Selina Döringer, Sie sind vor vier Jahren als Geschäftsführerin angetreten, um die Moosalpregion neu zu positionieren. Dann kam die Pandemie. Ein harter Schlag?
Es waren für alle Bergbahnen zwei harte Jahre, aber mit unserer neuen Positionierung hatten wir grosses Glück. Als Region für Entschleunigung und Naturnähe haben wir ziemlich genau den Nerv der Zeit getroffen. Während der Corona-Krise haben viele Menschen die Abgeschiedenheit in der Natur gesucht – und die Moosalpregion als Rückzugsort entdeckt. Dieser Trend hat sich sogar auf die Chaletverkäufe positiv ausgewirkt. Jahrelang fanden sich keine Käufer, während der Pandemie gingen die Immobilien dann weg wie warme Weggli.

Also hatte die Pandemie auch positive Effekte?
Nun ja, ich habe auf jeden Fall gelernt, wie man dauerflexibel bleibt. (lacht) Für die Moosalpregion hatte die Pandemie Vor- und Nachteile. Einerseits konnten wir uns touristisch als Rückzugsort profilieren, insbesondere im Sommer hatten wir viele Gäste, andererseits hatte die Bergbahn hohe Umsatzeinbussen wegen all der Corona-Einschränkungen. Und da wir lediglich einen Winterbetrieb haben, konnten die Bergbahnen von den guten Sommerfrequenzen nicht profitieren.

Die Gäste wollen nicht nur in die Berge hochgefahren werden, sie wollen hier vor allem etwas unternehmen und neue Erfahrungen machen.

Im Winter haben Sie vor allem Familien als Stammgäste, für die Sie neue Unterhaltungsangebote wie den Brack.ch Skimovie in die Moosalpregion geholt haben. Wie kommt das an?
Beide Angebote kommen super an. Beim Skimovie werden die Gäste auf einer Rennstrecke gefilmt und können dann ihr persönliches Video downloaden. Das ist vor allem für Kinder und Jugendliche aufregend – letztes Jahr hatten wir 10 000 Fahrten, die auch rege auf den sozialen Netzwerken geteilt wurden. Solche Film-Souvenirs sind für die Region natürlich beste Werbung.

Arbeiten Sie auch mit Influencern?
Nein. Einerseits ist das eine Frage des Budgets, andererseits wollen wir möglichst authentisch sein. Wer für unsere Region wirbt, sollte sich mit uns identifizieren können. Darum setzen wir lieber auf lokale Botschafter. Und da haben wir das grosse Glück, mit dem Slalomfahrer Ramon Zenhäusern einen erfolgreichen Sportler in der Region zu haben, der unseren Namen in die Welt hinausträgt.

Sie und Ihr Lebenspartner Fabrizio Gull, der mit Ihnen die Geschäftsleitung teilt, wurden mit dem Tourismuspreis Milestone in der Kategorie «Nachwuchs» ausgezeichnet. Was zeichnet innovative Köpfe aus?
Man darf keine Angst vor dem Scheitern haben und auch nicht den Anspruch, dass alles von Anfang an klappt. Wir haben Ideen ausprobiert, auch wenn sie vielleicht noch nicht ausgereift waren, ganz nach dem Prinzip «trial and error». Es ist nämlich oft effizienter, neue Angebote direkt auf dem Markt zu testen. Was an den Kundinnen und Kunden vorbeizielt, wird entweder wieder verworfen oder Schritt für Schritt angepasst, bis man das optimale Produkt hat.

Zur Person: Chefin – direkt nach dem Studium
Selina Döringer (30) absolvierte die Höhere Fachschule für Tourismus Graubünden und war bereits während des Studiums in der Marketing- und Eventbranche tätig. Gleich nach ihrem Abschluss wurde die gebürtige Zürcherin im Jahr 2018 zur Geschäftsführerin der Moosalpregion im Wallis ernannt. Die diplomierte Touristikfachfrau trat die neue Herausforderung gemeinsam mit ihrem Partner Fabrizio Gull an, ebenfalls Tourismusfachmann. Zusammen übernahmen sie die operative Leitung der Destination, zu der die Bergbahnen und die damals neu gegründete Moosalp Tourismus AG gehören. Das junge Duo hat die Destination erfolgreich neu positioniert – als Region für Entschleunigung und Naturerlebnisse. Unter ihrer Ägide wurden professionelle Strukturen geschaffen und 2019 die Moosalp Services GmbH gegründet. Zudem hat die Geschäftsleitung neue, populäre Winterangebote wie den Freeridecross und den Brack.ch Skimovie lanciert, und im Sommer wird zum ersten Mal eine Etappenankunft der Tour de Suisse auf der Moosalp stattfinden. Für ihr Engagement wurden Selina Döringer und Fabrizio Gull 2020 mit dem Innovationspreis Milestone in der Kategorie «Nachwuchs» ausgezeichnet. Im letzten Dezember gaben die beiden bekannt, dass sie die Moosalpregion im September 2022 verlassen, um sich neuen Herausforderungen zu stellen.

