Für Nationalrat Matthias Aebischer ist die Höhere Berufsbildung in der Schweiz eine der besten in Europa. Wer das Schweizer Berufsbildungssystem und dessen Bezeichnungen nicht kenne, dem werde das allerdings nicht klar. «An den World Skills zeigen Schweizer Berufsleute jeweils, dass sie top sind, aber die Titel ihrer Abschlüsse widerspiegeln das nicht», sagt er.
Schweizer Fachkräfte mit HF-Abschluss hätten in einem zunehmend internationalen Arbeitsmarkt vermehrt Nachteile, sagt Aebischer. Dies gelte umso mehr, seit Deutschland 2020 die Bezeichnungen «Bachelor Professional» und «Master Professional» eingeführt habe. Dies für Abschlüsse, die in etwa den Schweizer HF-Diplomen entsprechen. In Deutschland hat man gemäss Aebischer mit den neuen Titeln ausdrücken wollen, dass die höher qualifizierende Berufsbildung und das Hochschulstudium gleichwertig sind.
[IMG 2]Mit Schweizer Abschluss auf falscher Dossier-Beige
Auch in der Schweizer Bildungslandschaft gehört die höhere Berufsbildung zur tertiären Stufe, so wie auch die Fachhochschulen (siehe Grafik). Mit einer Motion will Aebischer als Zusatz neue Bezeichnungen einführen, um die Schweizer HF-Diplome aufzuwerten und sie international besser verständlich zu machen. «Wer sein Dossier für eine Stelle in Deutschland einreicht, die mindestens den Abschluss Bachelor erfordert, landet mit dem Schweizer HF-Diplom auf der falschen Beige», sagt er. «Und wenn er die Stelle doch bekommt, verdient er wegen der vermeintlich geringeren Qualifikation weniger.» Aebischer ist überzeugt, dass HF-Abgängerinnen und -Abgänger sogar im eigenen Land Nachteile haben können. «Vielleicht ist der HR-Verantwortliche einer deutschen Hotelkette noch nicht so vertraut mit dem Schweizer Bildungssystem. Dann unterschätzt er die Qualifikation und lädt die Kandidatin, den Kandidaten gar nicht erst ein.»
Advanced Federal Diploma: «versteht niemand»
Zwar hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) das Problem erkannt und im Rahmen eines Massnahmenpakets zur Stärkung der höheren Berufsbildung spezielle Titelbezeichnungen in Englisch geschaffen. Doch Titelbezeichnungen wie «Advanced Federal Diploma of Higher Education» lösen bei Aebischer nur Kopfschütteln aus. «Das versteht im Ausland niemand. Personalverantwortliche müssten erst recherchieren, um wissen zu können, was das heisst.» Aebischer schlägt stattdessen «Professional Bachelor» und «Professional Master» als Diplomzusatz für Tertiär-B-Abschlüsse vor. Damit sei die Unterscheidung von einem «Bachelor»- beziehungsweise «Master»-Abschluss des Tertiär-A-Bereichs klar gegeben.
Bis jetzt sieht es ganz danach aus, dass Aebischer mit seiner Vorlage Erfolg haben wird. Im Nationalrat wurde die Motion mit grossem Mehr (129 zu 54 Stimmen bei 7 Enthaltungen) angenommen. Gut sieht es für die Motion auch im Ständerat aus. Die vorberatende zuständige Kommission stimmte der Vorlage mit 12 zu 0 bei einer Enthaltung zu. Um im 46-köpfigen Ständerat eine Mehrheit zu erreichen, reichen aus dem Pool der verbleibenden 33 Räte 12 weitere Stimmen. «Das ist realistisch. Es wäre eher überraschend, wenn nach diesem Abstimmungsergebnis der Ständerat nicht der Kommission folgen würde», sagt Aebischer. In der kommenden Session ist das Geschäft für den 6. März traktandiert.
HotellerieSuisse setzt sich aktiv für Motion ein
Hinter der Motion steht auch HotellerieSuisse. Miriam Shergold, Leiterin Bildungspolitik bei HotellerieSuisse, sagt: «Mit den neuen Bezeichnungen können die Absolvierenden endlich allen gegenüber deutlich machen, dass sie in ihrem Beruf hoch qualifiziert sind. Dass der Nationalrat und die Kommission im Ständerat die Motion gutgeheissen haben, ist für uns ein wichtiger Erfolg im Einsatz für die Stärkung der höheren Berufsbildung.» Deshalb setze sich der Verband aktiv für die Annahme der Motion ein.
