Wir probieren gerade etwas Neues und Spannendes mit einer Ihrer stornierten Buchungen aus.» Wer eine Mail mit dieser Einleitung von Booking.com erhält, sollte hellhörig werden. Denn Booking experimentiert wieder. Nach dem umstrittenen Programm «Risk Free Reservations» (die htr berichtete am 24. Januar 2018), welches inzwischen nachweislich auch bei Schweizer Hotels zur Anwendung kommt, gibt es nun «Delayed Cancellations». Und auch bei «Delayed Cancellations» werden stornierte Buchungen nicht zurück an das Hotel gegeben, sondern vorübergehend zurückbehalten und selber weiterverkauft.
Das Prinzip funktioniert so: Tritt ein Gast von einer über Booking.com getätigten kostenlos stornierbaren Buchung zurück, hält das Portal die Buchung für bis zu 24 Stunden aufrecht und versucht, in diesem Zeitraum einen Ersatzgast zu finden. Das Hotel selber bekommt davon zunächst nichts mit. Erst wenn nach 24 Stunden kein Ersatzgast gefunden werden konnte, geht das freigewordene Zimmer zurück an das Hotel. Findet sich innert Frist hingegen ein neuer Gast, bucht Booking das Zimmer auf ihn um und leitet die entsprechenden Angaben an das Hotel weiter.
Laut Booking läuft der Test schon seit Januar. Bei welchen Schweizer Hotels «Delayed Cancellations» angewendet wird oder wurde, ist nicht bekannt. «Seit Beginn haben viele Partner in der Schweiz an der Testinitiative teilgenommen», teilt Booking lediglich auf Anfrage mit. Pikant dabei ist, dass die Teilnahme an dem Test wie bereits bei «Risk Free Reservations» automatisch erfolgt, es sei denn, das betroffene Hotel widerspricht dem aktiv («opt-out»).
Per Zufall von der Teilnahme am Test erfahren
Die htr hat Kenntnis von mehreren betroffenen Hotels in der Schweiz. Eines davon ist das «Mercure Stoller» in Zürich. Verwaltungsratspräsident Werner Stoller ist über das Vorgehen von Booking verärgert. Man sei im Vorfeld von Booking nicht über die Teilnahme an «Delayed Cancellations» informiert worden. Dass sein Hotel an dem Test teilnimmt, sei allein per Zufall ans Licht gekommen: «Wir haben gemerkt, dass sich unsere Parameter verändert haben. Als wir nachschauten, haben wir das Opting-Out gefunden. Es ist eine absolute Frechheit, wie Booking mit uns umgeht.»
Auf die Praxis angesprochen, verweist Booking auf die sogenannte «Auto-Replenishment»-Funktion. Sie erlaubt es Booking, eine stornierte Buchung automatisch erneut auf der Plattform anzubieten. Ein Betrieb müsse sich zuvor für diese Funktion angemeldet haben, damit er für «Delayed Cancellations» überhaupt in Frage kommt.
Dem widerspricht ein Berner Hotelier, der namentlich nicht genannt werden möchte. «Ich hatte vor ein paar Jahren einen Fall, dass Booking Zimmer gebucht hatte, obwohl wir ausgebucht waren und das System geschlossen war. Erst da habe ich gemerkt, dass bei uns ‹Auto-Replenishment› aktiviert war.» Für den Hotelier ein klarer Fall von «opt-out» und nicht etwa einer aktiven «Anmeldung» durch das Hotel. Und obwohl er die Funktion damals deaktiviert habe, wurde sein Betrieb im April 2018 trotzdem von Booking zur Teilnahme an «Delayed Cancellations» auserkoren. «Wenigstens kam eine Mail an mich und wir konnten sofort reagieren.» Er weiss jedoch von einem anderen Berner Hotel, bei dem die Mail wegen Ferienabwesenheit erst viel später gelesen wurde. Ausserdem könne Booking Nachrichten über das «Extranet» senden. «Wenn die Réceptionisten nicht aufpassen, können Tage vergehen, bis das die Direktion sieht», warnt der Hotelier.
Offiziell will Booking den Hotels mit «Delayed Cancellations» Zeit und Aufwand ersparen. «Wir nehmen an, mit der Initiative mögliche Unannehmlichkeiten für unsere Partner zu reduzieren, die aus der Stornierung von Buchungen entstehen können, indem sie wieder angeboten werden und Zimmer so schnell wie möglich wieder belegt werden können», teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. Roland Schegg, Professor am Institut für Tourismus der Fachhochschule Westschweiz HES-SO, erkennt in dem Test hingegen den Versuch des Unternehmens, sich Kommissionen zu sichern. «Wenn das Hotel das Zimmer nach der Stornierung direkt verkauft, hat Booking.com nichts mehr davon.»
Booking könnte mit den letzten Zimmern Kasse machen
Deutlich pessimistischer ist die Interpretation des anonymen Berner Hoteliers: «Es scheint klar, dass Booking sich so Zimmerkontingente sichert.» Er zeichnet folgendes hypothetisches Szenario: Booking bucht mit «Strohmännern» auf der eigenen Plattform 20 Zimmer im Voraus für einen Mittwoch während der Regierungssession. Sobald das Angebot knapp wird, die Zimmerpreise steigen und die Hotels die letzten verbleibenden Zimmer selber verkaufen wollen, verkauft Booking die 20 Zimmer weiter. «So verschafft sich Booking eine Last Room Availability, obwohl die Wettbewerbskommission dies als rechtswidrig eingestuft hat.»
Der Frage, ob Booking den Preis stornierter Buchungen bei der Vermittlung an einen neuen Kunden anzupassen gedenkt, weicht das Unternehmen aus. «Die Preise bei Booking.com werden von den Partnern festgelegt», heisst es. Eine eigene Theorie hierzu hat indes auch der namenlose Hotelier: «Ich gehe davon aus, dass Booking von Fall zu Fall entscheidet, ob es den tieferen Zimmerpreis vom stornierten Zimmer oder den höheren Marktpreis von der späteren Buchung anwendet.» Booking sei daran interessiert, möglichst hohe Preise und somit möglichst hohe Kommissionen zu erzielen. Seinen Kollegen empfiehlt er, sich bei «Delayed Cancellations» abzumelden.
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