespräch hin und wieder einfliessen lässt. In jeder beruflichen Station sei er glücklich gewesen, sagt er einmal.

«Bin jeden Tag dankbar»
Freizeit? «Ich war immer sehr engagiert in meiner Arbeit. Das ist vielleicht mein Problem», sagt Bez. Es gebe kaum einen Ferientag, an dem er nicht doch die laufenden Geschäfte verfolge. Dennoch findet Bez Zeit für einen Ausgleich. In seinem Garten steht eine Voliere, er züchtet Kanarienvögel. Etwa 60 Tiere hält er darin. Die verschenkt er an Kinder oder auch an Altersheime. Macht «Service après vente», wie er sagt: Wenn ein Vogel eines Besitzers stirbt, schenkt er ihm einen neuen. Trotzdem: Der Zeitpunkt, wo er beruflich «einfach nichts mehr» mache, sei erst mit seiner Pensionierung erreicht – «auch wenn meine Frau und die drei Kinder dies erst abwarten müssen, um mir zu glauben».

Ich habe einen Sinn im Leben,
der nicht nur vom Beruf abhängt.

Wenn er sein Leben betrachte, so könne er sehr dankbar sein. Er habe grosse Projekte geleitet, sei in Kontakt mit Präsidenten und Bundesräten gewesen. «Mein Leben ist super reich», sagt Bez. Fürs Glück im Leben hält er es dabei aber gerade für essenziell, dass er sich nicht komplett über seine Position und seinen Beruf definiert. «Ich muss nicht Projektleiter der Bildungslandschaft oder Managing Director der EHL sein, um glücklich zu sein. Ich bin es auch sonst. Und das spüren die Menschen. Ich habe einen Frieden, einen Sinn im Leben, der nicht nur vom Beruf abhängt.»

Deza-Projekt in Senegal: Berufsbildung im Hotel
Seit 2015 leitet Séverin Bez das Schweizer Kooperationsprogramm zur Entwicklung der dualen Berufsbildung in Senegal. In dem westafrikanischen Land fand die berufliche Bildung – nach französischem Vorbild – bislang nur an Schulen statt. Doch die Bevölkerung explodiert, die Schulen können nicht genügend Menschen unterrichten. Und was unterrichtet wird, ist laut Vertreterinnen und Vertretern von Berufsverbänden nicht der Realität der Wirtschaft angepasst. Die Kombination aus Lehrbetrieb und Gewerbeschule nach Schweizer Vorbild soll hier Abhilfe schaffen.

Wenn die Ausbildung hauptsächlich in den Betrieben stattfindet und die Lernenden nur einen Tag die Schule besuchen, kann eine Schule viel mehr Lehrlinge ausbilden. Bez startete mit zwei Berufen aus der Hospitality-Branche: Service und Küche. «Wir haben den Erfolg bewiesen. 98 Prozent der Lernenden, welche die Ausbildung durchliefen, fanden danach Arbeit», sagt Bez. Zwölf weitere Berufe sollen folgen. Herausforderungen bei der Umsetzung sieht Bez eher auf Stufe Administration und Staat als aufseiten der Wirtschaft. Die politischen Behörden hätten das Problem erkannt und wollten die Veränderung. Die Umsetzung bei der Verwaltung sei eine andere Sache.


FAQ

Was ändert, was bleibt? Séverin Bez, Leiter des Projekts Bildungslandschaft, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ändert sich mit der neuen Bildungslandschaft ab dem 1. August 2023?
Per August wird die gesamte berufliche Aus- und Weiterbildung, die derzeit unter der Verantwortung von HotellerieSuisse steht, unter der Leitung und mit operativer Unterstützung der EHL an die Stiftung HF Thun übertragen. Das Projekt ist in finanzieller, rechtlicher und personeller Hinsicht komplex. Die Änderung ist allerdings im Wesentlichen struktureller Natur und wirkt sich auf das Schulmanagement aus.

Die Stiftung HF Thun wird sich in eine Multi-Campus-Schule verwandeln, mit Ausbildungsangeboten für über 1100 Lernende und Studierende in Thun, Interlaken, Pontresina und Martigny, was eine grosse Nähe zu den Unternehmen der Branche gewährleisten soll. Für die derzeitigen Auszubildenden und Studierenden der Schule wird es am 1. August keine direkten Änderungen geben. Neue Dynamiken und Perspektiven machen die Ausbildungen an der HF Thun noch attraktiver und ermutigen hoffentlich viele junge Menschen, sich für einen Beruf in der Hospitality-Branche zu entscheiden.

