Noch ist die Crew der 40-jährigen Berlinerin ganz neu. Seit gut einem Monat bespielt ihr 20-köpfiges Team die Gastronomie des jüngst eröffneten Luxushotels. Diese umfasst das Cattani Restaurant, The Palace Bar, die Habanos Cigar Lounge, den Wintergarden, das Frühstück und den Bankettbereich. In ihrer neuen Aufgabe steht Michéle Müller noch immer regelmässig selber am Herd.
Sie sind die erste Executive-Chefin in einem Schweizer 5-Sterne-Superior-Haus. Wie haben Sie im Laufe Ihrer Karriere Frauenförderung erlebt?
Für mich persönlich war das gar nie so ein Thema. Ich bin mit sehr gleichberechtigten Eltern aufgewachsen, die keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gemacht haben. Und dann spielt sicherlich auch meine Persönlichkeit eine Rolle. Es ist nicht so, dass ich im Berufsleben nicht auch schlechte Erfahrungen gemacht hätte. Aber ich habe das selten mit meinem Frausein in Verbindung gebracht.
Man hört ja immer wieder, dass Frauen mehr leisten müssten, um erfolgreich zu sein. Haben Sie dies auch so erfahren?
Ja, das war bei mir auch so. Hier muss ich jedoch präzisieren, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste mehr leisten. Dass ich den schweren Topf immer alleine schleppte, weil ich mir nicht sagen lassen wollte: Das kann sie nicht. Sie ist halt eine Frau. Dass ich meine Meinung nicht mehr änderte, wenn ich mal eine Entscheidung getroffen hatte, weil ich standfest sein wollte. Dass ich bei meinem Nein geblieben bin, wenn ich mal Nein gesagt hatte. Mittlerweile mache ich es anders – den schweren Topf trage ich immer noch (lacht) – aber ich ändere meine Meinung, wenn mir dies angebracht scheint. Ich glaube jedoch, dass dies auch viel mit Erfahrung zu tun hat. Irgendwann merkte ich, dass ich ernst genommen werde, auch wenn ich meine Meinung ändere.
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Haben Sie diesen Drang, stark sein zu müssen, auch bei anderen Frauen im Kochberuf beobachtet?
Ja, dieses Verhalten ist mir über all die Jahre immer wieder aufgefallen. Die Frauen haben oft das Gefühl, sie müssten stärker sein als der Rest des Teams. So ist es mir ein grosses Anliegen, dass ich als Vorgesetzte meine Erfahrungen mit meinen weiblichen Mitarbeitenden teile. Ich versuche ihnen mitzugeben, dass man nicht immer so streng mit sich sein muss und den Job trotzdem gut erledigt kriegt.
Sie haben eine beachtliche Karriere hingelegt. Nehmen Sie für Ihre Kolleginnen eine Vorbildfunktion ein?
Ich werde sicherlich so wahrgenommen. Viele Frauen haben mir auch schon gesagt, dass ich ein Vorbild für sie sei. Ich freue mich immer sehr darüber, bin aber jeweils auch etwas peinlich berührt. Es geht mir aber weniger darum, ein Vorbild zu sein, als darum, meine Erfahrungen weiterzugeben. Damit die jungen Frauen weniger kämpfen müssen.
«Frauen im Kochberuf haben oft das Gefühl, sie müssten stärker sein als der Rest des Teams.»
War für Sie schon früh klar, dass Sie auf die oberste Treppe in der Küchenhierarchie gehören?
Ja, das wusste ich schon früh. Nach meiner Kochausbildung ging ich ins Ausland, um Erfahrungen zu sammeln. Auf jeden Fall wollte ich Küchenchefin werden oder die höchste Position – Executive-Chefin – erreichen. So habe ich in meiner Karriere darauf geachtet, alle Posten zu durchlaufen. Es war mir wichtig, alles selber gemacht zu haben und zu wissen, wie es funktioniert.
Wie geht die Gruppe Kempinski mit dem Thema Frauenförderung um?
Kempinski legt grossen Wert auf Frauenförderung – über alle Abteilungen und auch in der Küche. So darf ich auch mit Stolz sagen, dass ich als Mentorin für ein Female-Culinary-Talents-Programm der Gruppe fungiere und so Kolleginnen begleite und coache.
