Aus dem Meer ragen bizarre Eisberge, die aussehen wie schwerelose Origami-Gebilde. Auf dem Strand liegt Schnee, das Wasser hat drei Grad. Dennoch wagen sich Touristen in Badehose hinein, Pinguine sehen ihnen interessiert zu.
«Das fühlt sich an wie Messerstiche», sagt Even Carlsen aus Norwegen, als er sich in das eisige Meer stürzt. Um Half Moon Island zu erreichen, eine sichelförmige Insel in der Antarktis, hat der 58-Jährige 14'000 Kilometer zurückgelegt, tausende Euro ausgegeben und die Umwelt mit mehr als fünf Tonnen Kohlendioxid belastet.
Die Tiere scheinen sich nicht an den Eindringlingen in neonfarbener Funktionskleidung zu stören. Seelöwen und Robben faulenzen in der Sonne, majestätische Wale gleiten durch die Wellen, Pinguine watscheln tapsig durch den Schnee.
Half Moon Island gehört zu den Südlichen Shetlandinseln, auf die sowohl Argentinien als auch Chile und Grossbritannien Anspruch erheben. Die Insel ist nur mit dem Schiff oder Hubschrauber zu erreichen.
Angeblich umweltverträglich
Die Antarktis sei «wie das Herz der Erde», sagt Marcelo Leppe, der Leiter des chilenischen Antarktisinstituts. Sie weite sich und ziehe sich wieder zusammen wie ein schlagendes Herz. Die mächtige Strömung, die sich um den Kontinent bewegt, arbeite wie ein Kreislaufsystem, das warme Strömungen aus anderen Ozeanen absorbiere und kaltes Wasser umverteile, erklärt der Wissenschaftler.
Die antarktische Landzunge, die sich Richtung Feuerland nach Norden erstreckt, erwärmt sich rasant. Die Gletscher schmelzen und durch die Strömung ist Mikroplastik ins Ökosystem gelangt.
Die Reiseveranstalter beteuern, dass ihr Tourismus in der Antarktis umweltverträglich sei. «Nimm nichts mit ausser Fotos, hinterlasse nichts ausser Fussspuren, behalte nichts ausser Erinnerungen», lautet ihre Regel für die Reiseteilnehmer. Die Touristen wollen die Antarktis auch deshalb sehen, weil es die Landschaft so vielleicht eines Tages nicht mehr geben wird.
Zweifel angemeldet
Mit ihrer Reise, durch die Emissionen der Flüge und Kreuzfahrtschiffe, tragen die Touristen dazu bei, die Region zu zerstören, monieren Kritiker.
Auf Half Moon Island ist gerade Frühjahrsbrutzeit der Zügelpinguine, die ihren Namen wegen des schwarzen Streifens entlang des Kinns tragen. Sie strecken die Schnäbel in den Himmel und kreischen aus ihren felsigen Nestern heraus. «Damit sagen sie anderen Männchen ‹Das ist mein Revier› und vielleicht auch ‹Das ist mein Weibchen›», erklärt Ornithologin Rebecca Hodgkiss.
Die Kolonie umfasst 2500 Pinguine. In den vergangen Jahren wurden es immer weniger. Ob der Mensch daran schuld ist? Keiner kann es genau sagen. (sda/afp)