Die Pandemie hat die fehlende Attraktivität touristischer und gastgewerblicher Berufe schon fast brutal offengelegt. Verkürzt gesagt: Wer etwas «Besseres» findet oder gefunden hat, geht oder ist – vielleicht für immer – bereits gegangen. Andere beziehen diese Berufe in ihre Zukunftsplanung vielleicht nicht einmal mehr ein. Die Gründe hierfür sind bekannt: Im Vergleich zu anderen Sektoren bestehen oft harte Arbeitsbedingungen, gepaart mit langfristig mangelnden und vermehrt auch unsicheren Perspektiven – und dies bei oft eher bescheidenen Löhnen und Vergünstigungen.
Die Personenfreizügigkeit mit der EU und das Einkommensgefälle zwischen vielen Ländern und der Schweiz hat bis anhin für einen steten Strom an Arbeitnehmenden gesorgt. Damit wurde allerdings ein ernsthaftes Problem zugepflastert: Zahlreiche touristische und gastgewerbliche Prozesse schöpfen nicht genug Wert und sind damit für eine angemessene Kompensation zentraler Produktionsfaktoren – Kapital und nun vermehrt auch Arbeit – nicht optimal konfiguriert. Oder unverblümt ausgedrückt: Viele Prozesse schöpfen nur deshalb überhaupt Wert, weil sie auf (zu?) günstige Produktionsfaktoren zugreifen können. Die Auswirkungen der Pandemie haben dieses Pflaster nun weggerissen – und die mangelnde Produktivität touristischer und gastgewerblicher Dienstleistungsprozesse offengelegt.
Nun: Die Höhe der Löhne und Vergünstigungen mag nur eines von vielen Kriterien für die Berufs- und Stellenwahl sein. Dem kann man entgegenhalten, dass diese ein sogenannter Hygienefaktor sind, eine notwendige und minimal zu erfüllende Bedingung. Deren Bedeutung sollte vor dem Hintergrund der grossen Spannbreite zwischen Gehältern in produktiven (zum Beispiel in der Pharma mit beinahe 10 000 Franken) und weniger produktiven Sektoren (beispielsweise im Gastgewerbe und im Detailhandel mit weniger als 5000 Franken) nicht unterschätzt werden.
Ähnlich einer finanziellen Tragbarkeitsrechnung wird es deshalb notwendig, dass Unternehmen ihre operationellen Prozesse auf die «Tragbarkeit» bezüglich personeller Ressourcen überprüfen. Das bedingt eine Abkehr vom Besetzen bestehender Stellen mit geeigneten Fachkräften. Vielmehr geht es darum, die Prozesse vermehrt an den verfügbaren und oft knappen personellen und finanziellen Ressourcen auszurichten. Das hat auch die Überprüfung des Dienstleistungsgehalts zur Folge, wobei es zu überlegen gilt, welche Prozesse überhaupt wie geführt und ausgestaltet werden – einschliesslich der Frage nach Art und Ausmass der personellen Besetzung. Hierbei ist zentral, zu welchem Grad die Ausführung eines Prozesses mit einer Interaktion zwischen Unternehmen und Gast verbunden ist und inwieweit dabei ein Zahlungsbereitschaft auslösender Mehrwert geschaffen wird, der die Kosten dieser personellen Interaktion mindestens deckt.
Hierzu einige Beispiele von bereits beobachtbaren Prozess-Neugestaltungen:
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Technologie-unterstützte (Rück-)Delegation einzelner Prozesse an Gäste mittels Self-Service-Technologie. Zum Beispiel: Check-in und Check-out in Hotels, (elektronisches) Bestellen oder Abholen an einem Counter in Restaurants, Tageszugänge durch Online-Ticketing in Skigebieten.
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Umwandlung von Cost Center in Profit Center und damit Entbündelung von Dienstleistungen auf Basis Pay-per-Use. Zum Beispiel: Housekeeping-on-Demand.
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Durchführung verschiedener zwischenmenschlicher Prozesse zentral an einem Ort und durch das gleiche Personal. Zum Beispiel: Einchecken oder Concierge-Leistungen an der Hotelbar.
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Technologie-getriebene Umgestaltung einzelner Prozesse (Automatisierung bis Robotisierung). Zum Beispiel: interne und externe Abrechnung, Kochprozesse.
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Betriebsübergreifende Zentralisierung von Prozessen (meistens Backstage). Zum Beispiel: administrative Prozesse, zentrale (Gross-)Küchen, Versorgungs- und Entsorgungsleistungen.
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Outsourcing einzelner Prozesse oder ganzer Prozessgruppen. Zum Beispiel: F&B eines Hotels an ausgewählte Restaurants in der Umgebung.
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Übernahme von Prozessen Dritter, um Synergien zu nutzen. Zum Beispiel: Hotel oder Bergbahn als Hub von Dienstleistungen rund um die Bewirtschaftung von Ferienwohnungen. Die möglichen Ausprägungen von Geschäftsmodellen liefern hier wertvolle Hinweise.
Zu guter Letzt sollten solche Überlegungen nicht nur mit dem Ziel erfolgen, die unmittelbare operationelle Effizienz und Effektivität zu stärken. Vielmehr sind Prozesse auch dahingehend zu rekonfigurieren, als am Ende des Tages die meist fixen Bereitschaftskosten gesenkt werden können. Auch Neu- und Umbauten sollten nach Möglichkeit derart ausgestaltet sein, dass sie Potenziale zur operativen Verbesserungen freilegen.
Der Weg zur Erhöhung der Produktivität in Tourismus und Gastgewerbe führt also über die – vielleicht gemeinsame – Optimierung der einzelbetrieblichen und betriebsübergreifenden Prozesse. Spinnt man diesen Gedanken weiter, landet man ultimativ bei der Neugestaltung unternehmensübergreifender Geschäftsmodelle.
Die Prozesse müssen vermehrt an den verfügbaren und oft knappen personellen und finanziellen Ressourcen ausgerichtet werden.
Christian Laesser, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Uni St. Gallen