Der Ferientag von Schweiz Tourismus fand in der Wiege des Tourismus, in Interlaken, statt. Touristiker, Behördenvertreter und Politiker versammelten sich am vergangenen Dienstag und Mittwoch im Congress Kursaal, um zu netzwerken und sich auszutauschen. Bundesrat Albert Rösti und Schweiz-Tourismus-Präsidentin Brigitta Gadient eröffneten das grösste Branchentreffen mit über tausend Teilnehmenden aus der ganzen Schweiz energiegeladen. Einen Gastauftritt hatte Werbebotschafter Roger Federer. Er begeisterte bei seiner Stippvisite mit gewohnter Lockerheit und Souveränität. Sein jüngster Werbeclip für Schweiz Tourismus mit Trevor Noah wurde vor einer Woche lanciert. «Der Clip hat bereits über 13 Millionen Views», verkündete Schweiz-Tourismus-CEO Martin Nydegger stolz. Das sei eine Bestmarke.

Mit viel Spannung erwartete Debatte über Fernmärkte
Der Ferientag stand unter dem Leitfaden «Joining Forces» – zu Deutsch «mit vereinten Kräften». Im Zentrum standen aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit, künstliche Intelligenz und die Märkte-Entwicklung. In acht Breakout-Sessions wurde informiert und diskutiert.

Flightshaming – Klimakiller – Reisen liegen im Spannungsfeld zwischen Klimawandel und Wirtschaftlichkeit. Die Diskussionen rund um den weltweiten CO₂-Ausstoss von Flugreisen von bis zu acht Prozent laufen heiss. Schweiz Tourismus lud vier Exponenten zur Diskussion «Wie viel Fernmärkte braucht die Schweiz?». Podiumsteilnehmer Urs Kessler, CEO der Jungfraubahnen, und Susanna Müller, freie Reisejournalistin bei der NZZ, debattierten mit Jon Andrea Florin, Geschäftsleiter von «Fairunterwegs», und der Grünen-Nationalrätin Aline Trede. Die Gesprächsleitung übernahm SRF-Moderatorin Daniela Lager.

Weniger Reisen, dafür längere Aufenthalte für weniger CO₂
Wider Erwarten sprachen sich weder Jon Andrea Florin noch Aline Trede explizit gegen Fernreisen aus. «Ein Verbot wäre sowieso nicht umsetzbar», beantwortete Trede eine entsprechende Frage von Daniela Lager. Als Alternative dachte Trede laut über eine Erhöhung der Kerosinpreise als Lenkungsmassnahme nach. Eine Preiserhöhung sei illusorisch, da sie nicht von der Schweiz, sondern international festgelegt werde, resümierte sie. Überhaupt sei eine Preiserhöhung wenig sinnvoll. Sie würde vor allem für eine Klassentrennung sorgen, was unbedingt zu vermeiden sei. Denn: «Reisen sollte allen offen stehen.» Gemäss Mentimeter-Umfrage teilte das Saalpublikum Tredes Meinung: 412 der Anwesenden (80 %) fanden, dass Reisen ein Grundrecht sei, 98 Personen nicht.

Wenn sie nicht in die Schweiz kommen, verbringen sie ihre Ferien in einem anderen europäischen Land.
Urs Kessler, CEO der Jungfraubahnen

«Sie reisen sowieso» – ein billiges Argument?
Viele Tourismusbetriebe sind auf Gäste aus den Fernmärkten angewiesen. Klassisches Beispiel ist die Jungfrauregion. 91 Prozent der Gäste stammen aus dem Ausland. Der Anteil der Asiaten lag vor der Pandemie sogar bei 70 Prozent, wie Urs Kessler erklärte. Der Jungfraubahnen-CEO hält trotz fortschreitendem Klimawandel an dieser Strategie fest und argumentiert: «Wenn sie nicht in die Schweiz kommen, verbringen sie ihre Ferien in einem anderen europäischen Land.» Die Asiaten reisten sowieso.

«Das ist ein schwaches Argument», konterte Florin. Er verlange, dass die Schweiz mit gutem Beispiel vorangehe und die Asiaten tatsächlich anderswo hinreisen lasse. Dafür sollte man auf Einheimische oder Gäste aus dem benachbarten Ausland setzen. Trotzdem ging Florin mit den anderen Podiumsteilnehmenden einig, dass die Schweiz Gäste aus den Fernmärkten brauche, um Arbeitsplätze ganzjährig zu sichern und die Infrastruktur besser auszulasten. «Aber das Ziel muss sein, dass die Gäste drei Wochen bleiben statt wie heute bloss drei Tage», proklamierte er und schob eine Forderung zuhanden von Schweiz Tourismus hinterher: «Da habt ihr eine Lücke. Ihr müsst mehr dazu tun.»[RELATED]

Viele Argumente, aber keine Diskussion
Der Tenor im Publikum war im Anschluss an das Podium einstimmig: Die Diskussion habe einen plakativen Charakter gehabt. Die Debattierenden hätten zwar ihre Botschaften platziert, allen voran Urs Kessler und Jon Andrea Florin, doch auf die Fragestellung der Moderatorin Daniela Lager oder auf die Antworten der anderen Podiumsteilnehmenden sei man kaum eingegangen. Eine wirkliche Debatte oder konkrete Lösungsvorschläge, was man sich von der kontroversen Thematik erhofft hatte, blieben aus.