Zur Person
Michéle Müller (40) ist gebürtige Berlinerin und durchlief ihre Kochausbildung beim Berliner Cateringservice Optimahl. Danach folgten Lehr- und Wanderjahre, die sie rund um den Globus und durch alle Küchenposten führten – vom Chef de Patisserie, Chef de Gardemanger, Chef de Saucier über Junior Souschef bis hin zum Souschef. 2011 übernahm Michéle Müller die Küche des «The Beach House» im Park Hyatt Abu Dhabi Hotel and Villas bereits in der Pre-Opening-Phase und leitete eine Küchenbrigade von 26 Köchen. Ab 2014 war sie drei Jahre als Executive Souschef im «Hyatt Capital Gate» in Abu Dhabi, tätig, bevor sie als Executive Souschef zurück nach Berlin ins Hotel Adlon Kempinski kam.
Wie sieht die Zusammensetzung Ihrer Küchencrew aus?
Selbstredend ist es für mich sehr wichtig, Frauen im Team zu haben. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern ist ausgewogen. Gleichzeitig vertrete ich den Ansatz, dass es eine gute Durchmischung braucht. Ein Team muss divers sein, um gut zu funktionieren. So stammen die Mitarbeitenden aus unterschiedlichsten Ländern, haben unterschiedliche Erfahrungen, kommen aus unterschiedlichen Hotelbranchen oder aus anderen Gastrobetrieben. So arbeitete die Patissière beispielsweise früher in einer Konditorei. Sie ist jetzt zum ersten Mal in der Hotellerie. Eine andere Mitarbeiterin hat in der Hotellerie gearbeitet, aber noch nie im 5-Sterne-Bereich. Ich lege wirklich grossen Wert auf einen guten Mix. Von nirgends zu viel, lautet mein Motto. So kann sich das Team selber gut ausbalancieren, voneinander lernen und sich weiterentwickeln.
Ihr Team ist multikulturell. Wie viele Nationen wirken in der Küche mit?
Wir haben 15 verschiedene Nationen in der Küche bei einem Team von 20 Mitarbeitenden. Sie kommen beispielsweise aus Peru, Argentinien, Mexiko, Rumänien, Österreich, der Schweiz. Alle bringen sie ihre eigenen Erfahrungen mit, auch die Geheimrezepte von ihren Grosseltern. Die wollen wir auch nutzen und in unsere Küche einbringen.
Die Geheimrezepte der Grosseltern – bodenständige Küche im Luxushotel?
Ja, genau. So koche ich gerne. Es soll gut schmecken und unkompliziert sein. Und die Gäste vielleicht sogar dazu inspirieren, ein Gericht nachzukochen. Kochen soll keine Zauberei sein. Das Kochen soll Spass machen und das Essen natürlich umso mehr.
«Es soll gut schmecken und unkompliziert sein.»
Haben Sie ein Lieblingsgericht auf der aktuellen Karte?
Ja, der Schweinebauch mit Eisbein-Pralinen und Gelberbsenpüree. Das ist mein Signature Dish. Das Gericht habe ich zusammen mit meinem Schweizer Souschef entwickelt. Es verbindet Berlin und die Schweiz. Ich musste jedoch meine beiden Schweizer Köche von der Eisbein-Praline überzeugen. Es hat sich gelohnt. (lacht)
Die Speisekarte im Cattani Restaurant ist stark regional und saisonal ausgerichtet. Ist dies auch dem Standort verpflichtet?
Ja, sicherlich. Obwohl ich selbst und auch die Gruppe sehr viel Wert auf Regionalität und Saisonalität legen, käme dies in anderen Teilen der Welt nicht so gut an. Ich habe viele Jahre in Abu Dhabi gearbeitet. Wenn ich den Gästen da etwas von Regionalität und Saisonalität erzählt hätte, hätten die mich nur fassungslos angeschaut. Doch hier in der Schweiz ist das etwas ganz anderes. Die Schweizerinnen und Schweizer legen viel Wert auf gute Produkte. Aus diesem Grund haben wir uns auch für das Konzept «Farm to Table» entschieden. Und auch wenn wir hoffentlich bald wieder mehr internationale Gäste empfangen dürfen, werden wir unserem Konzept treu bleiben.
Also kein Hummer und Co.?
Wir werden im «Cattani» keinen Hummer auf der Karte führen. Wenn ein Gast dies jedoch explizit wünscht, dann werden wir für ihn Hummer bestellen und zubereiten. Im Bankettbereich sieht es anders aus. Da müssen wir eine viel grössere Auswahl anbieten. Wir setzen natürlich ebenfalls Schweizer Produkte ein, aber auch Garnelen und Hummer sind im Angebot.
