Dieser Moment wurde in den letzten Jahren immer wieder heraufbeschworen – und am Ende doch Mal für Mal vertagt. Im Dezember dann endlich lockerte Chinas Regierung ihre restriktive Null-Covid-Politik und ermöglicht damit ihren Bürgerinnen und Bürgern nach drei Jahren «Stubenarrest» wieder internationale Reisen.
Man hört förmlich, wie in der Tourismuswelt die Korken knallen ob dieser Nachricht. Doch im Zusammenhang mit der Rückkehr der chinesischen Touristen stellen sich auch Fragen. Das sind die wichtigsten Antworten darauf.
Wollen die Chinesen angesichts hoher Corona-Fallzahlen überhaupt verreisen?
Chinesinnen und Chinesen scheinen die wiedererlangte Freiheit sehnlichst erwartet zu haben. Unmittelbar nach der Lockerung habe die Zahl der Suchanfragen in China um eine dreistellige Prozentzahl zugenommen, sagte Jane Sun, CEO des chinesischen Reiseveranstalters Trip.com, jüngst gegenüber CNN – und zwar für alle Destinationen.
Auch der Schweizer Reiseveranstalter STC Switzerland Travel Centre hat schon am Tag nach der Lockerung erste Anfragen für Gruppenreisen erhalten, wie Fabian Bryner, Director Markets & Business Development bei STC, sagt. «Diese Pläne lagen fixfertig in der Schublade.» In China gelte die Pandemie mit den Lockerungen der Massnahmen für viele als erledigt, erklärt Bryner, der aktuell in der Region unterwegs ist. Deshalb lasse man sich von Corona auch nicht mehr vom Reisen abhalten.
Viele Airlines haben ihre Flüge nach China stark reduziert oder eingestellt. Rächt sich das jetzt?
Die fehlenden Flugkapazitäten sind ein entscheidender Faktor für die Touristenströme in den kommenden Monaten. Momentan übertrifft die Nachfrage nach Flügen das verfügbare Angebot, wie verschiedene Fachleute sagen. Vielen Airlines fehlen Personal und Flugzeuge, um die Verbindungen kurzfristig wieder aufzunehmen. Für europäische Fluggesellschaften kommt erschwerend hinzu, dass sie derzeit Russland nicht überfliegen dürfen.
Trip-Chefin Sun erwartet, dass es mindestens ein halbes Jahr dauern wird, bis sich die Lage normalisiert. Schweiz Tourismus geht sogar davon aus, «dass ausreichende Flugverfügbarkeit ein wesentlicher einschränkender Faktor im gesamten 2023 bleiben dürfte». Weil die Flüge so rar, aber gleichzeitig so gefragt sind, sind die Flugpreise aktuell entsprechend hoch.
Welche Folgen haben die gestiegenen Reisekosten?
Dass die Flugkosten höher sind als vor der Pandemie, sieht Bryner eher als Vorteil für die Schweiz. «Die Schweiz ist so oder so ein teures Reiseland. Da fallen die höheren Flugpreise weniger ins Gewicht.» Viele Chinesinnen und Chinesen haben zudem während der Reisebeschränkungen ihr Reisebudget gekürzt und können deshalb nun aus dem Vollen schöpfen. Mit den bekannten Billigtouren, die chinesische Gäste in wenigen Tagen durch halb Europa schleusen, dürfte aber vorerst Schluss sein. Wegen der gestiegenen Preise seien derzeit die Qualitätsansprüche hoch, sagt Bryner. Das bedeute letztlich auch kleinere Gruppen und mehr Individualtouristen.
In Europa haben die Menschen letztes Jahr zuerst Reisen ins nahe Ausland und noch kaum Fernreisen gebucht. Und in China?
Studien der Beratungsunternehmen Goldman Sachs und Capital Economics legen nahe, dass Hongkong, Korea, Japan und südostasiatische Länder wie Thailand, Vietnam, Malaysia und Singapur im ersten Moment am meisten von den Lockerungen der Corona-Massnahmen werden profitieren können. Von den Überseedestinationen stehen aktuell Mauritius, die USA und Australien hoch im Kurs, wie unter anderem Suchanfragen auf Trip.com verraten.
Bryner rechnet damit, dass es bis nach dem chinesischen Neujahrsfest, das am 22. Januar begonnen hat, ruhig bleiben wird bezüglich Anfragen für Reisen in die Schweiz. «Die Chinesen nutzen die freien Tage, um ihre nächsten Ferien zu planen. Für die Zeit nach den Festtagen rechne ich mit einer Buchungswelle. Ob die Schweiz ein Ziel dieser ersten Reisewelle sein wird oder ob Nachbarländer vorgezogen werden, wird sich zeigen.»
Einige beliebte Reiseländer in Europa haben eine Testpflicht für Chinesen erlassen. Schreckt das ab?
Das derzeit führende Produkt für Chinesen, die in die Schweiz reisen, seien Dreiländertouren nach Italien, Frankreich und in die Schweiz, schreibt HotellerieSuisse in einer Broschüre zum chinesischen Markt. Welche Folgen hat also die Testpflicht für Chinesen, die aktuell in Frankreich und Italien gilt? «Als ich meine chinesische Kollegin gefragt habe, ob die Testpflicht jemanden von einer Reise abhalte, hat sie mich ausgelacht. In China sind sich die Leute gewohnt, alle 48 Stunden einen Test zu machen; das ist Alltag, wie das Aufladen des Smartphones», sagt Bryner.
Viele Schweizer Hotels hatten 2022 auch ohne chinesische Gäste eine gute Auslastung. Reicht die Kapazität für die Chinesen?
Die meisten Touristen reisen im Sommer in die Schweiz. Und die Chinesen sind da keine Ausnahme. In den Sommermonaten könne es in Schweizer Hotels durchaus zu Engpässen kommen, schreibt Schweiz Tourismus in einem Marktbericht. «Wir hören hier von vielen Tour-Operators, dass die Hotelkapazitäten ein Problem sind», bestätigt auch Bryner. Selbst von Hotels, die über Jahre asiatische Reisegruppen empfangen hätten, gebe es nun öfter abschlägige Rückmeldungen. Das dürfte die Erholung des chinesischen Quellmarkts hemmen. Gerade im Grossgruppengeschäft werde die Bereitschaft der Hoteliers zu Preiskonzessionen mitunter fehlen, schreibt Schweiz Tourismus.
Aber: «Destinationen mit starkem Asienfokus – insbesondere das Berner Oberland und Engelberg – sowie die Städte-Peripherien wie Kriens und der Grossraum Flughafen Zürich werden rascher und bereitwilliger auf chinesische Einkäufer reagieren.» Bryner verweist zudem darauf, dass Gruppenbuchungen den Hotels eine höhere Planungssicherheit böten: «Die asiatische Reisegruppe kommt, egal, wie das Wetter ist. Wenn der Schweizer Individualgast merkt, dass fürs Wochenende Regen gemeldet ist, annulliert er womöglich seine Buchung kurzfristig.»
Verlagert sich die Nachfrage nun vom Sommer auf andere Jahreszeiten?
«Wir hatten noch nie so viele Anfragen für Winterferien aus dem asiatischen Raum wie jetzt», sagt Bryner. Viele Asiaten hätten einfach die nächstmögliche Reisezeit genutzt, um in die Schweiz zu kommen.