Der Bundesrat will mit der EU neue Verhandlungen aufnehmen zu institutionellen Fragen. Nach dem gescheiterten Rahmenabkommen will er nun sektorielle Regelungen finden. Ein Entgegenkommen signalisiert der Bundesrat bei der Zahlung des Kohäsionsbeitrags.
Nach monatelangen internen Diskussionen hat die Landesregierung am Freitag skizziert, wie sie in den Beziehungen mit der EU weitermachen will. Am Mittwochvormittag hatte sie eine Klausur zum Thema Europapolitik durchgeführt. Ziel ist es, ein neues Verhandlungspaket mit der EU zu verabschieden.
Die ersten nun kommunizierten Eckwerte dieses Plans sind kein Paradigmenwechsel, sondern lehnen sich an Ideen an, die in den vergangenen Monaten immer wieder zu hören waren. Beispielsweise will der Bundesrat – anders als beim gescheiterten Rahmenabkommen – Fragen wie die dynamische Rechtsübernahme, die Streitbeilegung sowie Ausnahmen und Schutzklauseln sektoriell regeln. Das heisst, dass diese institutionellen Fragen in den einzelnen Binnenmarktabkommen verankert werden sollen.
Diesen Ansatz hatten verschiedene Regierungsmitglieder in den vergangenen Monaten als eine Möglichkeit bezeichnet. Nun hat sich der Bundesrat für diese Stossrichtung entschieden. Das Problem: Vonseiten der EU war bislang immer zu hören, dass ein solcher vertikaler – oder eben sektorieller – Ansatz keine Option ist. Trotzdem möchte der Bundesrat mit Brüssel sondieren, ob künftig darüber verhandelt werden könnte.
Kohäsionsmilliarde als Pfand
Ein Vertrag, der institutionelle Fragen für alle bilateralen Abkommen integral klärt, ist für den Bundesrat «keine Option», wie er schreibt. Er möchte vielmehr die schon länger blockierten Abkommen, beispielsweise in den Bereichen Strom und Lebensmittelsicherheit, vorantreiben.
Zudem strebt er die volle Assoziierung der Schweiz in der Forschung, Gesundheit und Bildung an. In den vergangenen Monaten war der innenpolitische Druck auf den Bundesrat gestiegen, insbesondere den uneingeschränkten Zugang zum EU-Forschungsprogramm Horizon Europe sicherzustellen. Bislang stellte sich die EU quer, weil sie zuerst die institutionellen Fragen geklärt haben möchte.
Für den Bundesrat geht es nach eigenen Angaben darum, den bilateralen Weg mit der EU fortzusetzen, um weiterhin gute und geregelte Beziehungen zum Vorteil beider Seiten zu unterhalten. Er stellt der EU in Aussicht, im Rahmen des Verhandlungspakets eine Verstetigung des Schweizer Kohäsions- und Migrationsbeitrags zu prüfen. Dies fordert Brüssel seit längerem.
Innenpolitisch Mehrheiten schaffen
Mit diesen Eckwerten will die Schweizer Regierung als nächstes Sondierungsgesprächen mit der EU aufnehmen. Parallel dazu werden die laufenden Arbeiten zu den bestehenden Regelungsunterschieden fortgeführt, wie der Bundesrat mitteilte.
Alt Staatssekretär Mario Gattiker soll dann in einem zweiten Schritt eine Analyse und Bewertung der ermittelten Spielräume vornehmen. Bereits in den nächsten Wochen sollen verschiedene Fragen «mit wichtigen innenpolitischen Akteuren» vertieft werden, wie der Bundesrat schreibt. «Das Ergebnis dient dem Bundesrat als eine der Grundlagen, um Verhandlungsmasse zu schaffen.»
Das Rahmenabkommen war insbesondere an innenpolitischen Widerständen gescheitert. Zu uneinig waren sich die Parteien in vielen strittigen Punkten. Daraus will der Bundesrat lernen – er hört sich unter anderem die Ideen und Vorschläge aus der Zivilgesellschaft an.
Die Differenzen seien aber nach wie vor gross, sagte Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis kürzlich in einem Interview. «Wenn es nicht so wäre, hätten wir das Problem wohl schon längstens gelöst.»[RELATED]
Mehr Transparenz gefordert
Der Bundesrat wird in seinen Sitzungen künftig regelmässig Standortbestimmungen zum EU-Dossier vornehmen, wie er weiter schreibt. Verschiedene Parlamentskommissionen hatten jüngst gefordert, transparenter über die Entwicklungen in der Europapolitik informiert zu werden.
Seit dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen Ende Mai 2021 wartet die EU auf einen Vorschlag der Schweiz. Denn Bern hatte den Verhandlungstisch verlassen. Die Beziehungen zwischen den beiden Seiten lassen sich seither als kühl beschreiben. Die EU übte in den vergangenen Monaten verschiedentlich mit politischen Verknüpfungen Druck auf die Schweiz aus. (sda)