Die grundsätzliche Billettpflicht gilt seit Dezember 2011: Auch auf Fernverkehrszügen können Fahrgäste seither kein Billett mehr kaufen. Diese Regelung führte dazu, dass manch einem Reisenden eine Busse aufgebrummt wurde, weil er durch ein Missgeschick ohne Billett unterwegs war – obwohl er eigentlich zahlen wollte.
Die Beschwerden über den Umgang mit diesen Kunden häuften sich in der Folge. Im April forderte die Organisation Pro Bahn die SBB auf, mehr Augenmass und Kulanz an den Tag zu legen. Kundinnen und Kunden dürften nicht wie Kriminelle behandelt werden.
Das neue Regime schlug sich auch in der Statistik nieder: 2012 waren pro Tag knapp eine Million Zugreisende unterwegs – 1200 von ihnen wurden ohne gültiges Billett erwischt. Vor Einführung der Billettpflicht waren es rund 850 Schwarzfahrer pro Tag.
Nun reagiert die SBB – und zwar mit Sofortmassnahmen auf den 1. Juni, wie sie am Dienstag mitteilte. Unternehmenschef Andreas Meyer «möchte nicht, dass langjährige und treue Kunden für ein einzelnes Missgeschick in jedem Fall gebüsst werden», wie er im Communiqué zitiert wird. Gerade diese Kunden hätten «eine angemessene Kulanz» verdient.
Leerer Handy-Akku
Bisher mussten beispielsweise Fahrgäste, die ihre Mobile-Ticket wegen eines leeren Handy-Akkus nicht vorweisen konnten oder ihr Online-Billett vergessen hatten, einen Zuschlag von 90 Franken zahlen – zumindest theoretisch. Wie SBB-Sprecherin Lea Meyer auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda sagte, seien Kontrolleure schon seit Längerem kulant mit betroffenen Kunden umgegangen.
Ab dem 1. Juni ist diese Kulanz nun offiziell festgelegt, und zwar für den ganzen öffentlichen Verkehr, nicht nur bei der SBB. Reisende, die aus den erwähnten Gründen kein gültiges Billett vorweisen können, erhalten künftig vom Inkassocenter eine Rechnung über 30 Franken.
Zudem müssen diese Tickets erst gelöst sein, wenn der Zug wirklich abfährt. Bisher war die Abfahrtszeit gemäss Fahrplan ausschlaggebend.
Die Eisenbahnergewerkschaft SEV reagierte umgehend. «Nach langem öffentlichem Druck» behebe die SBB «die offensichtlichsten Missstände bei den Billett-Verstössen», teilte der SEV mit. Die Lockerung der strengsten Vorschriften sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Auch die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) begrüsste die Massnahmen in einer Mitteilung. Sie relativierte sie allerdings auch und wies darauf hin, dass Schaden und Ärger bei vielen Kunden bereits angerichtet seien. Im vergangenen Jahr seien immerhin fast 440'000 Reisende gebüsst worden.
Die Gebühr von 30 Franken für Kunden mit leerem Akku oder ohne Online-Ticket erachtet die SKS als «sehr hoch». Dass dem Zugpersonal mehr Handlungsspielraum eingeräumt wird, sei zwar positiv. «Für den Reisenden werde es aber eine besondere Herausforderung sein, dem Zugpersonal die gute Absicht zu beweisen, die er beispielsweise beim Lösen eines Billets mit falschem Reiseweg hatte.»
Sorgenkind ZVV
Probleme mit falsch gelösten Tickets gab es insbesondere auf dem Netz des Zürcher Verkehrsverbunds (ZVV). Laut SBB haben seit Einführung des Z-Passes im Dezember 2012 zahlreiche Kunden unbewusst ein teilgültiges Billett für das Z-Pass-Gebiet gelöst. Dies deshalb, weil auf den Tickets lediglich die Zonennummern für die angebotenen Via-Verbindungen aufgelistet sind.
Die SBB hat nun entschieden, «per sofort auf Forderungen zu verzichten, wenn ein Reisender in guter Absicht ein Billett mit einem falschen Reiseweg löst». Zudem wird die Auswahl der Reisewege in den nächsten Monaten auf die am häufigsten genutzten Varianten reduziert. Und ab sofort steht an allen Billettautomaten im ZVV-Gebiet die Telefonnummer einer Gratis-Helpline. (npa/sda)