Einig war sich das Plenum auch darin, dass die Voten der Reisejournalistin Susanne Müller die Diskussion kaum bereichert hätten, da ein thematischer Anknüpfungspunkt fehlte. Sie sprach sich dafür aus, die Gäste statt mit Bildern mit Hintergrundberichten in die Schweiz zu locken, damit sie vor Ort nicht enttäuscht würden, wenn das Wetter beispielsweise nicht mitspiele.

Ein Verbot wäre sowieso nicht umsetzbar.
Aline Trede, Nationalrätin der Grünen

Gelobt wurde jedoch Nationalrätin Aline Trede. Als Wissenschaftlerin habe sie den unbestrittenen Wunsch nach Reisen mit konkreten Möglichkeiten verknüpft, wie nachhaltiges Reisen gelingen könne, hiess es nach der Veranstaltung. Trede nannte beispielsweise neue Technologien wie synthetischen Treibstoff. Dieser sei zwar noch teuer und in der Entwicklungsphase, müsste aber aus Sicht der Wissenschaftlerin als möglicher Lösungsansatz für die CO₂-Debatte besser unterstützt werden.

Wir brauchen die Fernmärkte – aber das Mass muss stimmen
Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger schälte in seinem Fazit heraus: «Wir brauchen die Fernmärkte. Aber wir müssen das Mass im Auge behalten.» Der Fernmärkteanteil liegt heute bei 20 Prozent. Nydegger ist der Meinung, dass es nicht mehr Gäste aus Übersee braucht, sondern die richtigen. Er plädierte dafür, dass alle Anwesenden die Anliegen der Klimaschützer ernst nehmen und ins eigene Handeln einfliessen lassen. So könne man die Zukunft mitgestalten. Abschliessend wagte Nydegger den Blick in die Kristallkugel. Die gesamte komplexe Nachhaltigkeitsthematik sei keine kurze Debatte. «Das Thema wird uns noch lange beschäftigen.»


Reiseziel Schweiz

Nora Devenish

«Für eine alleinreisende Frau ist die Schweiz sicher» Nada (22), Indonesien
«Ich bin Medizinstudentin und habe soeben mein Praktikum in Prag beendet. Vor meiner Rückkehr in meine Heimat Indonesien habe ich eine Woche Zeit zum Reisen. Eigentlich wollte ich nach Paris oder Rom, entschied mich dann kurzfristig aber doch für die Schweiz. Für eine alleinreisende Frau ist die Schweiz ein sicheres und leicht zugängliches Reiseland. Alles ist durchorganisiert. Nach meiner anstrengenden Zeit in Prag geniesse ich die Natur und die Ruhe. Ich wohne in einem Airbnb in Thun. Die Gastgeber sind sehr zuvorkommend und geben mir viele Ausflugstipps. Ich schätze den Austausch mit der lokalen Bevölkerung. Die Schweizer sind freundlich, aber zurückhaltend. Gestern war ich in Bern, so eine schöne Stadt! Heute besuche ich Interlaken und Iseltwald, morgen will ich nach Lauterbrunnen. Aufs Jungfraujoch muss ich nicht. Da soll so viel los sein.»

«Die Schweiz ist sehr schön, aber teuer» Cheong (42), Joanne (40) und Soochen (10), Singapur
«Wir waren die ganze Woche beruflich in Zürich unterwegs und wollten ein Wochenende in den Bergen verbringen. Wir übernachten in einem Hotel in Grindelwald und sind sehr zufrieden mit unserer Wahl. Ohne unsere beruflichen Verpflichtungen hätten wir uns die Reise in der Schweiz als Familie nicht leisten können. Die Schweiz ist sehr schön, aber teuer. Gestern reisten wir aufs Jungfraujoch. Überhaupt sind wir seit unserer Ankunft in der Schweiz praktisch nur mit dem Zug unterwegs. Mit dem Zug zu reisen, ist in der Schweiz sehr effizient und komfortabel. Wir haben bereits zu Hause in Singapur vom dichten öffentlichen Verkehrsnetz der Schweiz gehört und wurden nicht enttäuscht. Die Schweizer sind sehr freundlich und hilfsbereit, jeder spricht Englisch, das ist äusserst praktisch.

«Für uns geht ein Traum in Erfüllung» Noor (23) und Varun (20), Indien
«Wir sind mit dem Zug von Amsterdam nach Interlaken gereist. Wir waren letzte Woche an einem Kongress in den Niederlanden. Vor unserer Heimreise nach Indien verbringen wir ein Wochenende im Berner Oberland. Die wunderschöne Landschaft in und um Interlaken begleitet uns unser ganzes Leben lang auf Bollywood-Leinwänden. Von dieser Reise träumen wir bereits seit unserer Kindheit. Als Bollywood-Fan ist es unerlässlich, einmal im Leben die Statue des indischen Regisseurs Yash Chopra in Interlaken besucht zu haben. Gestern spazierten wir durch Lauterbrunnen. Selbstverständlich mit passender Musikbegleitung auf unseren Smartphones. Es war traumhaft! Heute reisen wir mit dem Zug nach Thun und danach geht es via Zürich mit dem Flixbus über Nacht zurück nach Amsterdam. In Interlaken übernachteten wir in einem Hostel, des Preises wegen. Viel gespart haben wir allerdings nicht. Die Hostelpreise sind verglichen im europäischen Vergleich sehr teuer.»