Im Spätherbst wird alljährlich der Adecco-Fachkräftemangel-Index Schweiz veröffentlicht, welcher in Zusammenarbeit mit dem soziologischen Institut der Universität Zürich erstellt wird. Die Aussage, die zur Situation in unserer Branche gemacht wird, lässt sich stets vorhersagen: Das Gastgewerbe kennt keinen Fachkräftemangel. Im Gegenteil, es gibt – das sagen uns auch die Politiker – so viele Stellensuchende, dass der bürokratische Inländervorrang Not tat.
Wenn da etwa bei der Gratiszeitung 20 Minuten stand, dass der Trend im Gastgewerbe hin zu deutlich mehr Stellensuchenden gehe, dann dürften sich nicht wenige Leserinnen und Leser aus der Hotellerie verwundert die Augen gerieben haben. Wo denn diese Fachkräfte wohl abgeblieben sind, wird man sich gerade in städtischen Gebieten und in vielen alpinen Regionen gefragt haben. Dort nämlich suchen Hotels händeringend nach qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und auch das Sorgenbarometer, das hotelleriesuisse mehrmals pro Jahr bei seinen Mitgliedern erhebt, zeigt das Thema Fachkräftemangel seit längerer Zeit ununterbrochen in den Top drei.
Was nun also ist der Grund, dass hier offensichtlich wissenschaftliche Studie und erlebte Realität derart auseinanderklaffen? Jammert die Branche auf hohem Niveau, wie uns immer wieder vorgehalten wird? Weit gefehlt! Das Problem ist einmal mehr, dass der Teufel halt eben doch im Detail steckt. Es gibt zwei wichtige Gründe, weshalb der Fachkräftemangel-Index als verlässliche, aussagekräftige Studie zum effektiven Fachkräftemangel in unserer Branche nicht taugt. Dabei ist nur einer der beiden Gründe von den Forschern selbst verschuldet. Der andere ist auf eine unzutreffende Datenbasis zurückzuführen. Doch der Reihe nach.
Die Forscherinnen der Uni Zürich nehmen zur Darlegung des Fachkräftemangel-Index eine für das Image unserer Branche fatale Abkürzung: Sie fassen die Mitarbeiter/-innen eines gastgewerblichen Betriebs in Kategorien zusammen, die viel zu weit gefasst sind. Beispiel Küche: Der Casserolier wird derselben Gruppe zugeordnet wie der Küchenchef. Mitarbeitende werden also der Kategorie «Küchenpersonal» zugeordnet, egal, welche Funktion sie innerhalb des Bereiches übernehmen. Und da Hilfspersonal in den allermeisten Gegenden unseres Landes in genügender Anzahl vorhanden ist, entsteht die erste Verzerrung des Fachkräftemangel-Index. Der gleiche Mechanismus wurde im Übrigen angesetzt, als von der Politik die meldepflichtigen Berufsgruppen beim Inländervorrang festgelegt wurden.
Die zweite Verzerrung entsteht durch die Codierung der Berufsbezeichnungen durch das Bundesamt für Statistik BFS. Codierung ist ein Arbeitsschritt bei der Erstellung einer Statistik, indem die Berufsbezeichnungen der Stellensuchenden den aufzuzeigenden Kategorien zugeteilt werden. So wird der Réceptionmitarbeiter der Kategorie Empfangspersonal zugeteilt, die Gouvernante der Kategorie Hauswirtschaft und so weiter. Aus einer anderen Studie, die wir für unsere Zwecke auf Basis der BFS-Zahlen machen liessen, wissen wir, dass hier – wohl mangels ausreichender Kenntnis unserer Branche – signifikante Fehler gemacht wurden. So ist beispielsweise der Hotelfachmann, also ein ausgelernter Mitarbeiter im Housekeeping, von denen pro Jahr über 300 Personen auf den Arbeitsmarkt kommen, der Kategorie Unternehmensführung zugeteilt. So entstehen Verzerrungen ungeahnten Ausmasses, und es zeigt sich einmal mehr, dass jede Statistik kritisch betrachtet werden muss.
Eine Korrektur der Datenbasis und der Auswertungsmethodik tut folglich Not. In der Öffentlichkeit wird ein Image zementiert, das gerade den jungen Berufseinsteiger/-innen nur eine Botschaft sendet: Bleibt bloss von dieser Branche fern! hotelleriesuisse wird im Rahmen der strategischen Initiative «Future Hospitality» im kommenden Jahr unter anderem Massnahmen aufsetzen, die Zahlen und Fakten in den Fokus nehmen.
Kommentar von: Ueli Schneider, Mitglied der Geschäftsleitung von hotelleriesuisse