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Dossier: Hospitality Insight

Dossier: Hospitality Insight

Der neue Videocast von und für die Branche

Hotellerie, Tourismus, Gastronomie: Unsere Branche ist unglaublich dynamisch und vielfältig. Diesem Umstand tragen wir neu mit unserem Videocast «Hospitality Insight» Rechnung.

Hospitality Insight

Tanja Wegmann: «Bei der Inszenie­rung sind wir Schweizer eher bescheiden»

Während acht Jahren führte Tanja Wegmann als General Manager das Basler Grand Hotel Les Trois Roi. Vor bald drei Jahren gründete sie ihr eigenes Beratungs­un­ter­nehmen. Ein Gespräch über die Bedeutung der fünf Sinne in der Hotellerie.
Gaston Haas
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Hospitality Insight

Jürg Stettler: «Langfristig müssen wir wohl über Obergrenzen diskutieren»

Jürg Stettler leitet das Institut für Tourismus und Mobilität an der Hochschule Luzern, ist im Vorstand von Gstaad Saanenland Tourismus und im Verwal­tungsrat von Private Selection Hotels and Tours. Im Interview loten wir Chancen und Risiken der Mobilität angesichts wachsender Gästezahlen aus.
Gaston Haas
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Jürg Stettler, Sie sind heute aus Luzern zu uns nach Bern gekommen. Welches Verkehrsmittel haben Sie genutzt? 
Ich habe den Zug genommen – bequem, schnell und zuverlässig. Die Fahrt durch das Emmental und Entlebuch zeigt zudem eindrucksvoll, wie gut das Schweizer ÖV-Netz ausgebaut ist. Für viele Touristen ist das eine Attraktion an sich. 

Touristische Mobilität macht etwa ein Viertel der Gesamtmobilität in der Schweiz aus. Wie bedeutend ist sie für den Tourismus? 
Sehr bedeutend. Die Infrastruktur des ÖV ist ein essenzielles Alleinstellungsmerkmal der Schweiz. Unsere Anbindung ist international führend – sei es durch das dichte Bahn- und Busnetz oder durch innovative Angebote wie Bus Alpin und Mybuxi, die entlegene Gebiete erschliessen. Das macht den öffentlichen Verkehr für Touristen attraktiv. 

Sind solche Modelle flächendeckend realisierbar? 
Nicht ganz. Sie funktionieren, sind aber finanziell herausfordernd. In peripheren Regionen ist der Betrieb oft nicht rentabel. Trotzdem sind sie essenziell, um nachhaltige Mobilitätslösungen zu fördern und touristische Destinationen besser anzubinden. Ohne gezielte Unterstützung könnten viele dieser Angebote verschwinden. 

Warum nutzen Touristen oft trotzdem das Auto? 
Viele bringen Gepäck mit oder reisen als Familie, was den ÖV unpraktischer erscheinen lässt. Dazu kommt, dass alternative Mobilitätsangebote oft nur regional beschränkt sind. In stark frequentierten Gegenden könnten Informationskampagnen helfen, um die Nutzung zu erhöhen. 

Eine gute Erschliessung ist zentral, damit sich Besucher für den ÖV entscheiden.

Autofreie Destinationen wie Zermatt oder Saas-Fee gelten als Vorbilder. Könnte man dieses Modell ausweiten? 
Es kommt darauf an. Viele autofreie Destinationen sind historisch bedingt so entstanden. Es war einst eher ein Nachteil, nicht einfach erreichbar zu sein mit dem Auto. Das hat sich inzwischen geändert. Der Wechsel von einer autoerschlossenen Destination zu einer autofreien Zone ist oft politisch und wirtschaftlich schwierig. Dennoch steigen die Erwartungen an nachhaltige Mobilitätskonzepte. 

