Muss ein Hotel heute noch Sterne tragen? Betriebe, die sich an den Bedürfnissen künftiger Generationen orientieren, lassen sich oft nur noch schwer einordnen. «Der Hotelmarkt wandelt sich so schnell. Eine Klassifikation, die alle fünf Jahre revidiert wird, kann dem gar nicht gerecht werden», meint Dominik Wyss, Verwaltungsrat der Aargauhotels. Das Unkonventionelle ist bei innovativen Hotels Strategie, ein Raster für die Ausstattung, wie es eine Hotelklassifikation vorgibt, scheint nur einzuengen. Ein Schweizer Beispiel ist das «Revier» – in der Lenzerheide und ab Sommer auch in Adelboden –, das sich an urbanen Trendkonzepten orientiert. «Unserem Auftritt würde keine Sterne-Kategorie gerecht werden. Und selbst für 3 Sterne würden wir die Kriterien nicht erfüllen, da der Stuhl im Zimmer fehlt», so Daniel Renggli, CEO der Revier Hospitality Group AG. Der Gast lasse sich heute vielmehr von Bildern leiten und nicht mehr durch Fakten zur Hotelinfrastruktur.

HotellerieSuisse erfand die Sterne
HotellerieSuisse ist sozusagen Erfinderin der Hotelklassifikation (1979), welche nun Basis für die Klassifikation in anderen Ländern ist. 2009 wurden die Kriterien durch die «Hotelstars Union» europäisch harmonisiert. Neben den Hotelkategorien bietet die Schweiz seit 2019 eine Klassifikation für den Beherbergungstyp Serviced Apartments. Die Kriterien werden regelmässig dem Markt angepasst und in der Schweiz wird alle drei Jahre in den Betrieben die Einhaltung von Auditoren überprüft.
hotelleriesuisse.ch/de/pub/services/klassifikation.htm

Auf Booking sind Hotelsterne die häufigste Suchfunktion
Der Wunsch nach Orientierung genau durch solche Fakten scheint beim Gast aber gleichwohl zu bleiben. «Bei Booking ist die Suche nach Sternen die am meisten gebrauchte Filterfunktion», lässt sich Olivier Grémillon, Vice President of Global Segments der weltweit grössten Buchungsmaschine, auf der Branchen-Newsplattform Skift.com zitieren. Hinter vorgehaltener Hand heisse es bei den Portalen sogar, dass Häuser ohne Sterne nahezu unverkäuflich seien, meint Markus Luthe, Geschäftsführer Dehoga Deutsche Hotelklassifizierung GmbH. Er ist überzeugt, «dass die Bedeutung der Sterne immer grösser wird». Zwar würden gemäss Studien Sterne erst an dritter Stelle beim Buchungsentscheid stehen – nach Gästebewertungen und direkter Empfehlung. Doch «unbewusst sei die Relevanz der Sterne viel grösser für den Gast». Denn Bewertungen würden nicht zeigen, ob es sich um ein Hostel oder ein 5-Sterne-Haus handle. Häufig werde deshalb noch immer erst nach der Auswahl der jeweiligen Sterne-Kategorie auf die Werte bei den Bewertungsportalen geachtet, meint auch Thomas Kleber, COO der Schweizer Sorell Hotels.

Die Hotelbetriebe in Deutschland scheinen die Meinung von Markus Luthe zu teilen: Während in der Schweiz die Mitgliedschaft beim Verband HotellerieSuisse erst seit diesem Jahr nicht mehr an eine Klassifikation gekoppelt ist (siehe Zweittext unten), war eine solche für Verbandsmitglieder im nördlichen Nachbarland noch nie Pflicht und kostet zudem zusätzlich. Trotzdem ist der Anteil der klassifizierten Hotels in Deutschland nicht kleiner als in der Schweiz, wo bis anhin Klassifikationspflicht galt. Auch in anderen europäischen Ländern ohne Klassifikationspflicht sind die Unterschiede oft nur marginal (siehe Grafik).

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Und in jenen Ländern, in denen sich alle Betriebe klassifizieren lassen, ist die Klassifikation von der Regierung vorgegeben. Die Harmonisierung der Klassifikation innerhalb Europas durch die Hotrec, den europäischen Dachverband für Hotels und Restaurants, hat dabei zu einer weitreichenden Vereinheitlichung der Normen geführt und die Gastorientierung zusätzlich vereinfacht.

