Sabine Dorn-Aglagul, in einem Zeitungs-Interview verkündete Accor-CEO Sébastien Bazin zu Jahresbeginn: «Mövenpick wird in den kommenden Jahren sicher doppelt so gross wie heute.» Löst das bei Ihnen eher Stress oder Vorfreude aus?

Es löst Begeisterung aus. Wobei für mich der angekündigte Entwicklungsschritt eher am unteren Ende der Möglichkeiten liegt.

Man könnte einen solchen Big-Boss-Schlachtruf auch als Druck empfinden. Weil nun klar ist, dass Sie liefern müssen.

Im Hotelleben lernt man, mit Drucksituationen umzugehen – weil es täglich so viele gibt davon. Man kann es das Hotel-Gen nennen. Ich jedenfalls mag Stress. Persönlich empfinde ich eher dann unangenehmen Druck, wenn gar nichts passiert. Oder wenn sich Routine einstellt. Es gefällt mir, wenn mehr auf den Tisch kommt, wenn Bewegung und Geschwindigkeit in einer Situation drin sind. Wie letztes Jahr durch die Accor-Übernahme.

Sabine Dorn-Aglagul (48) stiess im April 2017 zu den Mövenpick-Hotels, wo sie als Schweiz-Chefin startete. Seit Juni 2018 ist sie für die europäischen Hotels der Gruppe zuständig. Vor ihrer Mövenpick-Zeit war die Deutsche seit dem Jahr 2000 in verschiedenen Positionen in der internationalen Markenhotellerie tätig, so etwa für Starwood in der Türkei, für Westin in München sowie über neun Jahre in Hilton-Kaderfunktionen in München, Düsseldorf, Wien und der Türkei. Sabine Dorn-Aglagul ist verheiratet und lebt am Bodensee.

Was hat sich dadurch bewegt?

Eine ganze Menge. Der grosse Vorteil für die Mövenpick-Hotels ist es, dass wir nun von den Verkaufskanälen und Kommerzialisierungs-Tools der Accor-Gruppe profitieren. Und es spielen Synergien, etwa beim Thema gemeinsamer Einkauf, was natürlich unsere Kaufkraft stärkt. Plus, nicht zu vergessen, das Loyalitätssystem. Wenn Accor im November vom bisherigen Programm Le Club Accor Hotels zum neuen System ALL umstellt, werden die Mövenpick Hotels von Beginn weg dabei sein. Als Teil eines Verbundes, in dem über 
60 Millionen Gäste erfasst sind. Man darf nicht vergessen: Vorher hatten 
die Mövenpick-Hotels gar kein eigenes Kundenbindungsprogramm. Die stärkste Kundenbindung ergab sich wohl durch die grosse Loyalität der deutschen und Schweizer Gäste 
zur Geschichte von Mövenpick und zum Gründer Ueli Prager.

Menschen unter 35 kennen diesen Namen kaum noch.

Das mag schon sein. Aber bei den Eltern und Grosseltern dieser Leute ist der Name immer noch unheimlich präsent. Und sie erzählen es den Jungen weiter. Was aus der Ära Prager weiterhin stark wirkt: Die Food-and-Beverage-Kompetenz unserer Gruppe, die in der Accor-Familie sehr anerkannt wird und auch weiterentwickelt werden soll.

Das sind die Vorteile der Übernahme. Welches sind die Nachteile?

Es ist natürlich schon so: Wenn eine grosse Firma eine kleine übernimmt, dann kreiert das zunächst einmal Ängste. Und diese Ängste gab es natürlich. Aber jetzt kommt wieder das Thema mit dem Stress-Umgang. Und da bin ich klar der Meinung: Positiver Stress bringt uns nach oben, positiver Stress macht uns besser.

Seit dem Abgang von Olivier Chavy haben die Mövenpick-Hotels keinen eigenen CEO mehr. Schwindet so nicht die Bedeutung des Unternehmens innerhalb des Accor-Konzerns?

