Bis zu 36 Prozent mehr Lohn: Das neue Tarifwerk des Gastgewerbeverbands im Bundesland Rheinland-Pfalz – eine Reaktion auf den akuten Fachkräftemangel – sorgte kurz vor Weihnachten für Aufregung. In den deutschen Medien war von Preiserhöhungen zwischen 5 und 20 Prozent für den Restaurantbesuch die Rede. Und wie sieht es in der Schweiz aus?

«Du musst mindestens 5500 Franken im Monat verlangen – 6000, wenn du Führungsverantwortung hast.» Diesen Rat gibt Tom Christen, Gastgeber im Landhaus Liebefeld, seinen Köchen mit auf den Weg. Gute Köche seien derzeit so gefragt, dass solche Löhne drinlägen.

Mehr noch: «Wir müssen faire Löhne bezahlen, sonst können wir noch lange Nachwuchs ausbilden», meint der passionierte Gastronom. Die Lohnunterschiede beispielsweise zu Bürojobs seien derzeit zu krass. «Logisch sagt sich mancher: Ich bin fleissig, belastbar, kann gut mit Menschen umgehen. Da bin ich sicher auch in anderen Branchen gefragt.» Christen selbst hat im Landhaus eben erst zwei Köche aus Italien angestellt. Ihnen bezahle er im Monat 200 bis 300 Franken mehr, als früher üblich gewesen sei.

Der Lohn ist wichtig, aber nicht alles
Für Ruedi Stöckli, der bis letztes Jahr während 34 Jahren das Landgasthaus Strauss in Meierskappel geführt hat, ist klar: Die Löhne im Gastgewerbe steigen. «Die Fachkräfte können heute auswählen, wo sie arbeiten wollen», sagt der Präsident des luzernischen Wirteverbands Gastro Luzern, «da gehst du als Koch oder Restaurationsfachfrau vermutlich lieber zu dem Betrieb, der dir den höheren Lohn bietet». Arbeitgeber könnten nur noch Mitarbeitende akquirieren, wenn sie Löhne bezahlten, die höher seien als der Mindestlohn.

«Die Tendenz zu höheren Löhnen wird in den nächsten Jahren bestehen bleiben.»

Bruno Lustenberger
Präsident Gastro Aargau und Vizepräsident Hotel & Gastro Formation

Auch Bruno Lustenberger, Gastgeber in den Hotels Bahnhof und Krone Aarburg und Präsident von Gastro Aargau, ist überzeugt, dass der Fachkräftemangel zu höheren Löhnen führen wird – nicht nur bei Neuanstellungen, sondern auch bei Angestellten, die man unbedingt halten wolle. Wegen der prekären Situation bei den Lernenden – als Vizepräsident von Hotel & Gastro Formation bekomme er hautnah mit, dass immer weniger Junge eine Lehre im Gastgewerbe machten – rechnet Lustenberger damit, dass der Fachkräftemangel und damit die Tendenz zu höheren Löhnen der Branche die nächsten Jahre erhalten bleiben.[RELATED]

Bisher keinen Lohnwettbewerb stellt dagegen Marc Tischhauser in Graubünden fest. Für den Geschäftsführer von Gastro Graubünden stehen beim Thema Fachkräftemangel so oder so die Wertschätzung und der Einbezug der Angestellten im Vordergrund – und nicht der Lohn. Das sei nicht nur betriebswirtschaftlich interessanter, sondern auch nachhaltiger. «Die Mitarbeitenden bleiben einem Betrieb eher treu, wenn sie sich wohlfühlen, als wenn sie nur einen guten Lohn bekommen.»

Die Gäste zahlen mehr, wenn die Qualität stimmt
Die höheren Löhne haben Folgen für die Preise auf der Speisekarte. «Klar», sagt der Luzerner Ruedi Stöckli. Schliesslich müsse ein Betrieb die Marge halten, wenn er überleben wolle. Letztlich gehe es auch um den Unternehmerlohn, der oft vergessen gehe. Der erfahrene Wirt rechnet damit, dass es in Zukunft, wenn sich das Gastgewerbe erholte hat, vermehrt zu Preiserhöhungen kommen wird: «In den aktuell schwierigen Zeiten traut sich womöglich mancher nicht, die Preise anzuheben.»

Und wie steht es um die Zahlungsbereitschaft der Gäste? Da sind sich die Gastronomen einig: Solange die Qualität hoch ist, sind die Gäste auch bereit, etwas mehr dafür zu bezahlen. Qualität sei heute wichtiger denn je, findet Lustenberger, gerade auch im Service. «Das günstigste Mittagsangebot in der ‹Krone› wird heute kaum mehr nachgefragt.» Das sei wohl eine Folge der Pandemie, meint er: «Die Leute haben viel Zeit zu Hause verbracht und wollen sich jetzt etwas gönnen und sich verwöhnen lassen.»

Dass hohe Qualität nicht unbedingt Hummer an Champagnersauce oder Kobe-Rind mit Foie gras heisst, beweist ein Beispiel aus dem Landhaus Liebefeld: Gemäss Christen hat der Hackbraten im Gasthaus vor vier Jahren 19.50 Franken gekostet. Heute sind es 26.50 Franken – «und der läuft sehr gut».

Steigende Löhne könnten einen grundlegenden Wandel bewirken
Höhere Löhne werden die Branche womöglich grundlegend verändern. Lustenberger rechnet etwa damit, dass noch mehr Restaurants ihr Angebot beschränken werden. So brauche ein Betrieb weniger Köche und könne diese dafür besser bezahlen. Speisekarten, die von Pizza über Schnipo bis asiatisch alles böten, hätten endgültig ausgedient.

Und Christen erwartet, dass die Lohn- und Preisdiskussion zu einer Zweiteilung der Branche führen wird. Auf der einen Seite die gehobene Gastronomie – egal, ob modern oder traditionell –, die dank hoher Löhne und hoher Preise Spitzenpersonal anzieht und damit Topleistung abliefert. Auf der anderen Seite einfache Lokale wie Kebab-Stände und Pizzerias, die mit tieferen Preisen und dank dem Geschäft mit der Masse überleben. Für die Betriebe dazwischen werde es wohl schwierig, prognostiziert der Gastronom.

Auch die Hotelzimmerpreise steigen
Interessant ist die Frage, welchen Einfluss der Fachkräftemangel auf die Preise der Hotellerie hat. Reisetopia.de hat unlängst festgestellt, dass in Deutschland die Preise für Hotelübernachtungen «in extreme Höhen gestiegen» seien. Bis zu 40 Prozent teurer als vor einem Jahr sei manches Zimmer. Als Hauptgrund dafür nennt das Portal den Personalmangel. Hotels könnten nicht mehr mit voller Kapazität planen und müssten mit weniger Zimmern die Kosten decken.

«Die Ferienhotels im Kanton Graubünden sind derzeit ausgebucht.»

Marc Tischhauser
Geschäftsführer von Gastro Graubünden

Auch in der Schweiz sind die Preise im Vergleich zu vor der Pandemie gestiegen – in gewissen Ferienregionen wie dem Tessin, dem Berner Oberland und um den Vierwaldstättersee sogar um zweistellige Prozentwerte. Das sei aber keine Folge des Fachkräftemangels, ist der Bündner Marc Tischhauser überzeugt, sondern der hohen Nachfrage geschuldet. «Die Ferienhotels in Graubünden sind derzeit ausgebucht.»

[DOSSIER]

Mischa Stünzi