Die Hotelsterne können dem Gast aber nur dann eine seriöse Orientierung im Dschungel der vielen Beherbergungsvarianten sein, wenn die Minimalstandards im jeweiligen Hotel auch der Sterne-Auszeichnung entsprechen. «Der Verbraucher erwartet, dass die Sterne halten, was sie versprechen», so Markus Luthe. In Deutschland hat man dank dem vergleichsweise strengen Wettbewerbsgesetz bereits vor vier Jahren dem Sterne-Wildwuchs auf den Buchungsplattformen den Riegel geschoben. Booking und Co. dürfen – im Gegensatz zur Schweiz – nur Betriebe mit Sternen krönen, die durch ein objektives System klassiert wurden, faktisch also durch jenes der Dehoga.

Rochade bei den Lead-Auditoren
Altersbedingt kommt es bei den Lead-Auditoren, den Ausführenden des Klassifikations-Audits von HotellerieSuisse (siehe Zweittext unten), zu einem grösseren Wechsel: Aufgrund der Alterslimite treten Pierre Borer (Romandie), Anita Streibich (Deutschschweiz Ost) sowie Hans Ulrich Gerber (Deutschschweiz West) zurück. Deshalb übernimmt Monique Moretti (Graubünden) zusätzlich die Region Ostschweiz, Roland Mattmann (Tessin) die Regionen Zentralschweiz, Zürich und Basel und Jean-Marc Habersaat (Region Genfersee und Genf) die Regionen Freiburg, Jura und französisches Wallis. Ergänzt wird diese Crew für die Regionen deutschsprachiges Wallis, Berner Oberland und Mittelland durch den neuen Lead-Auditor Marc Aeberhard. Die abtretenden Lead-Auditoren werden im 2020 im Zuge der Umstellung wo nötig unterstützend mitwirken.

Preisrelevant ist die Sterne-Kategorie heute per se nicht mehr
Die Bedeutung einer offiziellen Sterne-Klassifizierung als verlässliches Kriterium zum Vergleich von Unterkünften hat man auch bei Tripadvisor erkannt. Bei der Bewertungsplattform lote man aktuell Wege aus, «wie man mit Partnern wie HotellerieSuisse oder Hotrec zusammenarbeiten kann, um den Kunden offizielle Informationen zu Hotel-Sternen zur Verfügung zu stellen», erläutert Fabrizio Orlando, Senior Manager Industry Relations Global, Tripadvisor. Die internationale Plattform wäre dann die erste Buchungsplattform, die sich freiwillig verpflichtet, sich nach einer offiziellen Hotelklassifikationen auszurichten.

Denn gerade für internationale Gäste sind die Sterne eine einfache Orientierungsmöglichkeit, um sicher zu sein, dass sie die Leistung erhalten, die sie erwarten, wie Christian Lienhard, Hotel Hof Weissbad, betont. Was die Sterne aber heute nicht mehr sind, so der Gastgeber weiter: preisbestimmend. «Unser 4-Sterne-Superior-Hotel ist teurer als die meisten 5-Sterne-Hotels in der Schweiz», beobachtet Christian Lienhard. Der Gesamtumsatz pro Gast und Nacht betrage in dem mehrfach ausgezeichneten Hotel im Jahresdurchschnitt 420 Franken. Die Sterne bestimmen demnach nicht mehr das Wertschöpfungspotenzial eines Hauses.

Vielmehr ist es inzwischen umgekehrt, wie Christof Steiner, Direktor Kurhaus Bergün, feststellt. «Die Hauptorientierung für den Gast ist heute der Preis.» Dieser kommuniziere dem Gast, was er erwarten könne. Die gebotene Leistung müsse den Preis wert sein, Ausstattungsdetails, wie sie eine Klassifikation beschreibe, seien dabei sekundär. Das historische Hotel ist nicht klassifiziert. «Unser Haus kann man nicht über ein Sterne-Raster beschreiben», so der Hotelier.