Das war zu Beginn auch meine Sorge. Wenn eine Grossfirma wie Accor kommt, mit so vielen verschiedenen Marken und Konzepten, dann kann die Befürchtung aufkommen, dass man einfach so weggeschluckt wird. Was aber nicht geschehen ist. Heute kann ich feststellen, dass wir uns Accor-intern einen eigenen Marken-Stellenwert erarbeitet haben. Mövenpick mag im ganzen Konzern drin eine verhältnismässig kleines Unternehmen sein, aber unsere Leute sind bei jeder Entwicklung dabei, die unsere Marke betrifft. Ich lasse mir dabei die Butter nicht vom Brot nehmen und finde es wichtig, dass wir unsere Werte bei Accor ankommen lassen. 
Wir lernen sehr viel von Accor. Aber Accor lernt auch sehr viel von uns.

Wenn Eigenständigkeit so wichtig ist: geht es dann wirklich ohne Mövenpick-Hotel-CEO?

Ein CEO ist eine strategische Gallionsfigur, die in der Regel ein gutes Team um sich herumbaut. Um dann wirklich die Werte und Aktionen zu planen. Die Werte von Aktionen werden aber am Ende des Tages von den Mitarbeitenden realisiert. Dass mich Accor komplett in meiner Rolle gelassen hat, zeigt ja auch, dass das Thema Marken-Identität ernst genommen wird.

In der Schweizer Wahrnehmung bedeutet eine französische Übernahme dies: Paris regiert, und alle anderen müssen spuren.

Dieses Vorurteil kenne ich. Nun hat es aber jede und jeder in der Hand, das Beste für sich herauszuholen. Man hört uns zu im Konzern, weil Paris realisiert hat, dass Mövenpick viele Werte und eine starke Historie mitbringt.

Paris regiert zwar, hört auch mal zu?

Treffender ist es so: Paris gibt die Marschroute vor. Aber wir können den Weg mitbestimmen.

Innerhalb der Accor-Gruppe haben Sie für Ihre Häuser in der Schweiz und Deutschland einen Ansprechpartner, einen weiteren für Holland und noch einmal einen anderen für die Hotels in der Türkei. Klingt mühsam.

In der Realität ist es dies aber nicht. Was für mich wichtiger ist: Auch ein Jahr nach der Übernahme ist das Mövenpick-Führungsteam noch so beisammen wie damals. Viele der Mövenpick-Mitarbeitenden haben sogar grössere Verantwortungsbereiche innerhalb des Konzerns bekommen. Das sieht man nicht oft bei Übernahmen.

Wenn Monsieur Bazin von einer Verdoppelung der Mövenpick-Hotels spricht, dann heisst das im Falle von Mövenpick Europa: Bald 36 Häuser statt der heute 18? Viel heisse Luft oder realistisch?

Das ist sehr realistisch.

Können Sie selber noch Standorte suchen und sichern – oder werden Ihnen diese von Paris vorgelegt?

Ich kann Ideen und Kontakte einbringen. Dann übernimmt Paris und kommt wieder zu uns zurück, wenn es darum geht, Machbarkeitsstudien anzulegen und ins Operative zu gehen.

Dann kann es aber auch sein, dass Paris einen von Ihnen vorgeschlagenen Standort lieber mit einer anderen Accor-Konzernmarke wie Ibis Styles oder MGallery bestücken will?

Das kann geschehen. Aber es ist ja auch so, dass jede der Accor-Marken ihre eigene Brand-Konfiguration hat. Was uns bei Mövenpick aber hilft: Wir sind nicht dauernd nur an Haupt-Destinationen interessiert, sondern fühlen uns auch in kleineren Städten wie im westfälischen Münster wohl. Und dann kommt noch etwas dazu: Accor stammt zwar ursprünglich aus der Economy- und Midscale-Hotellerie, das Wachstum will man aber hauptsächlich im Premium- und Luxus-Bereich erzielen. Also dort, wo wir mitspielen.

Welche der gegen 30 Accor-Hotelmarken sehen Sie auf Augenhöhe mit den Mövenpick-Hotels?