Gstaad hat die Dorfstrasse verkehrsbefreit. War das eine Herausforderung? 
Ja, und zwar eine grosse. Es gab politischen Widerstand, und erst der Bau der Umfahrungsstrasse machte die verkehrsfreie Lösung möglich. Heute sind aber fast alle glücklich über die gesteigerte Aufenthaltsqualität. Das zeigt, dass es Zeit und gute Infrastruktur braucht, um solche Massnahmen durchzusetzen. Auch in Ascona hat es lange gedauert, bis der Ort autofrei wurde. Wenn wir das gesamte Verkehrssystem anschauen, ist die Vor-Ort-Mobilität ein ganz kleiner Anteil. Rund 95 Prozent entfällt auf die Anreise.  

Tourismus heisst Erleben. Erleben wollen heisst Neues entdecken. Wie kann der ÖV stärker als Erlebnis inszeniert werden? 
Züge wie der Glacier Express sind ein perfektes Beispiel dafür. Diese Panoramazüge sind unsere Flagship-Angebote. Sie sind international bekannt und inzwischen sehr gut gebucht. Diese Züge bieten ein einmaliges Reiseerlebnis mit atemberaubenden Aussichten. Auch der Swiss Travel Pass, eigentlich ein Generalabonnement für ausländische Gäste, macht das Reisen einfacher und für Touristen attraktiver. Das war nicht immer so, auch der Glacier Express hatte nicht nur gute Tage.  

Was hat sich geändert in den letzten Jahren? 
Die Bahnen haben gemerkt, dass der touristische Verkehr ein spannendes Potenzial darstellt. Inzwischen ist der Anteil des öffentlichen Verkehrs im Freizeittourismus höher als im Gesamtdurchschnitt. Im Gesamtdurchschnitt sind es unter 20 Prozent, im touristischen Verkehr 24 Prozent. Der öffentliche Verkehr hat also deutlich zugelegt. Es ist letztlich ein zentrales Element der Attraktivität der Schweiz. Und gerade die Amerikaner schätzen das enorm. Dazu kommt die Digitalisierung, die immer wichtiger wird – Apps erleichtern die Reiseplanung und machen den ÖV bequemer nutzbar. 

Wie lassen sich Besucherströme bei wachsendem Tourismus besser steuern? 
Gruppenreisende kann man steuern – Luzern setzt ab April auf ein Slot Management für Reisebusse. Das heisst, dass die Reisecars über eine App ihre Parkplätze buchen müssen und dann zu einer definierten Zeit am definierten Ort eintreffen müssen. Das Ganze ist kombiniert mit einer Gebühr. Es wird sich weisen, was passiert, wenn ein Reisebus zu früh oder zu spät ankommt. Was gibt es für Ausweichalternativmöglichkeiten? Wie werden die Gebühren eingezogen. Dieser Teil ist lenkbar.  

Aber? 
Schwieriger ist es, die Individualreisenden zu lenken. Wenn wir die Entwicklung anschauen, sieht man, dass gerade im Bereich der Individualreisenden seit Corona ein überdurchschnittliches Wachstum erfolgt ist. Die meisten, die mit dem Swiss Travel Pass reisen, sind spontan unterwegs, was zu Kapazitätsproblemen führt – besonders auf der Achse Zürich-Luzern-Interlaken. Man schätzt, dass etwa 80 Prozent der Besitzer eines Swiss Travel Passes über Luzern reisen. Diese Achse ist schon heute sehr gut ausgelastet mit Alltagspendlern und Berufsreisenden. Wenn jetzt noch die Reisenden mit dem Swiss Travel Pass dazu kommen, wird es eng. 

Was kann man tun? 
Die Zentralbahn plant Kapazitätserweiterungen, aber bis zur Umsetzung dauert es. Sie bestellen neues Rollmaterial und wollen punktuell die Streckenkapazitäten ausbauen. Geplant wird mit einem Zeithorizont 2029. 

Wie finanziert man nachhaltige Mobilität? 
Der ÖV sollte idealerweise selbsttragend sein, was aber nur im Fernverkehr der Fall ist. Im Regionalverkehr liegt der Kostendeckungsgrad nur bei 40 bis 60 Prozent, mit grossen Unterschieden, je nach Region und Linie. Vor allem in den Randregionen sind Auslastung und Kostendeckung oft zu tief. Der Freizeit- und Tourismusverkehr wird nicht mit öffentlichen Geldern subventioniert, was gewisse Linien unter Druck setzt. Ein Beispiel ist die Erschliessung der Engstlenalp, wo ein Bus mangels Rentabilität eingestellt wurde. 