Christa Augsburger ist Direktorin der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern (SHL) und ausserdem Mitglied des Vorstands der Schweizerischen Konferenz der Höheren Fachschulen. «Die Einführung der Titel trägt massgeblich dazu bei, eine Äquivalenz der höheren Berufsbildung innerhalb der tertiären Bildungsstufe zu schaffen. Sie führt national und vor allem auch international dazu, dass HF-Absolventinnen und -Absolventen auf dem Arbeitsmarkt eine Chancengleichheit zu anderen Titeln erhalten», so Augsburger.
Absolventen wollen verständlichen Abschluss
Dass Absolventinnen und Absolventen sich international qualifizieren möchten, macht sich an der Höheren Fachschule Tourismus (HFT) Luzern bemerkbar. «Viele potenzielle Absolventen an unserer Schule überlegen sich vor Studienbeginn ganz konkret, ob ihnen ihr Diplom international auch Türen öffnen wird», sagt Schulleiter Sergio Roth von der HFT Luzern. «Es macht aus unserer Sicht Sinn, die Bezeichnungen international zu vereinheitlichen.»
Etwas zurückhaltender äussert sich die EHL, die sowohl Lehrgänge mit FH- wie auch HF-Abschlüssen anbietet. «Die EHL Group unterstützt die Einführung des Titels ‹Professional Bachelor› als geschützte englische Übersetzung, die in den Diplomzusätzen zu den HF-Diplomen erscheint. Diese neue Übersetzung würde zu einem besseren Verständnis im Ausland führen», teilt die Kommunikationsverantwortliche Lucile Muller mit. Dieser Aspekt sei für die EHL Group wichtig, da es eine grosse Zahl von HF-Absolvierenden gebe, die den englischsprachigen Bildungsgang durchlaufen hätten und eine Karriere im Ausland anstrebten. Hingegen unterstütze die EHL Group nicht, dass «Professional Bachelor» ein geschützter Titel analog zu aktuellen HF-Titeln in den Landessprachen werde. «Es ist wichtig, Verwirrung über die bestehenden und bewährten geschützten Titel in den Landessprachen zu vermeiden.»
Fachhochschul-Verband: «schafft Verwirrung»
FH Schweiz, der Dachverband der Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen, lehnt die Motion ab. «Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Die Motion, die der Bundesrat zur Ablehnung empfiehlt, verwirrt und bietet keinen Mehrwert», sagt FH-Schweiz-Präsident und Nationalrat Andri Silberschmidt auf Anfrage. Sie würde zu einer Vermischung von «Bologna»-Hochschultiteln und beruflichen Titeln führen. Dies untergrabe die Stärke der HF: die konsequente Orientierung an der Berufsbildung. Das SBFI habe bereits mit allen Akteuren Massnahmen zur Stärkung der HF verabschiedet, darunter die Prüfung des Titels «Professional Bachelor». Diese ausführlichen Arbeiten sollen laut Silberschmidt abgewartet werd
«Professional Bachelor Odec»
Der Schweizerische Verband der Diplomierten Höheren Fachschulen (Odec) bietet HF-Absolventinnen und -Absolventen bereits seit 2006 ein – staatlich nicht legitimiertes – Zertifikat an, welches für den Einsatz im Ausland gedacht ist und die internationale Vergleichbarkeit der HF-Ausbildungen ermöglichen soll. In einer Umfrage hat der Verband die Erfahrungen der Diplomierten erhoben. Ergebnis: Die Bezeichnung «Professional Bachelor Odec» ist für die Befragten von grossem Nutzen. Über 72 Prozent sind laut Umfrage zufrieden mit der Verbandsbezeichnung.
Odec-Geschäftsführer Urs Gassmann sagt: «Unser Zertifikat ist eine vorläufige Lösung. Es hat fast 20 Jahre gedauert, bis nun eine staatliche Lösung in Griffnähe scheint. Wenn diese unser Zertifikat überflüssig macht, ist unser Ziel erreicht.» Es bleibe abzuwarten, wie die auf politischem Weg angestrebte Änderung umgesetzt werde. «Welchen Einfluss es auf die Positionierung der Höheren Berufsbildung hat, bleibt abzuwarten», so Gassmann. Wichtig sei, dass die neuen Titel auch rückwirkend zum Einsatz kämen.
Der «Professional Bachelor Odec» besteht aus einem Zertifikat und einem zweiseitigen Begleitschreiben in Englisch. Dieses beschreibt die individuelle Fachrichtung HF und die absolvierte Sekundarstufe II, so etwa Berufslehre oder Matura. Die Vergabe des Zertifikats ist an die Verbandsmitgliedschaft geknüpft. Diese kostet ab 90 Franken pro Jahr.