Benedicta Aregger legt den Kopf zur Seite und fragt lakonisch: «Wissen Sie, was der Vorteil ist, wenn Sie als Frau in einer männerdominierten Branche arbeiten? Sie müssen auf den Toiletten nie anstehen.» Ein beliebter Running Gag an Kongressen, unter Frauen, doppelt sie nach. Wir sitzen in einem Berner Café, gerade wurde der Grüntee serviert. Benedicta Aregger hat sich bereit erklärt, aus ihrem Berufsalltag zu erzählen, wie es war, Karriere zu machen, und ob die Geschlechter wirklich so ungleich ticken, wie behauptet wird.

Die Krise als Zeitalter der Verbände
Die 53-Jährige ist Vizedirektorin von Seilbahnen Schweiz, der Frauenanteil liegt in ihrer Branche bei mageren 20 Prozent. Aregger ist erst vor rund einem Jahr zum Verband gestossen, mitten in der Pandemie. Courant normal kennt sie nicht. Die Zugerin musste nicht nur die neue Verbandsstrategie 2022–2025, sondern auch gleich das Krisenmanagement stemmen. Sprich: Branche und Öffentlichkeit über Corona-Massnahmen à jour halten und für die Anliegen der Seilbahnen in Bundesbern weibeln. Eigentlich eine dankbare Aufgabe, findet Aregger: «Die Krise ist das Zeitalter der Verbände, alle sind froh, dass wir die Zügel in die Hand nehmen.»

Steckbrief:
Name: Benedicta Aregger
Alter: 53
Beruf: Vizedirektorin Seilbahnen Schweiz
Was ich mag: dumme Sprüche, Lachen, Bewegung, Musik, frische Luft, Essen, Freunde, die Wolken beobachten und «Exodus» von Quincy Jones
Was ich nicht mag: Geiz, Fantasielosigkeit, Selbstgerechtigkeit gepaart mit Dummheit
Wer ich werden wollte: ein anständiger Mensch und irgendwie happy
Was ich verpasst habe: ffffferpasst? Kä Luscht, mich damit zu befassen
Darüber muss ich lachen: Monty Python, trümmlige Sprüche und nicht selten die Frisur meines Mannes (oder die eigene…)
Auf diese Eigenschaft könnte ich verzichten: Tendenz, stets alles zu hinterfragen
Im nächsten Leben werde ich: nicht mehr vorhanden sein

Dass sie ausgerechnet bei den Seilbahnen glücklich werden würde, hat sie selbst ein bisschen überrascht. «Ich kann hier sehr viel gestalten und möchte den Verband noch weiter professionalisieren. Ausserdem kann ich mich geben, wie ich bin, und auch so reden, wie ich möchte.» Und dies, obwohl sie es vorwiegend mit «Herren in kurzärmligen karierten Hemden» zu tun hat. Die Leute seien bodenständig und ehrlich, und wenn sie zum Beispiel nach einem Vortrag auf die Herren zugehe und einen träfen Spruch mache, sei sie schnell eine von ihnen. Das angenehme Klima habe aber auch mit dem Direktor des Verbandes zu tun, Berno Stoffel. «Wir beide reden nicht gern um den heissen Brei herum, haben denselben Humor und wollen Gas geben für die Branche.» Dass sie in einer Männerdomäne arbeitet, stört sie kaum. «Ich erfahre hier sehr viel Wertschätzung.»

Viel Ego unter Männern
Das war nicht immer so. In ihrem vorherigen Job in der Energiebranche, wo Benedicta Aregger die politische Interessenvertretung und das Lobbying verantwortete, war der Umgang sehr männlich geprägt gewesen. Vornehmlich Männer mit Doktortiteln, die allzu oft erst ihr Expertentum demonstrieren mussten, bevor sie zum eigentlichen Punkt kamen. «Wenn man dort oft als einzige Frau an Sitzungen teilnimmt, können solche Revierkämpfe sehr anstrengend sein.» Sie vermutet darin auch einen der Gründe, weshalb es so wenige Frauen in Führungspositionen schaffen. Frauen müssten in männerdominierten Jobs anders agieren, ja eine Art Fremdsprache lernen.

«Der Habitus unter Männern ist weniger ‹gspürsch mi›, dafür etwas lockerer, mit einer guten Portion Ego obendrauf.»

Gelinge ihnen dies, seien sie jedoch schnell akzeptiert. «Der Habitus unter Männern ist weniger ‹gspürsch mi›, dafür etwas lockerer, mit einer guten Portion Ego obendrauf.» Kommt hinzu, dass Frauen ihr Leben umfassender betrachten – privat, beruflich, familiär. «Sie haben meist mehrere Standbeine, weshalb der Beruf nicht immer gleich bedeutsam ist wie bei Männern. Oder sie spüren, dass ihnen das Umfeld nicht guttut, und versteifen sich nicht auf eine Karriere.» Oder aber sie ziehen sich aus der Berufswelt zurück, sobald sie Mütter werden. «Das geht in der Schweiz bekanntlich bedenkenlos, meist gibt es sogar Lob dafür. Führungsfrauen mit Familie sind dagegen suspekt und werden schnell als Streberinnen und Rabenmütter abgestempelt.»