Was ist passiert? 
Die Buslinie wurde nach sechs Jahren eingestellt, weil sie nicht genügend genutzt wurde. Sie hätte 40 Prozent mehr Passagiere benötigt, um kostendeckend zu sein. Die meisten Besucher kamen weiterhin mit dem Auto. Das zeigt, dass parallele Autoerschliessungen den ÖV unattraktiver machen. Das zeigt auch die Reaktion eines Hoteliers. Er sagt: Bedauerlich, dass die Busverbindung eingestellt wird, aber es ist nicht existenziell für den Betrieb. Umgekehrt, wenn die Strasse geschlossen würde und nur noch mit dem ÖV eine Anreisemöglichkeit bestünde, wäre das für den Hotelbetrieb viel einschneidender. 

Sollten solche Angebote stärker staatlich gefördert werden? 
Es ist eine politische Frage. Die Gelder sind begrenzt, und der ÖV ist in der Schweiz bereits gut ausgebaut. Gerade in Zeiten, wo die öffentlichen Gelder knapp sind, kommt auch der öffentliche Verkehr unter Druck und damit dessen Finanzierung. Im Quervergleich sind wir in der Schweiz in einer sehr komfortablen Lage. Angesichts der Klimaveränderungen sind wir gut beraten, die Sparakzente nicht beim ÖV zu setzen. Sonst wird es noch schwieriger, unsere Klimaziele zu erreichen.  

Flugreisen sind ein grosser Klimafaktor. Was bringt es, wenn wir unseren CO₂-Ausstoss reduzieren, während die ausländischen Gäste mit dem Flieger anreisen. Welche Massnahmen gibt es? 
Die Anzahl internationaler Reisender wächst stetig. UNWTO prognostiziert bis 2032 einen Anstieg auf 2,2 Milliarden Passagiere. Die IATA geht davon aus, dass sich die Passagierzahlen bis 2050 verdoppeln werden, bis zu 10 Milliarden Menschen sollen dann pro Jahr mit dem Flugzeug reisen. Die Schweiz ist als Fernreiseziel attraktiv, aber die CO₂-Bilanz des Flugverkehrs bleibt ein Problem, gerade im Hinblick auf diese Wachstumsprognosen. Möglicherweise entschärfen neue Technologien das eine oder andere Problem, aber das allein wird nicht reichen. 

Sollten Flugtickets teurer werden? 
Ja, aber das ist politisch schwer umsetzbar. Internationale Flüge sind seit 1944 von der Kerosinsteuer befreit. Binnenflüge sind besteuert, machen aber nur einen kleinen Teil des Luftverkehrs aus. Eine faire internationale Besteuerung wäre ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. 

Sind nachhaltige Treibstoffe eine Lösung? 
Sie sind eine Möglichkeit, aber ihre Produktion ist begrenzt und teuer. Die EU schreibt eine steigende Nutzung vor, doch Biotreibstoffe konkurrieren mit der Nahrungsmittelproduktion. Und sie sind wesentlich teurer als Kerosin. Wasserstoff- oder Elektroflugzeuge sind noch nicht massentauglich. Synthetisches Kerosin könnte langfristig eine Lösung sein, aber es fehlt derzeit an Kapazitäten und Kosteneffizienz. 

Wie beeinflusst das Wachstum des Tourismus die Lebensqualität? 
Overtourism wird zunehmen. Destinationen müssen darauf reagieren, etwa mit besseren Steuerungsmechanismen. In stark frequentierten Orten wie Luzern oder Interlaken gibt es bereits Engpässe. Langfristig werden wohl Obergrenzen diskutiert werden müssen. 

