Sandra Budd hat sofort Zimmer angeboten, als sie von ihrer Bekannten erfahren hat, dass zwei Frauen aus der Ukraine auf dem Weg nach Bönigen am Brienzersee sind. «Ich habe genug Platz. Klar habe ich sie aufgenommen.» Mittlerweile hat sie ihre freien Betten bei Campax registriert – für viele Hotels die wichtigste Plattform, um Unterkünfte zu melden. Die Organisation arbeitet eng mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM) zusammen, das sich um die Unterbringung der Geflüchteten kümmert.
Mittlerweile wohnen drei Frauen und zwei Kinder aus der Ukraine im Seehotel Bönigen. Die Verständigung klappt gut, eine der Frauen ist Deutschlehrerin und spricht fliessend Deutsch. Eigentlich sind sie «normale» Gäste – und sind es doch nicht. Die Gespräche sind ganz andere als mit Touristen. Die Betroffenheit ist viel stärker. «Das geht oft sehr nahe», erzählt Sandra Budd. «Es ist hart, wenn man mitkriegt, wie sie ihre Ehemänner, Söhne, Brüder und Freunde im Krieg zurücklassen mussten. Das ist emotional nicht zu unterschätzen.»
Freie Unterkünfte können auf der Plattform Campax registriert werden. Mitarbeitende des SEM oder des jeweiligen Kantons nehmen danach bei Bedarf telefonisch Kontakt auf. Schutzbedürftige Personen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, erhalten Schutzstatus S. Sie sind nach Gesuchseinreichung krankenversichert. Mit Erhalt des Status S gilt auch sofort die Arbeitserlaubnis, Gesuche werden beim Kanton eingereicht.
hotelleriesuisse.ch/ukraine
sem.admin.ch
campax.org
Unterstützung ja, aber gut dosiert
Bei aller gut gemeinten Hilfe muss man aufmerksam sein, wie und wie stark man Hilfe anbietet. «Es sind Menschen wie du und ich, sie wollen keine Sonderbehandlung», gibt die Hotelière zu bedenken. Die Nothilfe ist gegeben, das Visum in Bern organisiert. Und jetzt? «Es sind viele Ideen im Raum», sagt Budd. Jemand vom Dorf wolle Deutsch unterrichten, jemand anders wolle eine Küche zur Verfügung stellen, wo sie selbst kochen könnten. Gut möglich auch, dass die Geflüchteten aus der Ukraine bald im Seehotel im Einsatz sind, denn sie wollen helfen und arbeiten. Eins bereitet Budd aber grosse Sorgen: «Was ist mit all den schulpflichtigen Kindern?»
Viel Unterstützung im Dorf
In Kandersteg BE wurde dieses Problem zackig gelöst. «Zwei ukrainische Kinder besuchen die Unterstufe in unserer Schule», sagt René Maeder, Hotelier und Gemeinderatspräsident. «Malen und spielen können sie ja auch ohne Sprache. Es geht ja vor allem mal um Integration und um Tagesstruktur.»
«Ein Hotel ist nur eine Übergangslösung.»
René Maeder, Hotelier und Gemeinderatspräsident in Kandersteg
Zurzeit wohnen 18 Ukrainerinnen mit Kindern in Kandersteg, 8 davon in einem Hotel, welches Saisonpause hat. Nun gilt es auch für diese Menschen, Bedürfnisse abzuklären und längerfristige Lösungen zu suchen. «Ein Hotel ist nur Übergangslösung. Etliche Geflüchtete sind nun schon weitergezogen.»
In Kandersteg kümmert sich eine Taskforce um all die Fragen zu den Ukraine-Flüchtenden. «Kleider brauchen sie kaum, aber Medikamente, Windeln, Babynahrung, Binden oder Tampons sind gefragt», erklärt Maeder. «Es geht auch um Fragen wie Einschulung oder Sim-Karten fürs Telefon. Viele wollen selbst kochen oder mit Verwandten zusammen sein.» Statt Sachspenden anzuhäufen, haben sie ein Spendenkonto eingerichtet.
Administrative Fragen
«Ich bin überwältigt, was die Hoteliers bieten», sagt Martin Von Moos, Präsident der Zürcher Hotellerie. Mittlerweile nehmen rund ein Dutzend Zürcher Hotels Geflüchtete auf. Die Geschäftsstelle kümmert sich hauptsächlich um Anfragen von Mitgliedern.
Die häufigsten Fragen drehen sich darum, ob die Geflüchteten arbeiten können, was der Status S genau bedeutet oder wie es mit Versicherungen funktioniert – was, wenn ein ukrainisches Kind krank wird? «Wichtig ist es für die Hotels, zu wissen, dass sie keine Verantwortung übernehmen müssen und dass vieles kantonal oder bundesweit geregelt ist.»
«Es ist nichts Spezielles, wenn wir Hilfe anbieten.»
Janine Bunte, CEO Schweizer Jugendherbergen
Nothilfe als etwas Selbstverständliches
Auch die Jugendherbergen nehmen Geflüchtete auf. «Wir bieten Erstunterkünfte an und helfen ihnen, an die richtigen Stellen zu gelangen», sagt Janine Bunte, CEO der Schweizer Jugendherbergen. Sie mag deswegen aber kein Aufheben machen. «Es ist nichts Spezielles, wenn wir Hilfe anbieten.»
Denn die wichtige Arbeit komme erst nachher. Nämlich dann, wenn es um längerfristige Lösungen gehe und um die Bewältigung von Traumata. «Wir können den Familien kein Daheim geben», sagt Bunte. «Es braucht jemanden, der sie auffangen kann.» Die grösste Herausforderung erwarte längerfristig Bund, Kantone und Gemeinden.
Arbeitsplätze in der Hotellerie
Die Branche kann aber für die Ukrainerinnen, die hier arbeiten wollen, wichtig werden. Denn ob in der Küche oder im Housekeeping, es gibt etliche Jobs, die auch ohne zusätzliche Sprachkenntnisse machbar sind.
Die Hotelkette Radisson stellt in mehreren Ländern – auch in der Schweiz – Zimmer in ihren Hotels und Personalhäusern für die Menschen auf der Flucht zur Verfügung. Die Mitarbeitenden aus der Ukraine und Familien unterstützen diese besonders. Fünf Radisson-Hotels gibt es in der Ukraine – mittlerweile sind sie leer.
Die Kette ist nun daran, ihre Mitarbeitenden in anderen Ländern einzusetzen. «Im ‹Radisson Red› in Wien arbeiten nun schon vier Ukrainerinnen im Service», sagt Daniel Twerenbold, Regionaldirektor Schweiz, Italien, Österreich und Südosteuropa. In der Schweiz stehen die bereitgestellten Zimmer noch leer, doch es dürfte nicht lange dauern, bis die ersten Ukrainerinnen in einem der Radisson-Hotels in der Schweiz arbeiten. Es herrscht Fachkräftemangel, und die Mitarbeitenden aus der Ukraine kennen die Betriebe in- und auswendig. (htr/cl)
Claudia langenegger