Als Gegenleistung für die Freizügigkeit habe die Schweiz Zugang zum europäischen Markt erhalten, sagte der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn am Montag in Brüssel. «Und wenn das eine fällt, dann fällt auch das andere.» Weiter meinte Asselborn: «Herr Blocher ist wohl ein Mensch, der viel Geld in der Tasche hat», aber er habe eine sehr kurzfristige Sichtweise.
Noch deutlicher wurde ein ungenannter EU-Diplomat: «Neuverhandlungen der Freizügigkeit sind für die EU ausgeschlossen.» Die Einführung von Quoten könne die EU nicht akzeptieren. Auch EU-Kommissarin Viviane Reding stellte in der Zeitung «Financial Times» klar: «Der gemeinsame Binnenmarkt ist kein Schweizer Käse. Es gibt keinen Binnenmarkt mit Löchern.» Brüssel hatte die Schweiz vor der Abstimmung mehrfach vor «Rosinenpickerei» gewarnt.
Bedauern und Beunruhigung
Der französische Europaminister Thierry Repentin äusserte vor dem Treffen der EU-Aussenminister in Brüssel sein Bedauern über den Volksentscheid. Er werde sich dafür einsetzen, dass die französischen Grenzgänger keine Nachteile hinnehmen müssten. Für Frankreichs Aussenminister Laurent Fabius ist die Zustimmung zur Initiative beunruhigend. Sie zeige einen Willen der Schweiz, sich abzuschotten.
Die italienische Aussenministerin Emma Bonino bezeichnete den Ausgang der Abstimmung als besorgniserregend. Sie kündigte an, dass das Thema vom EU-Rat aufgegriffen werde.
Schweiz ist am Zug
Die Schweiz habe sich mit dem Entscheid am Sonntag in erster Linie selbst geschadet, sagte der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier. Die Schweiz lebe wirtschaftlich vom Austausch mit ihren Nachbarstaaten, sagte er und verwies auf den regen Handel mit Baden-Württemberg.
Es sei an Bern, auf die EU zuzugehen und ihr darzulegen, wie es mit dem Ergebnis umgehen wolle, liess die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel durch ihren Sprecher ausrichten.
Für den Beginn von Verhandlungen über ein Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz zur Lösung der «institutionellen Frage» sei das Abstimmungsergebnis keine gute Voraussetzung, erklärte eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Hingegen gab sich die Brüsseler Behörde noch zurückhaltend mit einer Einschätzung, wie es mit diesen Verhandlungen weitergehen soll.
Cameron hat Verständnis
Grossbritanniens Aussenminister William Hague sagte mit Blick auf die anstehenden EU-Wahlen, bei denen eine Erstarkung der Rechtspopulisten und EU- Skeptiker erwartet wird: «Das ist kein gutes Zeichen.» Das Schweizer Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative hatte grossen Applaus von den Rechtspopulisten aus der EU erhalten.
Etwas Verständnis für die Schweiz signalisierte Premier David Cameron. Das Abstimmungsergebnis zeige «die wachsende Sorge» über die Folgen der Personenfreizügigkeit in Europa. Cameron steht selbst unter dem Druck seines erzkonservativen Parteiflügels und will vor den Wahlen im Mai 2015 die Einwanderungsregeln verschärfen.
Beschwichtigend äusserte sich der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. «Druck ist jetzt die absolut falsche Antwort. In so einer aufgeheizten Situation dürfen wir nicht die Nerven verlieren», sagte Schulz zu «Spiegel-Online».
Grenzgänger machen sich Sorgen
Besorgt zeigten sich auch die Menschen in Grenzgebieten. Die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft Verdi befürchtet, dass deutsche Pflegekräfte nun die Angst vor Überfremdung in der Schweiz deutlicher zu spüren bekommen werden.
«Eine latent vorhandene Aversion könnte offen zutage treten – ich frage mich, ob die Pflegekräfte weiter auch menschlich akzeptiert werden», sagte der Verdi- Landesvize von Baden-Württemberg, Jürgen Busch.
«Es ist ein Referendum, das uns schadet», sagte der Präsident der Grenzgänger der Region Verbania-Cusio-Ossola (I), Antonio Locatell, am Montag. «Das Problem ist, dass Grenzgänger in der Schweiz auf eine Ebene mit illegalen Einwanderern gebracht werden, um sie in ein schlechtes Licht zu rücken.»
Französische Grenzgänger zeigten sich ob dem Votum verunsichert. «Ich bin temporär angestellt, deshalb macht mir das Resultat Angst», sagte eine Pendlerin am Montag zur Nachrichtenagentur sda. Zugleich habe sie Verständnis, dass die Schweiz sich schützen wolle, sagte die Verkäuferin. «Es ist gut, dass die Schweiz nicht wie Frankreich enden will.» (av/sda)