Welche Rolle spielt Mobility Pricing? 
Im Moment ist Mobility Pricing ein Tabuthema. Sparbillette sind ein erster Schritt zur Steuerung der Nachfrage. In Zukunft könnten differenzierte Preise helfen, den Verkehr besser zu lenken und Spitzenzeiten zu entlasten. 

Wie kann die Digitalisierung nachhaltige Mobilität fördern? 
Mobility as a Service ist ein grosses Thema. Echtzeitdaten über Auslastungen könnten Touristen helfen, alternative Verbindungen oder Zeiten zu wählen. Digitale Plattformen ermöglichen eine bessere Steuerung und machen den ÖV noch attraktiver. 

Videocast: Hospitality Insight

Oliver Stoldt: «Im grossen Business geht nichts mehr ohne Buchungs­platt­formen»

Er ist ausgebil­deter Koch, war Hoteldi­rektor und ist der Gründer des Alpensym­po­siums in Interlaken: Oliver Stoldt. Heute organisiert er mit seinen Firmen weltweit Business-Konferenzen.
Gaston Haas
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Vor fünf Jahren brach die Pandemie über die Welt herein und hat den Geschäftstourismus schwer getroffen. Was sind Ihre wichtigsten Learnings aus dieser Zeit? 
Zwischen Januar 2020 und Juli 2021 hat sich technologisch unglaublich viel getan. In dieser kurzen Zeitspanne haben wir mehr Innovationen gesehen als in den Jahren zuvor. Die Welt wurde auf einmal digital: Konferenzen fielen aus, Hotels blieben leer. In der Schweiz hat der Bundesrat aber mit Augenmass reagiert, und viele Hotels haben die Zeit genutzt, um sich technologisch neu aufzustellen – vor allem im Bereich hybrider Konferenzen und Streaming. Das hat die Branche für die Zukunft gut vorbereitet. 

Hybride Formate wie Teams oder Zoom haben stark zugenommen. Ist das noch immer ein grosser Teil des Geschäfts, oder sehen Sie eine Rückkehr zu physischen Meetings? 
Die Menschen wollen wieder zusammenkommen, und viele internationale Meetings sowie Vertriebsmeetings finden wieder live statt. Gleichzeitig bleiben interne Meetings in Unternehmen oft digital, was Kosten spart. Das sind einerseits Reisekosten, anderseits Übernachtungskosten. Das spürt die MICE-Hotellerie natürlich, aber innovative Hotels schaffen es, neue Geschäftsfelder zu erschliessen. 

Jede fünfte Hotelübernachtung in der Schweiz ist geschäftsbedingt. Das entspricht rund acht Millionen Logiernächten. Was könnte die Branche tun, um dieses Segment besser zu bedienen? 
Vieles liegt auf der Hand, wird aber oft nicht genutzt. Ich stehe dann in einem Hotel und sage: Ey, verpasste Chance.  

Nennen Sie mir ein konkretes Beispiel.
Da liegt ein Hotel in schönster Umgebung. Aber als Konferenzgast erhalte ich keine Informationen, was ich zum Beispiel am Wochenende unternehmen könnte. Es wird nichts unternommen, um den Gast für einen privaten Aufenthalt zu motivieren. Ein Seminar- oder Konferenzgast sollte immer ein Angebot für einen erneuten Besuch erhalten, sei es zu Ostern, Weihnachten oder für ein Familienwochenende. Das ist doch grossartiges Potenzial, um etwa die Saison zu verlängern. Auch die systematische Erfassung von Kontaktdaten für Nachfassaktionen wird oft vernachlässigt. Hier gibt es enormes Potenzial, um die Kundenbindung zu stärken.  

Wo liegt denn das Problem? 
Der Hotelier müsste seine Hausaufgaben machen. Oder die Sales-Abteilung. Es reicht halt heute nicht mehr, als Gschänkliüberbringer zu funktionieren. Dazu kommt ein Loyalitätsproblem, das wir in vielen Hotels sehen. Die Verkaufsleute wechseln ihre Stellen sehr schnell. So kann keine Beziehung zum Haus entstehen. Ich kenne Travelmanager, die sammeln schon längst keine Visitenkarten mehr. In einem halben Jahr ist ja sowieso eine andere Person für den Verkauf zuständig. 