Sicher einmal unsere Markenschwester Swissôtel, die 2015 von Accor übernommen wurde. Daneben Pullman und die grösseren Häuser von Novotel.

Sie eröffnen in Basel im ersten Halbjahr 2020. Wie wichtig wird dort der Meeting- und Incentive-Markt für Mövenpick werden?

Sehr wichtig. Wir haben heute schon wöchentlich Anfragen für den Ballsaal, der mit allen Break-out-Areas zusammen rund 2000 Quadratmeter umfasst. 800 bis 1000 Gäste können wir dort unterbringen. Wir werden somit den grössten Ballsaal in einer Stadt bieten, die stark lebt von grossen Messen.

Die Uhrenmesse Baselworld ist nun aber durch die Absenz der Marken der Swatch Group geschwächt worden, was Basel erschüttert hat.

Uns auch. Aber der Platz Basel ist immer noch unheimlich stark. Vergessen wir nicht, dass auch zwei Pharma-Weltkonzerne dort ihren Sitz haben.

Die Schweizer Resort-Premiere wird Mövenpick 2021 in Savognin antreten. Nicht gerade ein Ort der Oberklasse in der Bergwelt. Warum Savognin?

Hotelentwicklung hat oft mit guten Gelegenheiten zu tun. Und eine solche bot sich uns in Savognin. Für uns wird das der Einstieg sein in die Alpenregion. Dort können wir Erfahrungen sammeln, die wir in weiteren Schweizer Resorts ausbauen können.

Aber Savognin ist schon eher zweite Bundesliga, oder?

Wenn Sie meinen. Wobei man auch im Spitzenfussball immer wieder auf Teams trifft, die man anfangs unterschätzt. Und die dann erstaunliche Karrieren hinlegen.

Und so könnte sich die Schweizer Resort-Hotellerie für Mövenpick von Savognin aus weiter entwickeln?

Könnte und sollte. Zielsetzung ist es, in Savognin loszulegen und von dort aus weiterzumachen. Beispielsweise Zermatt ist natürlich schon eine sehr tolle Ecke der Schweiz.

Finden Sie genügend Schweizerinnen und Schweizer für die neuen Projekte in unserem Land?

In Basel werden wir mit 150 bis 200 Angestellten starten. Und ich sehe heute schon: Einfach wird das nicht.

Wo liegt das Problem?

Schichtarbeit, auch am Wochenende, das finden heute viele jungen Menschen nicht mehr so attraktiv. Kommt dazu: Die erstarkende Digital-Branche spricht gerade die Millennials stark an. Und: Wer an einer Hotel-Réception arbeitet, kann dies genauso gut am Empfang einer Beratungsfirma tun. Hat dort aber ein freies Wochenende.

Was kann die Branche tun?

Wir investieren verstärkt in Mitarbeitende und zeigen ihnen eine längerfristige Perspektive für ihre Karriere auf. Im Accor-Verbund gelingt uns das jetzt natürlich noch besser, weil nun weltweite Transfer-Möglichkeiten über alle Hotel-Kategorien hinweg möglich werden.

Reicht das?

Es braucht mehr. Ich bin eine grosse Verfechterin von flexiblen Arbeits­programmen. Wo möglich, sollten in Bereichen wie Ertrags-Management oder Finanzen Home-Office-Einsätze möglich sein. Oder die Leute sollten auch mal ein Sabbatical einziehen können. Wer sich als Vorgesetzter nicht von Kündigungen überraschen lassen will, sollte die Zukunftspläne der einzelnen Angestellten kennen. Und dazu beitragen, dass diese Pläne umgesetzt werden können.

Sie machen sich stark für neue Arbeitsmodelle. Kann das Amt des General Managers eines Hotels bei Mövenpick im Job-Sharing ausgeübt werden?

Wir diskutieren über viele dieser Modelle. Persönlich glaube ich, dass das so klappen sollte.

Wie viele der 18 Hotels in Europa werden von Frauen geführt?

Zwei, in Hamburg und Regensdorf.

Genug?

Es kann immer mehr sein.