Typisch weiblich war Benedicta Aregger nie
Damit sich dies ändert, sollten jedoch nicht nur Männer ihre Haltungen revidieren. «Junge Frauen müssten ihre Partner stärker in die Pflicht nehmen, wenn sie Kinder bekommen. Wer wie viel Karriere macht, sollte das Paar vorher aushandeln. Aber da sind viele Frauen immer noch romantisch verklärt und zu sehr auf den Prinzen fokussiert.»

«Frauen in Chefpositionen geniessen nicht dieselbe Selbstverständlichkeit wie Männer. Sie werden öfter hinterfragt, auch von Frauen.»

Aregger selbst wusste indes schon als Teenager: «Ich möchte unabhängig sein und finanziell für mich selbst sorgen.» Typisch weiblich, das sei sie nie gewesen. «Im Job bin ich ehrgeizig, mag derbe Witze, liebe Fakten, und nach Auftritten ist mir ein Flachmann als Dankeschön lieber als ein Blumenstrauss.» Sie habe aber auch eine ausgeprägte empathische Seite, die man ihr nicht immer zugestehe. «Ich bin eine Vermittlerin, die es durchaus harmonisch mag.» Dass sie in ihrer Unabhängigkeit nie Kinder wollte, oder wenn, dann immer «vielleicht später», fühlt sich im Rückblick wie eine Art Rebellion gegen den elterlichen Lebensentwurf an.

Ihr Vater war katholischer Priester, bevor er eine Familie gründete. Danach arbeitete er als Laientheologe, die Mutter war Hausfrau. «Ich habe gesehen, wie viel Aufopferung von meiner Mutter nötig war, um vier Kinder grosszuziehen, den Haushalt zu schmeissen und sich auch noch ehrenamtlich zu engagieren, und da wollte ich ganz egoistisch zuerst mein eigenes Ding machen.»

Statt New York wurde es Bern
Nach dem Studium der Ethnologie und russischen Sprache in Zürich hatte Benedicta Aregger grosse Pläne. Erst für die UNO oder das IKRK in Genf arbeiten, später nach New York ziehen und von dort aus die Welt der internationalen Organisationen erobern. Dass sie seit Jahrzehnten in Bern in technischen Branchen arbeitet statt im Namen der Humanität um die Welt zu jetten, quittiert sie mit einem Schulterzucken. «Beim IKRK wollten sie mich nicht, ich sei zu tough, und bei der UNO schien mir das Prozedere extrem kompliziert, sodass ich diesen Plan verwarf. Und ausserdem war ich damals frisch verliebt.»

«Frauen sollten sich im Job öfter mit Männern statt mit anderen Frauen messen.»

Tatsächlich ist Benedicta Aregger nach dem Studium mit ihrem damaligen Partner nach Bern gezogen. Ein Job in der Bundesverwaltung war da naheliegend. Als das Bundesamt für Verkehr eine Generalistin suchte, bewarb sie sich – und wurde genommen. Später wechselte sie als Referentin ins Generalsekretariat des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), wo sie unter anderem Reden für Ex-Bundesrat Moritz Leuenberger schrieb.

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Wenn die 53-Jährige heute auf ihr Berufsleben zurückblickt, stellt sie klare Unterschiede in der Wahrnehmung der Geschlechter fest. «Frauen in Chefpositionen geniessen nicht dieselbe Selbstverständlichkeit wie Männer. Sie werden öfter hinterfragt, auch von Frauen, und müssen ihre Position mit ihren Mitarbeitenden öfter verhandeln.» Und dies, obwohl sie «zuverlässiger sind, sachorientierter und besser kommunizieren». Ganz grundsätzlich findet Aregger, seit bald zehn Jahren mit einem Luzerner verheiratet, Frauen resilienter als Männer. «Vielleicht weil sie vieles besser spüren und deshalb auch antizipieren können. Sie sind psychisch meist stärker, weil sie ehrlicher zu sich selber sind, und krisenresistenter, weil sie seltener in einer privilegierten Rolle sind und deshalb besser gelernt haben, mit Schwierigkeiten umzugehen.»

Frauen messen sich oft mit anderen Frauen
Die Vizedirektorin ist überzeugt, dass Quoten durchaus Sinn machen, wenn der Frauenanteil in den Teppichetagen steigen soll, «auch weil gemischte Teams bessere Leistungen erbringen». Damit ist es aber nicht getan. «Frauen sollten sich im Job öfter mit Männern statt mit anderen Frauen messen, also sich nach oben kämpfen, statt nach unten zu treten.» Frauen seien oft zufrieden, wenn sie besser als ihre Kolleginnen vorankämen.

«Bringt euch ein – bleibt aber euch selbst. Und habt den Mut, auch mal schlechter zu performen als Männer.»

Wollen sie in Männerjobs aufsteigen, brauchen sie allerdings ein gesundes Selbstbewusstsein. Für Aregger war es «enorm hilfreich», dass sie von anderen – Männern wie Frauen – ermutigt wurde, ihre Meinung kundzutun. «Erst als ich Zuspruch bekam, wurde mir bewusst, dass meine Ideen durchaus geschätzt werden, und was ich zu sagen habe, ist gar nicht so dumm.» Darum sei es wichtig, Frauen zu fördern, sei dies mit Worten oder mit Quoten. Benedicta Areggers ermutigendes Feedback an die Kolleginnen lautet deshalb: «Bringt euch ein – bleibt aber euch selbst. Und habt den Mut, auch mal schlechter zu performen als Männer.»