Eigentlich unverständlich, wenn man weiss, dass der MICE-Umsatz bis 2030 allein in der Schweiz auf 1,8 Milliarden Dollar geschätzt wird. 
Das ist so. In Deutschland sind es knapp 60 Milliarden, in den USA um die 100 Milliarden. Da liegt ein riesiges Potenzial brach. Schweiz Tourismus macht einen hervorragenden Job und holt die Gäste ins Land. Wenn sie aber da sind, müssen die Gastgeber übernehmen. Die Schweiz organisiert im nächsten Jahr viele Grossanlässe: ESC, die Frauenfussball-EM, die Ski-WM 2026 in Crans Montana. Das sind einmalige Chancen, die wir packen müssen. 

Ein Seminargast sollte immer ein Angebot für einen erneuten Besuch erhalten.

Die Schweiz gilt als beliebtes MICE-Land. Wo liegen unsere Stärken, und wo sehen Sie Herausforderungen im internationalen Vergleich? 
Unsere Stärken liegen in der Sicherheit, der Sauberkeit, der Mehrsprachigkeit und der guten Infrastruktur. Herausforderungen gibt es beim Preisniveau. Wir sind oft teurer als Konkurrenten wie Wien, Prag oder Berlin. Zudem werden grosse Konferenzen heutzutage immer kurzfristiger geplant, was unsere Kapazitätsgrenzen testen kann. 

Thema Buchungstools. Ich nehme an, dass das Telefon für einen Veranstalter heute nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. 
Absolut. CVent, Meetago oder Meetingselect spielen hier ganz oben mit. Insgesamt sind es vielleicht sieben, acht Unternehmen, die systemrelevant sind. Wenn ich mich mit Hoteliers unterhalten, kennen alle Booking.com. Klar. Aber die eben erwähnten? Da kommt wenig. Und das ist ein Problem, denn da spielt die Musik. Viele Hoteliers denken noch immer, dass die Tagungen und Meetings per Telefon oder E-Mail angefragt werden. 

Gibt’s das so wirklich nicht mehr? 
Im Bereich KMU mag das noch so gemacht werden, aber im grossen Business geht nichts mehr ohne die Plattformen. 

Wie mache ich denn das als kleines Haus? Mir fehlt doch die Zeit, um mich mit all den Tools auseinanderzusetzen. 
Sie kommen nicht mehr darum herum. Unternehmen buchen heute ihre Events wie eine Geschäftsreise. Die buchen den Flug online, das Tagungshotel online, die Kaffeepause, Lunch und Dinner, Chauffeurservice, alles online. Wenn du hier als kleines Hotel nicht dabei bist, kriegst du kein Geschäft mehr. Das wird immer mehr zunehmen, denn unternehmensintern werden die Verantwortlichen angehalten, mit diesen Plattformen zu arbeiten. Die sind an die ganze interne IT angebunden, ans Buchungs- und Verrechnungssystem etwa. Dazu kommen die ganzen Compliance-Vorgaben, da haben Telefon oder gar Fax keine Chance mehr heute. 

Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema. Welche Rolle spielt sie im MICE-Bereich? 
Eine sehr grosse. Green Meetings sind heute Standard. Unternehmen erwarten, dass Veranstaltungsorte mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind und dass Hotels nachhaltige Praktiken umsetzen. Sind Nachhaltigkeitszertifikate vorhanden? Wie sieht das Frühstücksbuffet aus, sind die Trinkhalme aus Plastik, welche Verpackungen gibt es? Wer diese Standards nicht erfüllt, wird von Veranstaltern oft nicht mehr berücksichtigt. Das betrifft alles – von E-Autos für den Shuttleservice bis hin zur Vermeidung von Plastikverpackungen. 

Wo steht hier die Schweizer Hotellerie im Vergleich? 
Die Schweiz ist in Sachen Nachhaltigkeit vorne mit dabei, das kann ich guten Gewissens sagen, da ich international vergleichen kann. 

