Die SVP unternimmt mit der Begrenzungsinitiative einen zweiten Versuch, die Zuwanderung in die Schweiz zu bremsen – ohne konkrete Obergrenzen und Kontingente zu fordern. Das Volksbegehren soll aus ihrer Sicht eine «10-Millionen-Schweiz» verhindern und mehr Platz schaffen.
Bilaterale I auf dem Spiel
Anders als bei der Masseneinwanderungsinitiative vor fünf Jahren verlangen die Initianten nun explizit die Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU, falls eine einvernehmliche Ausserkraftsetzung innerhalb von zwölf Monaten nicht gelingen sollte. Weil dieses mit sechs anderen Verträgen verknüpft ist, wäre das wohl auch das Aus für die gesamten Bilateralen I.
Ungeachtet des klaren Kommissionsentscheids gegen die Initiative kreuzten die politischen Lager am Montag während sechs Stunden bis spät am Abend die Klingen. Auch der nahende Wahlsonntag dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Erwartungsgemäss stand die SVP in der grossen Kammer alleine da. In der Debatte versuchte sie ihre Minderheitsposition zu kompensieren und schickte am meisten Mitglieder ans Rednerpult.
Negative Folgen der Personenfreizügigkeit
«Seien wir ehrlich: Die Personenfreizügigkeit hat unter dem Strich nicht das gebracht, was man sich von ihr erhofft hat», sagte Gregor Rutz (SVP/ZH) und fasste damit viele Voten seiner Parteikollegen zusammen. Es bringe nichts, wenn die Wirtschaft wachse, ohne dass jemand etwas davon habe.
Das Problem der Zuwanderung hat für die SVP nicht an Dringlichkeit verloren – obwohl die Einwanderungszahlen seit längerem rückläufig sind. Die Schweiz leide unter den negativen Folgen der Personenfreizügigkeit, sagte Roberta Pantani (Lega/TI). Sie erwähnte etwa Dumpinglöhne oder die Zunahme von Sozialhilfebezügern. «Einige EU-Länder würden das Abkommen aufkündigen, wenn sie könnten.»
Gefragte Fachkräfte
Die übrigen Fraktionen strichen die Vorteile des Status quo hervor. Der Zugang zu Fachkräften, beispielsweise im Gesundheitswesen, müsse garantiert bleiben, sagte Marianne Streiff-Feller (EVP/BE). Ohne die Personenfreizügigkeit könnten viele Dienstleistungen nicht mehr erbracht werden. Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL) erklärte, dass die Mobilität von Personen für die Schweiz überlebenswichtig sei. «Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen».
Samira Marti (SP/BL) sprach von einem «Angriff auf die arbeitende Bevölkerung in der Schweiz». Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit sicherten heute beispielsweise den Lohnschutz. Fielen sie weg, sei der Weg frei für schädliches Lohndumping.
Gegner warnen vor Abschottung
Für Matthias Jauslin (FDP/AG) und seine Partei steht der Zugang zu Arbeitsmärkten in der EU im Zentrum der Argumentation gegen die Initiative. Die Personenfreizügigkeit sei in Zeiten eines gesteigerten Mobilitätsbedürfnisses Gold wert.
Verschiedentlich war von der «Abschottungsinitiative», ja gar von einer «Mauerbauinitiative» zu hören. Andere sprachen etwas weniger wertend von der «Kündigungsinitiative». Rosmarie Quadranti (BDP/ZH) warnte vor einer Schweiz wie zu Gotthelfs Zeiten, falls die Initiative angenommen würde. «Ich glaube nicht, dass diese Welt eine bessere war.»
«Katastrophe für die Wirtschaft»
Beat Flach (GLP/AG) nahm Bezug auf die chaotischen Zustände in Grossbritannien seit dem vom Volk geforderten Brexit. Ein ähnliches Szenario in der Schweiz wäre aus seiner Sicht eine «Katastrophe für die Wirtschaft und die Kultur».
Die Grünen liessen sich als einzige Partei nicht auf die lange Rednerliste setzen und begründeten ihre ablehnende Haltung zur Initiative nur mit dem Fraktionsvotum. Balthasar Glättli (Grüne/ZH) konnte sich dabei einen Seitenhieb an die Adresse der SVP nicht verkneifen: «Unsere Argumente sind so klar, dass man sie nicht vierzig Mal wiederholen muss.»
Abstimmung kommende Woche
Auch der Bundesrat lehnt die Initiative «für eine massvolle Zuwanderung» (Begrenzungsinitiative) ab. Justizministerin Karin Keller-Sutter sprach im Vorfeld in diesem Zusammenhang von einem «Schweizer Brexit».
Weil der Nationalrat das Geschäft am Montagabend nicht fertig beraten hat, wird dies am Mittwoch der letzten Sessionswoche nachgeholt. Über die Abstimmungsempfehlung zur Begrenzungsinitiative muss danach noch der Ständerat befinden. Auch dort dürfte die Initiative keine Chance haben. Das Stimmvolk entscheidet voraussichtlich im Frühjahr 2020. (sda)