Über 8500 Neuinfektionen, Appelle aus der Wissenschaft, Lockdowns im Ausland: Trotz alledem wartet der Bundesrat mit einer nationalen Verschärfung der Corona-Massnahmen zu. Er nimmt die Kantone in die Pflicht. Diese jedoch spielen den Ball gleich wieder zurück.

Wie die wissenschaftliche Taskforce und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Vortag bezeichnete am Mittwoch auch Gesundheitsminister Alain Berset die aktuelle Corona-Lage als «kritisch». Die Infektionszahlen steigen seit Mitte Oktober stetig, in den vergangenen Tagen sehr schnell, am Mittwoch wurde bei den Fallzahlen sogar ein Jahreshöchststand erreicht.

Trotzdem will der Bundesrat weiterhin nichts von einer schweizweiten Verschärfung der Corona-Massnahmen wissen. Berset begründete dies mit der aktuell noch relativ tiefen Belastung der Intensivpflegestationen mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten und den grossen regionalen Unterschieden.

Zwar sei es nicht auszuschliessen, dass bald neue Massnahmen nötig würden, jedoch sei noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. «Die Situation ist noch unter Kontrolle.» Der Gesundheitsminister gab zu, dass die zurückhaltende Strategie des Bundesrats Risiken berge, gleichzeitig sagte er am Mittwoch vor den Medien: «Das ist eine Strategie, die sich bewährt hat.»

Kantone warnen vor Flickenteppich
Zu dieser Strategie gehört, dass die Kantone das Zepter übernehmen sollen – besonders dort, wo die Inzidenzen in den vergangenen Tagen durch die Decke gingen. Einzelne Kantone haben bereits gehandelt und schärfere Regeln im Schul- oder Altersheimbetrieb beschlossen. Weitere regionale Massnahmen sollen folgen, wenn es nach der Landesregierung geht.

Aus den Kantonen ertönten angesichts der wieder stark steigenden Fallzahlen und der teils dramatischen Lage in Österreich und Deutschland in den vergangenen Tage Rufe nach landesweiten Massnahmen – darunter eine Ausweitung der Maskenpflicht und vermehrtes Homeoffice. Diese Forderungen wurden am Mittwochabend wiederholt.

Die Konferenz der Kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) etwa stellte erneut infrage, ob die regionalen Massnahmen ausreichten. Die Entwicklung sei landesweit ungünstig. Zudem zeigten die Erfahrungen aus der bisherigen Pandemie, dass kantonal unterschiedliche Massnahmen auf wenig Akzeptanz stiessen.

Aus Sicht der GDK müssen Bund und Kantone mit Vorlauf über weitere nationale Massnahmen diskutieren. Diese liessen sich dann bei einer weiteren Zuspitzung ergreifen. Im Raum stehen dabei eine Ausweitung der Maskenpflicht in Innenräumen, Homeoffice oder Kapazitätsbeschränkungen.

Offene Entwicklung
Berset zeigte sich optimistischer: «Wir können durch den Winter kommen, ohne drastische Massnahmen wie im Ausland zu treffen», sagte er. Die Situation sei nicht mit jener im Vorjahr vergleichbar. Die Immunität der Bevölkerung sei viel höher.

Der Gesundheitsminister verneinte, dass der Bundesrat eine Durchseuchung der jüngeren Bevölkerung bewusst in Kauf nehme und diese Teil der Schweizer Corona-Strategie sei.  «Wir haben keine Mittel, um diese Zirkulation ganz zu bremsen.» Wichtig sei aber, dass an Schulen konsequent getestet werde und bei Bedarf Massnahmen treffe.

Daneben appellierte Berset erneut an alle nicht geimpften Personen, sich eine Impfung zu überlegen. «Wir akzeptieren jeden Entscheid, aber die Impfung nützt nach wie vor gut vor einem schweren Verlauf, in allen Alterskategorien.»

Am wichtigsten sei aber, dass sich jeder Einzelne strikt an die Basisregeln wie Abstand halten und Maske tragen halte. «Ich selber beispielsweise wasche mir aktuell wieder vermehrt die Hände», verriet Berset. Am Schluss gab aber auch der Gesundheitsminister zu: «Wir wissen nicht genau, was kommt.» (sda/npa)