Wer spielt sonst noch vorne mit? 
Das sind ganz allgemein die skandinavischen Länder, die sind Vorreiter. 

Technologien wie Augmented Reality oder Virtual Reality: Sind das ernstzunehmende Trends oder Spielereien? 
Das sind keine Spielereien mehr, sondern wichtige Werkzeuge. Gerade bei Messen und Produktpräsentationen sehen wir viele Anwendungen, von virtuellen Räumen bis hin zu Gamification. Accor leistet in Sachen Gamification Pionierarbeit. Auch Avatare werden zunehmend genutzt – sei es für Vorträge an mehreren Orten gleichzeitig oder für interaktive Gästeerlebnisse. Diese Technologien haben das Potenzial, die Branche nachhaltig zu verändern. 

Nennen Sie uns ein besonders eindrückliches Beispiel. 
Aus der Unterhaltungsbranche kommt mir das Abba-Konzert in London in den Sinn. Eine zweistündige Veranstaltung mit den vier als Avatare. Das ist sensationell. Heute gibt es bereits viele Speaker, die ihre eigenen Avatare kreieren. Da tritt also ein Redner in Deutschland auf, während gleichzeitig ein Avatar in Singapur sitzt, ein zweiter in Dubai. Er kann also seinen Vortrag dreimal verkaufen. Künstliche Intelligenz übernimmt die Übersetzungen. 

Beim Thema Gamification kommen mir vor allem junge Menschen in den Sinn. Lässt sich Spielerisches tatsächlich in den Geschäftstourismus integrieren? 
Vor Kurzem hatten wir in Hannover unter anderem mit Schweiz Tourismus zu einem Kongress geladen: The Future of Events. Eingeladen haben wir nicht etwa Eventagenturen, sondern 90 Studierende und Lernende, dazu Dozentinnen und Dozenten. Wir wollten herausfinden, wie die Konferenz der Zukunft aussieht. 

Da bin ich gespannt. 
70 Prozent der jungen Leute wünschen sich Altbewährtes wie Sicherheit, viele Pausen, persönlichen Austausch. Nur ein Drittel wünscht sich technische Dramaturgie. Technologie ja, aber nur da, wo sie wirklich unabdingbar ist. Vielleicht wäre das mal etwas, das wir auch in der Schweiz organisieren könnten. 

Abschliessend wüsste ich gerne, was sind für Sie die drei wichtigsten Zutaten für einen gelungenen MICE-Anlass? 
Erstens die richtige Location – nicht jedes Hotel passt zu jedem Event. Zweitens ein durchdachtes Programm mit klarer Dramaturgie. Drittens müssen Veranstalter immer die Teilnehmerperspektive einnehmen: Was sind die drei Take-aways, die die Gäste mit nach Hause nehmen? Denn der Return on Investment ist auch bei Events entscheidend. 

Videocast: Hospitality Insight

Jan Steiner: «2003 habe ich Blut geleckt»

Seit September 2023 ist er CEO von Engadin Tourismus. Im Interview spricht Jan Steiner über Chancen und Risiken von Grossan­lässen, und sagt, wie sich das Engadin touristisch weiter­ent­wi­ckeln will.

Jan Steiner, was begeistert Sie persönlich an Grossanlässen wie der anstehenden Freestyle-WM, dem Engadin Ski Marathon oder die Idee der Olympischen Spiele in der Schweiz?  
Grossanlässe sind Projekte, wo alle miteinander an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Ich war 2003 bei der Skiweltmeisterschaft in St. Moritz das erste Mal aktiv dabei – als Rutscher am Berg. Da habe ich ein bisschen Blut geleckt. Die gewonnenen Erfahrungen helfen mir in meiner Situation als CEO von Engadin Tourismus, Politiker, Partner, eigentlich das ganze Tal wieder auf einen Grossanlass einstimmen zu können.  

