Autorin: Christine Zwygart

Das war nicht von langer Hand geplant, doch irgendwie fügte sich alles glücklich zusammen. Und so übernahm Sophia Lehner mit Lebenspartner Gregor Rzymski den «Bürchnerhof» in Bürchen VS von ihren Eltern.

Den gut laufenden Sommer 2020 meisterten sie noch zu viert, im Winter haben die Jungen dann das Steuer definitiv übernommen – und gleich Mitte Dezember erfahren, dass das Restaurant für externe Gäste schliessen muss. Coronabedingt, auf ungewisse Zeit. «Das war heftig, weil uns auch die Erfahrung mit so ausserordentlichen Situationen fehlte», sagt die Geschäftsführerin rückblickend.

Sie mussten zwei Mitarbeitende gleich wieder entlassen, der Januar war schrecklich, Stornierung um Stornierung für die 20 Hotelzimmer, im Februar und März zeichnete sich eine Entspannung ab. «Wir waren operativ sehr eingespannt, arbeiteten weit über ein normales Pensum hinaus – wie halt so oft in einem Familienbetrieb.» Doch nebst der aktuellen Belastung gab und gibt es bis heute auch eine andere Herausforderung, die alle Beteiligten beschäftigt: Wie kann die Nachfolge sauber geregelt werden? Ist es finanziell möglich, für Regula und Hubert Lehner eine Altersrente aus dem Betrieb herauszunehmen? Wie werden die Geschwister von Sophia entschädigt? Und welche Perspektiven haben die Jungen mit so einem kleinen Hotel für die Zukunft?

«Uns war klar, dass wir in dieser schwierigen Phase die Hotels unterstützen müssen.»

Ueli Schneider

«Das sind sehr schwierige Fragen, die mit vielen Emotionen verbunden sind», sagt Sophia Lehner. Wegen des starken Engagements der ganzen Familie im Daily Business hatten sie schlicht zu wenig Zeit, sich intensiv mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Im Newsletter von HotellerieSuisse hat sie dann vom neuen Coachingprogramm erfahren, und sofort gewusst: «Das ist genau das, was wir jetzt brauchen.» Unterstützung im Hier und Jetzt bei einer Lösungsfindung der komplexen Aufgabe – und Starthilfe in eine Zukunft, die nie mehr die gleiche sein wird wie vor Corona.

750 Individual- und Familienbetriebe kommen infrage
Die Pandemie hat der Beherbergungsbranche in der Schweiz arg zugesetzt. Das zeigen Umfragen von HotellerieSuisse, wie Ueli Schneider, Leiter Business-Development, erklärt: «Die Krise führte dazu, dass 67 Prozent der Betriebe ihre Investitionen gestoppt oder zurückgestellt haben.» Sie brauchten das Geld schlicht zum Überleben. Dabei müssten sich die Betriebe dringend für die Zukunft wappnen. Mit einer klaren Positionierung, neuen Ideen und Angeboten, mit Fokus auf die immer wichtiger werdende Nachhaltigkeit. «Corona ist nicht nur eine Gesundheitskrise; beim Reisen und Ferienmachen wird sich vieles grundlegend verändern», sagt Schneider. Niemand weiss, wann sich die Lage normalisieren wird, wann ausländische Gäste zurückkehren. Und eine europaweite Umfrage macht gar deutlich, dass rund 50 Prozent der Geschäftsreisen dauerhaft wegfallen.

«Uns war in Anbetracht der Fakten klar, dass wir in dieser schwierigen Phase die Hotels unterstützen müssen», erklärt Ueli Schneider. Es sei überlebenswichtig, jetzt eine zielgerichtete Strategie zu erarbeiten, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und kommende Trends zu erkennen – oder notfalls auch begleitet den Ausstieg zu schaffen. Das neu ins Leben gerufene Coachingprogramm – das in Partnerschaft mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) umgesetzt wird – konzentriert sich auf Individual- und Familienbetriebe, die das unternehmerische Risiko selber tragen, 10 bis 60 Zimmer bewirtschaften und eine offizielle Sterneklassifizierung haben. «Alles in allem betrifft dies rund 750 Hotels», sagt der Experte. Wichtig: Das Angebot richtet sich an Mitglieder und Nichtmitglieder von HotellerieSuisse. Sie alle können bis Ende 2023 das Know-how eines Coachs über fünf Arbeitstage in Anspruch nehmen und bezahlen dafür lediglich die Spesen und eine allfällige Differenz zum vorgegebenen Stundensatz von 160 Franken.

23,7 Millionen
So viele Logiernächte zählte die Schweiz 2020. Das sind 40 Prozent weniger als im Vorjahr und der tiefste Wert seit den 1950er-Jahren.

93 Prozent
Das ist der Einbruch bei den Gästen aus Indien. Gefolgt von China (– 91 %), Golfstaaten (– 87 %), Vereinigte Staaten (– 84 %), Vereinigtes Königreich (– 68 %).

7600 Stellen
Im Vergleich zum Vorjahr gingen so viele Arbeitsplätze in der Beherbergung verloren (– 10 %). Im Gastgewerbe sind es sogar 40 400 Stellen (– 15,1 %).

2,3 Tage
Ausser in den Städten verzeichnen im Pandemiejahr alle Regionen eine längere Aufenthaltsdauer ihrer Gäste: plus 10 %.