Für Betriebe wie das Kurhaus Bergün besteht mit dem Fallen der Klassifikationspflicht Anfang Jahr nun die Möglichkeit, auch ohne Klassifikation dem Hotelverband anzugehören. Profitieren kann ein solcher Betrieb weiterhin von einem umfassenden Audit, dieses bleibt sogar Pflicht (siehe Zweittext unten). Für Daniel Renggli, der seinen Betrieben zwar keine Sterne verleihen will, behält das Audit seine Bedeutung: «Über die Gespräche mit den Lead-Auditoren erhält man als Hotelier einen guten Benchmark.»


[IMG 3]Christof Steiner, Kurhaus Bergün: «Die Hauptorientierung für den Gast ist heute der Preis. Dieser zeigt, was zu erwarten ist.»


Thomas Kleber, Sorell Hotels: «Häufig wird erst nach der Auswahl der Sterne-Kategorie auf die Bewertung geachtet.»[IMG 4]


[IMG 5]Dominik Wyss, Aargauhotels: «Der Hotelmarkt wandelt sich so schnell. Eine Klassifikation kann das nicht abbilden.»


Markus Luthe, Dehoga: «Der Verbraucher erwartet, dass die Sterne halten, was sie versprechen.» [IMG 6]


[IMG 7]Fabrizio Orlando, Tripadvisor: «Wir loten Wege aus, wie wir offizielle Informationen zu Hotel-Sternen bieten können.»


Daniel Renggli, Revier Hospitality Group AG: «Über die Lead-Auditoren erhält man als Hotelier einen guten Benchmark.» [IMG 8]


Mitgliedschaft und Klassifikation: Audit bleibt Pflicht, aber nicht die Sterne
Bis anhin war eine Mitgliedschaft bei HotellerieSuisse immer mit einer Klassifikation verbunden. Künftig können Mitglieder von HotellerieSuisse frei wählen, ob sie sich weiterhin klassieren lassen wollen oder nicht. Einem Klassifikations-Audit durch die Lead-Auditoren von HotellerieSuisse müssen sich bestehende Mitglieder bei Ablaufe der Gültigkeit der Klassifikation (Wiederholungs-Audit) und Neumitglieder aber immer unterziehen. Damit will der Verband für einen konstanten Qualitätsstandard in der Branche sorgen (siehe Interview).

Das Eintritts-Audit versteht sich dabei sowohl als Überprüfungs- als auch als Beratungs-Audit. Jene, die sich nicht klassifizieren lassen (Kategorie B), haben danach weiterhin die Pflicht der Qualitätsüberprüfung (Klassifikations-Audit) und das Recht der Klassifikation. Alle Mitglieder bezahlen unabhängig davon, ob sie sich klassifizieren lassen oder nicht, einen jährlichen Sockelbeitrag, der sich abgestuft am jeweiligen Klassifikations-Audit oder der jeweiligen Klassifikation des Betriebes orientiert. Referenz dafür ist das per 1. Januar des jeweiligen Jahres gültige Klassifikations-Audit respektive die Klassifikation. Eine Nichtbeanspruchung der Klassifikation muss beim Verband schriftlich beantragt werden.

Das initiale Audit bei Neueintritt dient dazu, dass Betriebe, die sich nicht klassieren lassen wollen, in die korrekte Kategorie eingestuft werden können. Der Betrieb ist grundsätzlich derjenigen Kategorie zuzuteilen, bei der er 90 bis 100 Prozent der Punktezahl der jeweiligen Klassifikationsstufe erreicht. Die zugeordnete Kategorie muss zudem dem Gesamteindruck entsprechen. Die Auflagen (Zustandsauflagen oder Sicherheitsauflagen) eines «nicht klassierten Betriebes» müssen für eine definitive Mitgliedschaft analog dem Klassifikations-Audit innert einer Frist von 3 Monaten abgearbeitet werden.

Es besteht keine Publikationspflicht der Sterne-Klassifikation nach aussen. Wird auf die Klassifikation jedoch verzichtet, hat der Verzicht auf eine Publikationspflicht vollumfänglich zu erfolgen, das heisst auf allen Off- und Online-Kanälen. Der Verband wird dies aktiv kontrollieren.

Die neuen Mitgliedschaftskonditionen gelten seit diesem Jahr. In die Praxis implementiert werden sie ab April und sind bis dann auch online.