Neben dem «Cattani», in dem Sie Neuinterpretationen klassischer Schweizer Spezialitäten anbieten, sind Sie auch für das kulinarische Konzept der Palace Bar und des Wintergarden verantwortlich. Wie richten Sie das Angebot da aus?
In der Palace Bar bieten wir klassische Bargerichte an, aber solche, die es in sich haben. Will heissen: «Food you die for», wie man im Englischen so schön sagt. Ich möchte, dass die Gäste drei Tage danach noch an die in Entenfett frittierten Süsskartoffelspalten oder an die Burger und Clubsandwiches denken. Dass sie am Freitagnachmittag im Büro sitzen und den Feierabend nicht erwarten können, um erneut einen Burger zu geniessen. Im Wintergarden dann servieren wir einen gepflegten Afternoon-Tea, wofür sich die Gäste auch ruhig etwas hübsch machen dürfen.
«Ich möchte, dass die Gäste drei Tage danach noch an die in Entenfett frittierten Süsskartoffelspalten oder an die Burger und Clubsandwiches denken.»
Sie sprechen das sehnsuchtsvolle Erwarten des Freitagabends an. Das heisst, Sie fokussieren auch auf lokale Gäste?
Ja, ganz klar. Für mich ist es wichtig, dass wir offen sind für die Locals. Und dass wir nahbar sind. So bin ich ja auch. Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und ich bin alles andere als steif. Es gibt nichts Schöneres für mich, als wenn Engelbergerinnen und Engelberger regelmässig zum Essen kommen. Und nicht nur zu speziellen Gelegenheiten. Es ist uns ganz wichtig, kein unnahbarer 5-Sterne-Palast zu sein.
Also ganz zwanglos?
Ja, genau. Gäste in kurzen Hosen, die sich nach der Wanderung auf die Terrasse setzen. Im Winter Gäste in Skiklamotten in der Bar. Wir wollen, dass die Gäste ohne Hemmschwelle bei uns ein und aus gehen und sich wohlfühlen.
Das klingt nun alles sehr entspannt. Im «Cattani» kochen Sie ja aber trotzdem auf anspruchsvollem Niveau. Streben Sie Punkte und Sterne an?
Wir haben uns gesagt, wenn sie kommen, ist gut. Aber es ist nicht meine persönliche Ambition, einen Stern zu haben. In erster Linie soll mein Essen den Gästen schmecken.
Und noch eine Frage zum Schluss: Was hat Sie dazu bewogen von der Metropole Berlin nach Engelberg zu kommen?
Einerseits das Projekt selbst, aber auf der anderen Seite auch, wieder in der Schweiz leben und arbeiten zu können. Es ist nun bereits meine dritte Station in der Schweiz. Die letzten Jahre in Berlin habe ich immer wieder darüber nachgedacht, in die Schweiz zurückzukommen. Ich bin begeistert von der Reichhaltigkeit und der Qualität der Produkte hier. Ich habe lange in Middle East gelebt. Da haben Gemüse und Früchte einfach keinen Geschmack, weil sie so lange Transportwege hinter sich haben. Hier ist es ganz anders. Wenn man in einen Apfel beisst, schmeckt er nach Apfel. Und der Käse ist so schmackhaft. Ich könnte mich von Käse ernähren (lacht).
Zum Hotel
Das 5-Sterne-Superior-Haus Kempinski Palace Engelberg bietet 129 modern ausgestattete Zimmer und Suiten. Kulinarisch werden die Gäste im «Cattani Restaurant», das über eine grosse Sommerterrasse verfügt, in der «The Palace Bar» mit Cigar Lounge und im «Wintergarden» verwöhnt. Auf dem Dach ist ein rund 880 Quadratmeter grosses Rooftop-Spa mit Infinity Pool entstanden. Ein moderner Veranstaltungsbereich mit neun Räumen und der von der der Kursaal AG Engelberg gemanagte Kursaal für bis zu 1000 Gäste runden das Angebot ab.
Das 1904 als Grandhotel Winterhaus eröffnete Hotel geht auf den erfolgreichen Engelberger Hotelier Eduard Cattani (1841 bis 1908) zurück. Er liess das Haus von seinem Bruder, dem Architekten Arnold Cattani (1846 bis 1921) entwerfen und realisieren. Zusammen mit dem sechsgeschossigen Hotelneubau bildet das denkmalgeschützte Hotel nun als Kempinski Palace Engelberg – Titlis Swiss Alps: «Embrace Swissness» eine architektonische Einheit.