Das Berggasthaus Ortstockhaus liegt oberhalb von Braunwald und ist nur zu Fuss, mit dem Velo oder mit Ski erreichbar. Auf der Sonnenterrasse sind die Gastgeberinnen Gaby Hofmann und Sabrina Herger gerade im Gespräch mit Gästen. Sie erklären die Blumen in der Rabatte: «Borretsch, Kapunzinerblüten und Ringelblumen. Die essbaren Blüten verwenden wir als Tellerdeko.» Die Aussicht ist fantastisch: Der Blick schweift über das Glarner Grosstal und die Glarner Alpen. Zur Rechten erhebt sich der Ortstock, ein 2717 Meter hoher Berg, auf dessen Grat die Grenze zum Kanton Schwyz verläuft. Das Ortstockhaus trägt seinen Namen. Es steht auf einer Moräne auf halber Höhe zum Gipfel. Das Berggasthaus wurde heute Freitag von Icomos Suisse als «Historisches Hotel des Jahres 2023» ausgezeichnet. 

Als Bergfreunde erwanderten der bekannte Architekt Hans Leuzinger (1887-1971) und der Schwandener Peter Tschudi ihre Heimat. Sie suchten den schönsten Ort auf der Braunwald Alp, um darauf ein Sporthaus zu bauen. Peter Tschudi wollte den Gästen im aufstrebenden Wintertourismus eine einfache, aber bequeme Übernachtungsmöglichkeit bieten. Das Land erwarb er von der Alpkooperation. In nur drei Monaten wurde das Ortstockhaus im Herbst 1931 erstellt. Moritz Flury-Rova, Jurypräsident von Icomos Suisse, findet es wichtig, auch Häuser aus einer Epoche auszuzeichnen, die eher selten unter den Preisträgern vertreten sind. «Der Bau ist sehr speziell und das Interieur erhalten, das macht das Ortstockhaus einzigartig.» 

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Das Ortstockhaus ist im Stil des «Neuen Bauens» konstruiert. Er steht für formal und technisch fortschrittliche Architektur nach dem Ersten Weltkrieg. Das Berggasthaus verfügt über eine konkave Gebäudeform, an die sich eine vom Wind geschützte Terrasse anschmiegt. Das Restaurant befindet sich im Erdgeschoss. Von jedem Tisch blickt man durch grosszügige Fenster hinaus in die Natur. Durch die gerundete Fassade verändert sich der Blickwinkel auf die Glarner Alpen – je nach dem, wo man sitzt. In den 1930er-Jahren eine Neuheit. Der Bau zieht bis heute interessierte Architekturexperten an. Die Rundung des Hauses und sein Pultdach verleihen dem Gebäude etwas Organisches, ein Gegensatz zu den Felswänden im Westen und der Streusiedlung im Osten. 

Auch wegen der dunkeln Eternitfassade, auf der die roten Fensterläden rot leuchten, fügt sich das Gebäude schlicht in die Landschaft. Der schwarze Eternit und die grossen Fenster absorbieren Wärme und tragen so zu angenehmen Temperaturen im Innern des Hauses bei. «Scheint die Sonne, müssen wir viel weniger heizen», sagt Gaby Hofmann. Das Haus ist dafür ideal nach Süden hin ausgerichtet.  [RELATED]

Von der Terrasse führen drei Stufen ins Restaurant, wo es nach dem aromatischen Spielhofkaffee aus der Stadtglarner Rösterei duftet. Die glänzend lackierten Tische aus Weisstannenholz mit schwarzem Linoleum überzogen wirken traditionell und modern zugleich. Der Architekt Hans Leuzinger hat auch die Möbel für das Haus entworfen, gefertigt wurden sie von der traditionsreichen Möbelfabrik Horgenglarus in Glarus, welche die Möbel bei Bedarf bis heute repariert. Hier setzt man sich gerne zu Tisch. Das Ortstockhaus-Team serviert ein pikantes Kichererbsen-Curry, das mit einem Dörrfrüchte-Spiesschen und einer Borretsch-Blüte dekoriert ist. Für den kleinen Hunger gibt es Salat mit Haussauce oder ein «Uufschniider»-Plättli. Der Käse stammt aus dem Durnachtal, das vom Ortstockhaus zu sehen ist. Eine à-la-carte Karte gibt es nur am Mittag. Den Hausgästen wird abends ein Hüttenmenü serviert.