Was ist das Besondere für das Engadin an den grossen Kisten?  
Das Engadin und St. Moritz sind mit solchen Events gross geworden. Das hat mit den Engländern angefangen, die mit dem Bob zu uns gekommen sind. Dann natürlich auch die Anlässe auf dem See, Polo und White Turf …  

 «Hospitality Insight»

Hotellerie, Tourismus, Gastronomie: Unsere Branche ist unglaublich dynamisch und vielfältig. Diesem Umstand tragen wir neu mit unserem Videocast «Hospitality Insight» Rechnung.

Jeden Monat unterhalten wir uns mit einer Persönlichkeit über das Schwerpunktthema der folgenden Ausgabe Ihrer «htr hotelrevue». 

... das sind doch eher Cüpli-Anlässe im überschaubaren Rahmen. Nicht unbedingt riesige Veranstaltungen. 
Das stimmt. Aber auch die haben sich weiterentwickelt und dank ihnen wurde eine neue Ära eingeläutet. Grossanlässe gehören heute zu unserer DNA, die wir pflegen wollen. Immerhin hat St. Moritz 1928 und 1948 Olympische Spiele ausgerichtet. Wir hatten fünf Weltmeisterschaften und veranstalten im März das erste Mal auch die Freestyle-Weltmeisterschaft aus.  

Welche wirtschaftlichen Ziele verfolgt Engadin Tourismus mit diesen Events? Braucht es diese Grossanlässe überhaupt?  
Die Frage, ob es sie braucht oder nicht,  kommt bei uns immer wieder auf. Für den Tourismus sind Grossanlässe sicher befruchtend. Mit Blick auf die bevorstehende Freestyle-WM: Ostern ist 2025 sehr spät, deshalb ist der März der ideale Zeitpunkt, diese WM nach dem Skimarathon durchzuführen. Solche Anlässe helfen uns auch, Grossinvestitionen zu tätigen. Dank der WM konnten wir eine weltcuptaugliche Halfpipe im Tal realisieren; eine Freestyle-Halle steht zur Diskussion. Das zeigt: Grossanlässe ziehen auch Investitionen an.  

Inwiefern prägen solche Anlässe die Marke Engadin?  
Wenn es um die Marke und das Branding Engadin geht, zielen wir auf eine Verjüngung hin. Gegenwärtig haben wir eine Gästestruktur von 45 Jahren aufwärts. Wir wollen ein jüngeres Publikum erreichen und Angebote für jüngere Zielgruppen haben. Da ist die Freestyle-WM ein sehr schöner Punkt.  

Wie wollen Sie mit den erwarteten rund 80'000 Besucherinnen und Besuchern an der Freestyle-WM einen nachhaltigen Event sicherstellen?  
Wenn ich das Wort Nachhaltigkeit höre, sollten wir immer alle drei Dimensionen berücksichtigen. Über die ökonomische haben wir uns schon unterhalten. Sie bringt die Wertschöpfung und Investoren, die an die Zukunft dieses Tals glauben.  

Dann gibt es die soziale Nachhaltigkeit.  
In diesem Bereich sind wir sehr stark. Nehmen wir die freiwilligen Helfer. Sie sind ein Vermächtnis aus der nachhaltigen Alpinen Weltmeisterschaft 2003. Der Spirit der Volunteers, die bei uns an die Grossevents kommen, um zu helfen, ist immer noch da. Vielleicht müssen wir noch die eine oder Hausaufgabe machen, etwa wie wir die einheimische Bevölkerung noch aktiver in diesen ganzen Prozess einbeziehen. Zum Beispiel mit mehr Aufklärung, um das Verständnis für solche Anlässe zu fördern.  

Bleibt die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit. Jüngere Leute sind klimasensibel, Nachhaltigkeit ist ihnen wichtig.  
Es ist ganz wichtig, dass alle drei Dimensionen in einem Gleichgewicht stehen. Nachhaltigkeit ist nicht nur Ökologie. Aber auch hier sind wir uns der Verantwortung bewusst. Wer beispielsweise mit der Rhätischen Bahn anreist, hat die Fahrtkosten inklusive im Eintrittsticket. Die OKs aller Anlässe in unserem Tal sind sensibilisiert auf die Thematik. 