Wie innovativ sind die Schweizer Bergbahnen?
Es gibt sehr innovative wie etwa die Jungfraubahnen mit ihrem V-Bahn-Projekt oder die Weisse-Arena-Bergbahnen im Bereich Digitalisierung, aber auch einige, die noch nicht verstanden haben, dass Bergbahnen nicht bloss Transportunternehmen sind. Die Gäste wollen nicht nur in die Berge hochgefahren werden, sie wollen hier vor allem etwas unternehmen und neue Erfahrungen machen. Schon die Fahrt sollte also zum Erlebnis werden, indem sie so attraktiv und komfortabel wie möglich gestaltet wird. Die technische Seite eines Bergbahnbetriebs ist heutzutage nur ein Teil des Gesamtpakets.

Wie viel technisches Know-how haben Sie mitgebracht?
Gar keines, aber ich habe einiges dazugelernt. Wie gesagt, als Bergbahn-CEO muss ich nicht primär sicherstellen, dass die Bergbahn fährt, dafür haben wir Spezialisten im Team. Meine Hauptverantwortung besteht darin, die Moosalpregion als attraktiven touristischen Dienstleistungsanbieter weiterzuentwickeln.

Was haben Sie in den vier Jahren an der Spitze eines Unternehmens gelernt?
Dass es nicht den einen richtigen Führungsstil gibt. Es kommt immer darauf an, wen man führt. Jeder reagiert anders, und man muss auf seine Mitarbeitenden individuell eingehen.

Ticken Männer in Chefpositionen anders als Frauen?
Es gibt sicher gewisse Tendenzen, gerade bei der Personalführung. Die Bergbahnbranche hat den Ruf eines rauen Business, wo der Chef traditionsgemäss das Sagen hat. Ich aber stehe für einen zeitgemässen Führungsstil. Wir haben flache Hierarchien, mein Team und ich arbeiten auf Augenhöhe. Damit sich diese Unternehmenskultur im Alltag etablieren kann, muss man jedoch ganz oben ansetzen. Deshalb finde ich es wichtig, dass mehr Frauen in den Entscheidungsgremien einsitzen.

Als Sie angefangen haben, waren Sie mit 26 Jahren nicht nur die jüngste, sondern auch die einzige weibliche Bergbahn-CEO in der Schweiz. Warum gibt es so gut wie keine Kaderfrauen in Ihrer Branche?
Ich denke, Frauen haben einen gewissen Respekt vor einer Führungsaufgabe in einer so männerdominierten Branche. Und vielleicht auch Angst, dass wenn sie es nicht packen, es dann heisst: Tja, sie ist halt eine Frau.

Warum haben Sie sich nicht entmutigen lassen, direkt nach dem Studium als Chefin anzufangen?
Ich glaube, der Trick ist, nicht zu viel zu grübeln. Nach dem Studium war ich unendlich motiviert, in der Branche etwas zu bewegen. Darum habe ich auch nicht lange gezögert, als mir die Möglichkeit geboten wurde. Geholfen hat aber sicher auch, dass mein Lebenspartner und ich die Geschäftsleitung gemeinsam übernommen haben. Fabrizio ist mein Stellvertreter, und es ist immer leichter, Herausforderungen zu zweit anzupacken.

Als Region für Entschleunigung und Naturnähe haben wir ziemlich genau den Nerv der Zeit getroffen.

Warum wurden Sie Geschäftsführerin und nicht Ihr Partner?
Das haben wir gemeinsam entschieden. Ich kann sehr gut den Überblick behalten und die Fäden in der Hand halten, Fabrizio ist eher der Ideengeber.[DOSSIER]

Wie ist es, mit dem Partner zu arbeiten?
Unsere gemeinsamen Projekte machen einen grossen Teil unserer Beziehung aus, und das funktioniert bereits seit zehn Jahren sehr gut. Wir brennen für unsere gemeinsamen Projekte und beschäftigen uns oft auch in unserer Freizeit damit. Es ist daher auch mehr Verständnis für den anderen da, wenns mal spät oder stressig wird.

Und wenn Sie mal nicht derselben Meinung sind?
Wir haben eher das Problem, dass wir die Dinge oft zu ähnlich sehen. Darum holen wir regelmässig Meinungen von Dritten ein.

Ende 2021 haben Sie und Ihr Partner entschieden, sich ab September neu zu orientieren. Fabrizio Gull geht zu Zermatt Tourismus – und wohin zieht es Sie?
Das ist noch nicht definitiv. Aber ich weiss, dass es nach vier Jahren Zeit ist für eine neue Herausforderung.