Was sind die Vorteile der neuen Bildungslandschaft?
Die neue Dynamik zwischen unseren heutigen Schulen soll junge Menschen für eine Berufsausbildung in den Berufen des Gastgewerbes begeistern und ihnen neue Karriereperspektiven eröffnen. Wenn ein Jugendlicher mit 16 Jahren eine Grundausbildung in einem Hotel beginnt, weiss er nun, dass er seine Ausbildung innerhalb der EHL-Gruppe bis zum Bachelor/Master fortsetzen kann, wenn er Lust dazu hat – mit all der internationalen Offenheit, die der EHL-Gruppe eigen ist. Er weiss aber auch, dass er im Laufe seiner Karriere im Gastgewerbe in der Schweiz oder im Ausland immer wieder an die Quelle zurückkehren kann, um von den professionalisierenden Ausbildungsangeboten zu profitieren, die es ihm ermöglichen, mit den Bedürfnissen des sich ständig wandelnden Arbeitsmarktes in Verbindung zu bleiben.

In der zweiten Phase des Projekts ab diesem Sommer wollen wir Innovationen bei den Lehrmitteln, insbesondere die Digitalisierung, einführen, wann immer dies einen Mehrwert für die Qualität der Ausbildung darstellt. Indem wir unsere Kräfte und Ressourcen bündeln, wollen wir die Jugendlichen schon heute auf die Bedürfnisse von morgen vorbereiten. Wir sind überzeugt, dass das Projekt Bildungslandschaft sowohl den Bedürfnissen der Jugendlichen als auch der Unternehmen der Branche entspricht.

Was bedeutet der Schritt für die HF Thun?
Für die HF Thun ist die Veränderung zum 1. August 2023 gross, da sie nun eine Schule mit mehreren Standorten sein wird, deren Budget und Anzahl Mitarbeitende sich mehr als verdoppelt. Sie wechselt die Kategorie in Bezug auf Grösse und Bildungsangebot, was eine neue administrative Verwaltung der Schule erforderlich machte. Die HF Thun wird dadurch noch sichtbarer und in ihren Bildungsangeboten attraktiver sein.

Neben den fünf Grundausbildungen, die heute in den Schulhotels angeboten werden, und dem HF-Programm wird die HF Thun auch die Verantwortung für das Nachdiplomstudium (NDS) von HotellerieSuisse übernehmen. Dieses wird in Zusammenarbeit mit der EHL durch massgeschneiderte Weiterbildungsangebote erweitert. Die HF Thun wird zu einem Kompetenzzentrum für berufspraktische Weiterbildung ausgebaut. Diese Angebote ergänzen die bisherigen Zertifikatslehrgänge.

Die EHL ist für ihren strengen Dresscode bekannt. Müssen Absolventinnen und Absolventen der HF Thun künftig Krawatte tragen?
Tatsächlich gibt es in dieser Hinsicht kulturelle Unterschiede zwischen der HF Thun, den Schulhotels und der EHL. Der Schlüssel zum Erfolg eines Transformationsprozesses und der Zusammenlegung von Institutionen mit unterschiedlichen Kulturen und Geschichten liegt darin, die bestehenden Kulturen zu respektieren. Die Frage des Dresscodes ist also für den 1. August 2023 nicht relevant. Sie könnte dazu dienen, die Attraktivität der HF Thun zu entwickeln. Dies muss jedoch idealerweise aus der Schule selbst kommen und darf nicht von aussen aufgezwungen werden. Wenn es um die Werte einer Schule geht, müssen die Betroffenen direkt einbezogen werden.

Wie geht es weiter – werden HF und FH längerfristig weiterhin parallel existieren?
Dies ist eine Frage der Bildungspolitik in der Schweiz. Die Zielgruppen dieser beiden Ausbildungen auf Tertiärstufe A und B sind nicht dieselben. Die HF-Ausbildung soll eine berufsbildende, unternehmensnahe tertiäre Ausbildung sein und bleiben. Die jungen Leute, die sich für einen Bachelor/Master an der EHL entscheiden, haben oft ein anderes Ziel, mit einer Business- und Managementausbildung, die den Weg in die Hotellerie und das internationale Management ebnet.

Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass die beiden Ausbildungswege HF und FH weiterhin bestehen werden, verbunden mit dem Wunsch, dass die politischen Behörden den HF-Ausbildungen die Anerkennung verleihen, die die Attraktivität dieser Ausbildungen unter dem Gesichtspunkt der internationalen Mobilität steigert. Hotellerie­Suisse wird sich auf politischer Ebene weiterhin für diese beiden Ausbildungswege einsetzen, die den Bedürfnissen der Branche entsprechen.

Was bedeutet der Schritt für die drei Schulhotels in Interlaken, Pontresina und Martigny?
Per 1. August gibt es keine grundlegenden Änderungen bei den Bildungsangeboten und der Organisation der Schulhotels. Die Leitung erfolgt neu nicht mehr durch Hotellerie­Suisse, sondern durch eine dreiköpfige neue Geschäftsleitung der HF Thun, welche in drei ergänzende Ressorts aufgeteilt wird: Bildungsprodukte, Hospitality & Services und Operations. Dies ermöglicht pädagogische und administrative Synergien.