Heute gehört das Haus der OSH Braunwald GmbH. Sie hat es vor fünf Jahren von Grund auf saniert. «Für den grossen Umbau mussten die Materialien mit der Standseilbahn von Linthal ins autofreie Braunwald gebracht werden», sagt Marion Steiger von der OSH Braunwald GmbH. «Die Auszeichnung bedeutet für uns und für das über neunzigjährige Berggasthaus eine grosse Ehre.» Da es auch heute keine ganzjährige Zufahrt gibt, werden die Lebensmittel und sonstigen Materialien mit der hauseigenen Transportbahn angeliefert. Das ist eine logistische Meisterleistung: Das Material wird von der Standseilbahn in Braunwald mit einem Fahrzeug zur Talstation Gumen gebracht, mit der Bahn hochtransportiert und von dort mit der Transportbahn zum Ortstockhaus geliefert. «Das ist anstrengend und aufwendig», meint Gaby Hofmann, «aber nachhaltig.»  

Zwischen Gasthaus und Hüttenleben 
Bei Gaby Hofmann löst die Auszeichnung zum «Historischen Hotel» ambivalente Gefühle aus. «Ich freue mich für die Besitzerin, die das Haus aufwendig saniert und für die Öffentlichkeit erhalten hat.» Aber es flösst ihr auch Respekt ein. Sie befürchtet, den Erwartungen nicht gerecht zu werden, denn: «Die Auszeichnung suggeriert, dass wir ein Hotel sind. Aber wir sind mehr Hütte als Hotel mit Stockbetten in Mehrbettzimmern.» Das Haus bietet 27 Schlafplätze, verteilt auf 3 Zwier-, ein Dreier-, zwei Vierer- und zwei Fünferzimmer im Original-Stil. Karierte Duvetanzüge verleihen ein typisches Alpengefühl. Die Toiletten und Duschen befinden sich auf der Etage. «Bei der Reservation werden wir gut informieren, damit die Gäste keine falschen Erwartungen haben», sagt sie. 

Ortstockhaus

[IMG 7]Als «Historisches Restaurant 2023» von Icomos ausgezeichnet wurde das Belle-Epoque-Restaurant Le Tonnelier in Bulle FR.


Icomos
Die Auszeichnung «Das historische Hotel/Restaurant des Jahres», mit der jedes Jahr gastgewerbliche Betriebe für die Erhaltung und Pflege historischer Bausubstanz gewürdigt werden, ist zum 27. Mal in Folge verliehen worden. Mit dem «Ortstockhaus» in Braunwald GL wird ein Berggasthaus «Historisches Hotel des Jahres 2023». Zum «Historischen Restaurant des Jahres 2023» wurde «Le Tonnelier» in Bulle FR gekürt. Die Auszeichnung basiert auf der Zusammenarbeit von Denkmalpflege, Gastronomie und Tourismus und wird von den Fachverbänden Icomos Suisse, GastroSuisse, HotellerieSuisse und Schweiz Tourismus getragen. Eine Jury, bestehend aus Expertinnen und Experten von Denkmalpflege, Architektur, Geschichte, Hotellerie und Restauration, kürt die Preisträger aufgrund der eingereichten Bewerbungen und nach Besuchen vor Ort. Die Auszeichnung wird jeweils im Herbst für das Folgejahr verliehen. Die Ausschreibung für das das «Historische Hotel und Restaurant 2024» wird in den nächsten Wochen auf auf der Website von Icomos publiziert. Die Bewerbungsfrist läuft bis Ende Februar 2023.  
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