Der Blick auf die aktuellen Gegebenheiten, mit denen sich die Branche befassen muss, führt bei mir zu ungläubigem Kopfschütteln: Wie nur ist der Arbeitskräftemangel zu erklären? Dabei handelt es sich doch bei der Hotellerie um die schönste Branche der Welt: die Internationalität, dieses besondere Flair, welches das Kommen und Gehen in einem Hotel ausmacht, die Offenheit gegenüber allem, was anders ist als das bisher Bekannte. Diese Eigenschaften der Hotellerie begeistern mich seit meiner Berufslehre in einem Solothurner Hotel in den 1990er-Jahren.
Weshalb also wollen immer weniger Menschen in dieser Branche arbeiten? Ich möchte an folgendem Punkt ansetzen: bei der Führung und der Bildung. Denn hier ist das Potenzial für positive Veränderungen und somit für starke Signale gegenüber dem Arbeitsmarkt meines Erachtens gross und dringlich.
Der in der Gesellschaft bekannte Führungsstil «Fliegende Pfanne» ist sicherlich nur noch selten anzutreffen. Oft aber höre ich nach wie vor von Führungskräften: «Ich musste unten durch in der Lehre. Es tut jedem gut, das auch mal zu erleben.» Wirklich? Oder die Haltung: «Du kannst froh sein, gebe ich dir Arbeit!» Kann das der Kern einer Führungskultur sein? Es braucht ein rigoroses Umdenken bezüglich des Führungsstils in vielen Unternehmen. Denn Wertschätzung, vorausschauende Entwicklung der Mitarbeitenden, flache Hierarchien, Eigenverantwortung oder Mitgestaltung sind Merkmale eines Führungsstils, den nicht nur die Generation Z als Voraussetzung dafür ansieht, dass sie ihre Arbeit dem Unternehmen zur Verfügung stellt. Wir leben heute in einem Arbeitnehmermarkt. Die Arbeitnehmenden können die Bedingungen in einem Arbeitsverhältnis aus einer Position der Stärke heraus weitgehend bestimmen. Das einfache Gesetz von Angebot und Nachfrage, das jeder Unternehmerin und jedem Unternehmer geläufig ist, macht klar: Entweder passe ich mich als Unternehmen den Forderungen an, oder ich bin früher oder später weg vom Markt.
Bei der Führung und der Bildung – hier ist das Potenzial für positive Veränderungen gross und auch dringlich.
So deutlich bin ich nur deshalb, weil ich hoffe, damit wachzurütteln. Denn es hilft nur eines: sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Einfacher gesagt als getan, ich weiss. Die Motivation muss es sein, den Führungs-Image-Arbeitskräfte-Teufelskreis zu durchbrechen. Es gibt viele Betriebe, die ihre Lernenden vorbildlich aus- und ihre Mitarbeitenden vorausschauend weiterbilden. Diese Unternehmen wirken nach aussen attraktiv und haben Erfolg auf dem Arbeitsmarkt. Doch leider handelt es sich dabei um zu wenige Betriebe, um das ramponierte Image, das die Branche bezüglich Führungskultur vielerorts hat, nachhaltig zu verbessern. Die Betriebe mit Aufholpotenzial dominieren das Bild in der Öffentlichkeit.
Wie kann dieser Teufelskreis von schlechter Führung, schadhaftem Image und von folglich fehlenden Mitarbeitenden durchbrochen werden? Mit Aus- und Weiterbildung. Weshalb nun aber bei der Aus- und Weiterbildung ansetzen, um den Führungsstil zu beeinflussen? Die Umstellung auf einen agilen, partizipativen Führungsstil, eingebettet in eine angstfreie Organisation mit flacher Hierarchie, ist kein Sonntagsspaziergang. Hier hilft kein 5-Punkte-Programm, keine generelle Lohnerhöhung oder irgendwelche staatlichen Massnahmen, sondern eine geeignete Weiterbildung für die Unternehmerin oder den Unternehmer. Eine Weiterbildung, die anwendungsbezogen und auf Augenhöhe ist. Denn wenn die Unternehmerinnen und Unternehmer lernen, wie sie im Betrieb die Führungskultur zum Positiven verändern können, dies danach auch umsetzen und so zufriedenere Mitarbeitende haben, dann wird es einfacher, diese zu halten und neue Kolleginnen zu gewinnen. Daraus ergibt sich eine bessere Stimmung im Team, eine etwas weniger hohe zeitliche und psychische Arbeitsbelastung. Das spüren wiederum die Gäste. Der sich daraus ergebende Kreislauf wird am Ende des Tages positiv in der Kasse erkennbar.
Wenn die Direktorin oder der Direktor selbst in die Weiterbildung geht und das im Betrieb auch kommuniziert, so werden – davon bin ich überzeugt – auch die übrigen Mitarbeitenden den Wert der Weiterbildung erkennen und eine solche besuchen wollen. Dies wiederum führt zu besserer Qualifikation, höherer Effizienz, mehr Zufriedenheit. Eine positive gegenseitige Verstärkung tritt an den Platz des Teufelskreises. Die Hilfestellungen dazu sind da: L-GAV-Subventionierung der Weiterbildung, Coachingprogramm des Verbandes oder externe Unterstützung.
Wenn die Direktorin in die Weiterbildung geht, werden auch die Mitarbeitenden den Wert der Weiterbildung erkennen.
Abschliessen möchte ich meinen Rückblick mit dem Blick nach vorne: Die Führungskultur einer ganzen Branche ändert sich ebenso wenig von heute auf morgen wie das Image in der Öffentlichkeit, das von der erwähnten Kultur stark beeinflusst wird. Der Fachkräftemangel akzentuiert sich aber immer stärker, und die Hotellerie steht mit Branchen in Konkurrenz, welche die klassischen Merkmale von unregelmässiger Arbeitszeit und Wochenendarbeit nicht kennen. Hinzu kommt eine historisch tiefe Anzahl Lernende, kombiniert mit einer sehr tiefen Anzahl Teilnehmenden in den meisten Weiterbildungsformaten. Von einer drohenden Welle des Mangels an gut ausgebildeten Mitarbeitenden zu sprechen, wäre weit untertrieben. Die Ebbe ist längst eingekehrt.
Es braucht einen Strauss an Massnahmen, welche erst in einigen Jahren ihre Wirkung zeigen werden. Dazu gehört auch, Bestehendes kritisch zu hinterfragen, die Bildung ständig weiterzuentwickeln und mit neuen, dynamischen Formaten zu den Menschen in der Branche zu tragen. Die geplante Zusammenfassung des Bildungsangebotes in der «HotellerieSuisse-Familie» unter dem Lead der EHL ist ein Schritt in genau diese Richtung. Das Aufbrechen des Teufelskreises beginnt bei jeder und jedem selbst mit der Bereitschaft, etwas verändern zu wollen. Nur so können wir die Hotellerie für heutige und künftige Generationen von Arbeitskräften wieder zu dem machen, was sie eigentlich ist: die schönste Branche der Welt.
Selbstständiger Berater
Ueli Schneider war während der vergangenen knapp neun Jahre bei HotellerieSuisse zuerst für die Bildung und danach für das Business Development des Verbandes verantwortlich. Er setzt künftig auf seine 2021 gestartete Selbstständigkeit als Unternehmens- und Führungsberater. Zudem begleitet er weiterhin das Projekt der intensivierten Zusammenarbeit der Bildungsanbieter in der «HotellerieSuisse-Familie».
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