Viele Tourismusorganisationen in der Schweiz haben sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich gewandelt. Sie kommen weg vom reinen Marketing und formen sich zu einer Netzwerkfirma, die touristische Partner zusammenbringt, neue Angebote kreiert und die Destination aktiv weiterentwickelt. Exemplarisch dafür stehen Zürich Tourismus und Bern Welcome. «In Bern stehen die Produkte im Zentrum», sagt Manuela Angst von Bern Welcome. Zwar verlangten alle noch immer reine Marketingkampagnen, aber: Die Destination Bern ist divers und gross. Sie bietet das Städtische und das Ländliche. Wegen der unterschiedlichen Bedürfnisse und Angebote in den Teilregionen von Laupen bis Schangau sieht sich die Destination Management Organisation (DMO) in der Pflicht, alle Akteure innerhalb und entlang der Dienstleistungskette zusammenzubringen.
Namhafte lokale Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und diversen Tourismusbereichen haben gemeinsam Tourismusentwicklungspunkte definiert.
Christoph Leibundgut, Manager Communication Interlaken Tourismus
Mit dem Vernetzungsgedanken im Fokus, will sich Bern Welcome als Gesamtregion positionieren und sich auf innovative und ressourcenschonende Weise zu einer wettbewerbsfähigen Destination entwickeln. Als einzige der befragten DMOs verfügt Bern Welcome in der Geschäftsstelle sogar über eine Netzwerkabteilung bestehend aus sechs Personen. Bereits konnten erste konkrete Ergebnisse der Zusammenarbeit umgesetzt werden. Beispielsweise die Eröffnung von szenischen Radwanderrouten in den einzelnen Regionen. Die Vernetzung sei nicht nur operativ wichtig. «Sie läuft auf verschiedenen Ebenen», sagt Manuela Angst. Das Controlling erfolgt schliesslich über den Destinationsrat, in dem alle Präsidien der Teilregionen und Expertinnen und Experten Einsitz nehmen.
Keine Destinationsstrategie ohne örtliche Leistungsträger
Leonie Liesch, Präsidentin des Verbands Schweizer Tourismusmanager, sagt: «Die Destinationsstrategie ist meist ein Zusammenspiel von Gemeinde – also der öffentlichen Hand – und Tourismusorganisationen.» Der Grund liege darin, dass ein Grossteil der Destinationen im Auftrag der Gemeinde einem Leistungsauftrag nachgehe, deshalb empfehle sie auch, die örtlichen Leistungsträger einzubinden, die in den Destinationen je nach Grösse und Wirkung eine wichtige Rolle einnähmen. «In Bergregionen gehören hier sicherlich die Bergbahnen dazu.»
Diese Empfehlung toppte die Destination Gstaad, als sie vor einem Jahr die Destinationsstrategie überarbeitete. Sie hat sage und schreibe 31 Partner eingebunden. Laut Tourismusdirektor Flurin Riedi ist das in der Schweiz einzigartig. Die Destination umfasst die Gemeinden Saanen, Lauenen, Gsteig und Zweisimmen. In der Überarbeitung der Strategie haben die vier Gemeinden mitgewirkt. Sie unterstützen die DMO finanziell. Zusätzlich wurden alle Leistungsträger eingebunden, die einen direkten Bezug zum Tourismus haben wie etwa die Hotellerie, die Bergbahnen oder die Dorforganisationen, die ein Bindeglied zwischen der DMO und der Bevölkerung sind.
Neben den Direktbetroffenen wurden eben auch viele weitere Akteure wie etwa das Gewerbe, die Grossanlässe und die Landwirtschaft einbezogen. Dass sogar die Landwirtschaft an Bord ist, begründet Flurin Riedi damit, dass sie mit der gelebten Tradition einen wesentlichen Teil an die Authentizität der Region beiträgt und deshalb ein gutes Miteinander wertvoll sei. Mit dem Ergebnis der Strategie ist Flurin Riedi zufrieden: «Jetzt besteht in der Destination ein gemeinsames Verständnis, und die Kooperation wird selbstverständlich gelebt.»
Auch Gstaad verfügt über ein Controlling, den Destinationsrat. Er besteht aus allen 31 Unterzeichnenden, tagt mindestens zweimal jährlich und hat drei Aufgaben. «Wichtige Projekte und Massnahmen werden zuerst diskutiert, dann in die Handlungsagenda aufgenommen und schliesslich im Sinn eines Controllings überprüft», sagt Tourismusdirektor Riedi.
