Bettina Baltensperger ist Juristin und Leiterin Arbeitsmarkt und Sozialpartnerschaft bei HotellerieSuisse.
Eine Investition in Wissen bringt noch immer die besten Zinsen. Vor zehn Jahren haben sich die Sozialpartner des Landesgesamtarbeitsvertrages L-GAV deshalb dazu entschlossen, langfristig in Wissen und damit in Aus- und Weiterbildung zu investieren. Damit haben sie den Grundstein gelegt für ein erfolgreiches Projekt, das seit 2010 schon viel erreicht hat.
Das gut funktionierende Finanzierungssystem ermöglicht es den Mitarbeitenden der Branche, von einer äusserst grosszügigen finanziellen Unterstützung zu profitieren. Gespeist werden diese Gelder aus den Vollzugskostenbeiträgen, die jährlich bei Betrieben und Mitarbeitenden erhoben werden. Die gesamte Berufslaufbahn, von Basis- und Nachholbildungen bis und mit dem Nachdiplomstudium HF Hotelmanagement, kann weitgehend kostenlos absolviert werden. Je nach Lehrgang beträgt die Vergünstigung von einigen Hundert bis über 15 000 Franken. Wichtig war den Sozialpartnern von Beginn an, den Betrieben den Ausfall der Mitarbeitenden mittels Lohnersatz zu vergüten. Damit wird ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, Aus- und Weiterbildung zu fördern trotz des hektischen Tagesgeschäftes und des knappen Personalbestandes. Stets im Fokus: Qualität und Produktivität in den Betrieben müssen erhöht werden. Das bringt langfristig Zinsen – den Mitarbeitenden direkt einen höheren Mindestlohn nach einem erfolgreichen Abschluss, den Betrieben produktivere und motivierte Fachkräfte und begeisterte Gäste.
Bildung am Puls der Zeit
Aktuell werden über 30 Angebote subventioniert, und das Programm wird laufend erweitert. Hier wird die Branche in die Pflicht genommen: Welche Angebote dienen der Branche langfristig, wie werden Entwicklungen wie etwa die Digitalisierung abgebildet, was will der Markt, was dient der nachhaltigen Motivation der Mitarbeitenden? Es ist anspruchsvoll, hier die Weichen richtig zu stellen, besonders jetzt, in einer Zeit, in der viele Betriebe ums Überleben kämpfen. Gefordert ist hier die Sozialpartnerschaft. Alle sechs Verbände müssen sich engagieren und ihre Verantwortung wahrnehmen. Dabei darf das kurzfristige Denken – wenn es auch verständlich ist – nicht das Mass der Dinge sein. Wir brauchen Fachkräfte, heute, morgen und vor allem übermorgen. Es ist matchentscheidend, dass es uns gelingt, diese von der Pike auf auszubilden und vor allem in der Branche zu halten, sonst hätten wir falsch investiert. Die subventionierte Aus- und Weiterbildung ist ein wesentlicher Mosaikstein für eine zukunftsgerichtete Ausrichtung der Branche und ein starkes Commitment von Arbeitgebern, Mitarbeitende fördern zu wollen. Nicht nur, um diese besser zu qualifizieren, sondern auch, um den eigenen Betrieb besser zu positionieren. Qualität ist das grosse Aushängeschild des Schweizer Tourismus.
Jetzt in die Zukunft investieren
Seit Beginn der Unterstützung im Jahr 2010 haben bereits rund 7000 Mitarbeitende ihre Chance genutzt und vom L-GAV für ihr berufliches Weiterkommen profitiert. Diese Zahl dürfte höher sein. Sie ist zwar erklärbar durch die branchenimmanenten Eigenheiten wie beispielsweise die saisonalen Anstellungen. Aber auch bei den Mitarbeitenden muss sich das Bewusstsein etablieren, dass die Investition in Wissen immer etwas bringt. Die Aufsichtskommission des L-GAV hat sich zum Ziel gesetzt, dass jährlich 1 Prozent der Mitarbeitenden in der Branche das Aus- und Weiterbildungsprojekt des L-GAV nutzt. Das wären rund 2000 Personen. Für die nächsten Jahre wird das Angebot so zu gestalten sein, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Es geht vorwärts. Letztes Jahr wurde erstmals die Marke von 1000 jährlichen Anträgen für die Subventionen überschritten. 2019 wurde die Informationskampagne «Weiterbildung inklusive» lanciert. Diese fokussiert auf die äusserst grosszügige und umfangreiche finanzielle Unterstützung und soll sie besser bekannt machen. Corona wird voraussichtlich auch in diesem Bereich negative Spuren hinterlassen – umso mehr gilt es, hier hartnäckig zu bleiben und an die Zukunft der Branche zu glauben.
In einer Anfang 2020 durchgeführten Umfrage von HotellerieSuisse unter Mitarbeitenden der Branche geben trotzdem 75 Prozent der Befragten an, keine berufliche Weiterbildung besucht zu haben. Das muss den Sozialpartnern Ansporn sein – denn Stehenbleiben bringt keine Zinsen. In dem Sinn wird der Aus- und Weiterbildung auch in Zukunft eine hohe und überlebensnotwendige Bedeutung zukommen. Abgestimmt auf die sich schnell bewegenden Bedürfnisse von Betrieben, Mitarbeitenden und Gästen. Auch wenn in dieser Zeit Optimismus aus verständlichen Gründen rar ist – es wird gelingen. Schliesslich arbeiten wir in einer einzigartigen Branche.