Sie sagen, man müsse noch ein bisschen mehr Aufklärung betreiben und die regionale Einbindung fördern. Gibt es konkrete Initiativen, um die lokale Wirtschaft nachhaltig zu stärken?  
Die vielen kleinen OKs im Tal leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Es kommt kein grosser Event-Anbieter, der etwas hinklotzt und dann wieder abzieht. Bei uns funktioniert das von unten nach oben. Für Grossevents stimmen wir uns mit allen Keyplayern ab: mit der Hotellerie, den Bergbahnen, aber auch mit der Politik. 

80'000 Besucherinnen und Besucher brauchen Betreuung und wollen bedient werden. Haben wir nicht schon ohne Grossanlässe Mühe, genug Fachkräfte zu finden? 
Es ist ein Glücksfall, dass die Freestyle-WM auf die zweite Märzhälfte fällt. So können Hotels offenbleiben, und ihr Personal bis Ostern, also über Mitte April hinaus beschäftigen. Wir bringen mit dem Anlass die Gäste in die Hotels. Somit haben wir eine Win-win-Situation. 

Grossanlässe gehören zur DNA des Engadins und von St. Moritz.

Woher kommen all die Fachkräfte? 
Das Engadin und St. Moritz sind begehrt, auch bei den Arbeitnehmenden. Wir finden die Arbeitskräfte, die wir brauchen. Das grössere Problem ist: Wo bringen wir sie unter? Da wurde die Politik im Tal aktiv und man will jetzt auch Wohnraum zu schaffen. Nun kommen gesetzliche und raumplanerische Aspekte ins Spiel, die diese Absichten verzögern. Das ist bei uns aktuell ein bisschen die Achillesferse. 

Wo sehen Sie das Engadin in 10, vielleicht in 20 Jahren im Kontext von internationalen Events?  
Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir für die FIS-Games, die immer zwischen den Olympischen Spielen stattfinden, Interesse bekundet haben. Es laufen aktuell Verhandlungen zwischen FIS und Swiss Ski. Dann sind die X-Games aus Amerika eventuell spannend – neue Formate im Skisport, die ein jüngeres Publikum ansprechen. 

Auch die Olympischen Winterspiele 2038 sind wieder Thema. 
Es würde uns für die ganze Schweiz freuen, wenn die Olympischen Winterspiele 2038 zustande kämen. Wenn es klappt, sehen wir, was im Engadin möglich ist. Wir sind immer bereit für spannende Anfragen von Grossanlässen. Aber auch hier gilt: Rechtzeitige Einbindung der Bevölkerung und die richtige Kommunikation sind wichtig. Wenn man einfach Grossevents durchführt, ohne den Rückhalt aus der Destination, wird man zum Einzelkämpfer. 

Was ist jeweils die grösste Kritik an Grossanlässen? 
Ein wichtiger Punkt ist das Geld. Wie viel Steuergelder sollen investiert werden? Wäre die Finanzierung nicht Aufgabe von Sponsoren? Das sind die häufigsten Fragen. 

Warum existiert eigentlich über Weihnachten und Neujahr kein Grossanlass? 
Da muss man ehrlich sein: Über diese Tage haben wir genügend Gäste. Wenn ich sehe, welche Flut an Veranstaltungen wir im Tal haben, die sich teilweise gegenseitig konkurrenziert, wäre eine Bereinigung sicher nicht schlecht. Am wichtigsten ist es, dass die einheimische Bevölkerung und die Gäste gut aneinander vorbeikommen. 

Ist es für Sie denkbar, dass die Region auch ohne regelmässige Grossanlässe erfolgreich sein könnte? 
Wir sind mit den Grossanlässen gross und stark geworden. Darauf bauen wir auch künftig. Aber wir wollen auch diversifizieren. Der Sommer wird immer stärker. Wenn es in den Städten zu heiss wird, wird unsere Bergfrische wichtiger. Und dann kommt der goldene Herbst. Wenn wir passende Produkte finden, die uns die Saisons verlängern, haben wir, ein zweites schönes Standbein, an welchem wir auch weiterarbeiten können.