Auch Partizipation in Leukerbad mit neuer Strategie
Den partizipativen Gedanken verfolgen auch das Engadin und Leukerbad VS. Aber beide Destinationen konzentrieren sich auf die Hauptakteure. In Leukerbad ist die Lage etwas speziell. Die sechs systemrelevanten Tourismusdienstleister der Region wurden 2017 zur My Leukerbad AG fusioniert. Gleichzeitig aber nimmt die My Leukerbad AG die Aufgaben der DMO wahr. Bei der Fusion wurde ein Masterplan ausgearbeitet, worauf die neue Destinationsstrategie basiert, die vergangenes Jahr abgesegnet wurde. Sie wurde gemeinsam mit unabhängigen Experten, dem Hotelierverein, den Ferienwohnungsbesitzern sowie der My Leukerbad AG erarbeitet. «Die Gemeinden wollten jedoch bewusst nicht in den Prozess eingebunden werden, damit die Destinationsstrategie nicht plötzlich zum Politikum wird», sagt Urs Zurbriggen, CEO der My Leukerbad AG.
Jetzt besteht in der Destination ein gemeinsames Verständnis.
Flurin Riedi, CEO Gstaad Saanenland Tourismus
Im Engadin ist der Überarbeitungsprozess der Destinationsstrategie in vollem Gange, indem die zwölf Gemeinden über deren lokalen Tourismusmanager eingebunden sind. Zudem sind auch die Vereinigungen von Hotellerie, Parahotellerie, Bergbahnen sowie Handel und Gewerbe dabei, wenn die überarbeitete Strategie verabschiedet wird, so Thomas Rechberger von der Engadin St. Moritz Tourismus AG (ESTM AG). Zusammenarbeit wird auch im Engadin grossgeschrieben. Diese erfolgt projektbezogen, insbesondere bei den Angeboten von regionaler Bedeutung wie «Sleep and Ski» und «ÖV inklusive» oder auch gemeinsamen Vermarktungsaktivitäten in den Fernmärkten.
Je heterogener die Destination, desto mehr Entwicklung
Auch Interlaken reihte vor der Pandemie Rekord an Rekord. Das führte zu immer mehr Verkehr und damit verbunden zu verstopften Strassen. Die Tourismus-Organisation Interlaken (TOI) reagiert nun mit einem Gästeleitsystem darauf. Mit der Gästekarte will sie die Besuchenden weg von der Strasse in den öffentlichen Verkehr bringen. Christoph Leibundgut, Manager Communication bei Interlaken Tourismus, ist überzeugt, dass es Sinn macht, dass der Tourismus, die Politik und die Wirtschaft eng zusammenstehen, damit eine Destination nachhaltig erfolgreich sein kann. Zwar bleibe Gäste gewinnen und halten eine Kernkompetenz von TOI, daneben sieht sich die DMO in der Pflicht, den Tourismus in der Region weiterzuentwickeln.
Die ESTM AG im Engadin sieht sich ebenfalls als Tourismusentwicklerin, was sie aber eher an konkreten Anlässen festmacht. Im Winter 2025 findet im Engadin die Freestyle-Weltmeisterschaft statt. Der Grossanlass sei eine Chance, bestehende und neue Angebote für die nächste Gästegeneration auszurichten, sagt Thomas Rechberger. Er denke da nicht nur an den Schneesport, sondern auch an Lifestyle, Musik oder Kulinarik. Gstaad hat für die Tourismusentwicklung ein eigenes Departement gegründet, das sich zudem um die Nachhaltigkeitsaspekte der Region kümmert. Es hat in den vergangenen Jahren verschiedene Partner an den Tisch gebracht. Aus diesen Kooperationen sind beispielsweise Familien-Erlebniswege, ein Indoor-Familienangebot und beschneite Langlaufpisten entstanden.
Die fünf Destinationen gehen in ihrem DMO-Verständnis neue Wege. Die Weiterentwicklung der Regionen erreichen sie mit Netzwerkarbeit, erarbeiten Lösungen für Probleme und kreieren immer öfter auch Angebote, die sie über ihre Kanäle vermarkten.
Blanca Burri