178 089 Betten
Zwei Drittel des ganzen Angebots stellen allein jene Betriebe, die eine Hotelklassifikation besitzen. Sie generieren drei Viertel aller Logiernächte. Quelle: HotellerieSuisse

Massgeschneidert wird dabei ein Schwerpunkt in drei Themenfeldern festgelegt: Restrukturierung mit strategischer und finanzieller Planung, Prozessoptimierung mit Kostenbewusstsein und Digitalisierung, Neupositionierung mit Nachhaltigkeit und dem Erschliessen neuer Märkte. Die Kosten übernimmt die Neue Regionalpolitik des Seco (siehe unten), HotellerieSuisse bildet die Schnittstelle zu den Betrieben und den Coaches, steckt zudem viel personelle Eigenleistung hinein.

Nach und nach nehmen die Experten ihre Arbeit nun auf; seit April haben rund 50 Gespräche stattgefunden. Die Resultate und Erfolge des Programms werden nach Abschluss analysiert.

Ein regionaler Coach mit Erfahrung passt perfekt
Entscheidet sich ein Betrieb zum Mitmachen, durchläuft er zuerst ein Standortgespräch mit Fachleuten von HotellerieSuisse, die für die Klassifikationen zuständig sind. Das fand auch im «Bürchnerhof» im Wallis statt: «Wir waren da sehr ehrlich und haben all unsere Probleme auf den Tisch gelegt – ein spezieller Moment für uns alle», erzählt Sophia Lehner. Im Anschluss daran wurde der Handlungsbedarf bei der Nachfolgeregelung und Neupositionierung festgelegt – und Lehners erhielten fünf Vorschläge für Coaches. Vergangene Woche fand das unverbindliche Kennenlernen mit Martin Zumstein statt, einem selbstständigen Wirtschaftsberater aus Brig. «Uns war wichtig, dass es jemand aus dem Wallis ist, der die Gegebenheiten hier kennt», so die Hotelière. Und dass die Chemie stimmt.

Laut dem Coach helfen Schlagworte wie Positionierung nicht
Rund hundert Coaches sind schweizweit für das Programm registriert. Sie alle haben ihre thematischen Schwerpunkte und können die Betriebe mit Fachwissen unterstützen. Die Fragen rund um Nachfolgeregelungen kennt Martin Zumstein bestens: «Es geht um finanzielle Aspekte, Betriebs- und Eigentumsstrukturen, aber auch um Zwischenmenschliches wie das Loslassen oder die Beziehung innerhalb der Familie.»

In einem ersten Schritt durchleuchtet der Experte bei einem Coaching die Ist-Situation, führt Gespräche, analysiert Dokumente, schaut in die Finanzbücher. Dann formuliert er in einem Bericht die Analyseresultate und die empfohlenen Massnahmen. «Am Schluss entscheiden die Auftraggeber, was sie davon umsetzen.»

Gerade bei einem kleineren Hotel ist sich der Coach bewusst, dass der Betrieb von grundlegenden, kaum veränderbaren Faktoren geprägt sein kann: Saisonalität, dadurch schwankende Erträge, tiefe Wertschöpfung, kaum Reserven und grosser Investitionsbedarf. «Da nützt es nichts, einer Hotelière einfach Schlagworte wie Positionierung und Nachhaltigkeit um die Ohren zu hauen», sagt Martin Zumstein. Vielmehr brauche es da pragmatische Analysen, wo die Treiberfaktoren liegen. Genau das schätzt Sophia Lehner an ihrem Coach bereits nach dem ersten Gespräch: «Er bringt die Sachen auf den Punkt; das ist genau das, was wir jetzt brauchen.»

Mehr Informationen zum Coaching-Programm von HotellerieSuisse


Neue Regionalpolitik

Mit dem Coaching in der Hotellerie unterstützt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein Programm, das kleineren und mittleren Betrieben hilft, gut gerüstet aus der Pandemie zu kommen: «Die strategische Partnerschaft mit einem nationalen Verband gibt uns die Möglichkeit, uns in einem grösseren Ausmass für diese Branche zu engagieren», bestätigt Annette Christeller Kappeler, zuständig für Tourismusfragen bei der Regional- und Raumordnungspolitik.

Bei der Förderung von innovativen Vorhaben durch die Neue Regionalpolitik (NRP) kommt dem Bund meist eine eher strategische Rolle zu, die Umsetzung liegt bei den Kantonen. Und für die Finanzierung von Investitionen in der Hotellerie steht mit der Schweizerischen Gesellschaft für Hotelkredit ein kompetenter Partner zur Verfügung. Doch in diesem neuen Coachingprojekt sieht das Seco die Chance, einen arg Corona-gebeutelten Wirtschaftszweig effizient auf die Zukunft vorzubereiten – und zwar national: «Es braucht innovative Ideen mit Qualität und Entwicklungspotenzial», sagt Christeller Kappeler. Es stehen maximal drei Millionen Franken parat, wobei das Programm jährlich überprüft und je nach Entwicklung angepasst werden kann. Wichtig ist bei der strategischen Partnerschaft mit HotellerieSuisse, dass das Programm allen Hotels offensteht, welche die Voraussetzungen erfüllen – nicht nur den Mitglieder des Verbandes.

Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen, Innovationen fördern und Wertschöpfung generieren – mit der NRP unterstützen Bund und Kantone das Berggebiet, den ländlichen Raum und Grenzregionen in ihrer regionalwirtschaftlichen Entwicklung. Das Coaching ist dabei ein wichtiges Instrument dafür, Unternehmen aus verschiedenen Branchen zu begleiten. «Bis jetzt wurden mit der NRP allerdings vor allem Coachings im Industrie- und Technologiebereich unterstützt», erklärt Annette Christeller Kappeler. Sie erhofft sich, dass mit dem neuen Projekt Wissen und Erfahrung aufgebaut werden, damit in Zukunft vermehrt auch Tourismusakteure davon profitieren können.

seco.admin.ch

regiosuisse.ch/neue-regionalpolitik-nrp

sgh.ch