Oliver Martin, was ist der Sinn der aktuell stattfindenden Europäischen Tage des Denkmals?
Mit der schon seit vielen Jahren stattfindenden Veranstaltung sollen der Bevölkerung Bedeutung, Schönheiten und Qualitäten unserer Denkmäler ins Bewusstsein gerufen werden. Besucher erhalten Gelegenheit, archäologische Stätten, Ortsbilder und Denkmäler zu besichtigen. Dabei werden sie geführt und erhalten wertvolle Informationen und können so oft neue Erfahrungen machen. Diese Möglichkeiten werden jeweils rege genutzt. Besonders gross ist das Interesse an Objekten, die üblicherweise nicht zugänglich sind. Dieses Jahr findet auch das Europäische Jahr des kulturellen Erbes statt. Thematisiert werden insbesondere die gemeinsamen Wurzeln und die grenzüberschreitende Bedeutung von Denkmälern und Kultur. In der Schweiz finden die Europäischen Tage des Denkmals üblicherweise an einem Wochenende im September statt. In diesem Jahr werden sie an vier Wochenenden, nach Regionen gegliedert, organisiert.
Das diesjährige Motto lautet «Ohne Grenzen». Was will man damit aufzeigen?
Das europäische Jahr des kulturellen Erbes soll bewusst machen, dass unsere Geschichte nicht nur aus nationaler Sicht verstanden werden kann. Unsere Kultur und unser kulturelles Erbe halten sich nicht an Grenzen. Die barocken Denkmäler in der Schweiz zum Beispiel sind Zeugen und Teile einer Epoche und eines kunstgeschichtlichen Stils, die ganz Europa bis in die neue Welt geprägt haben und in diesem Kontext gelesen und verstanden werden müssen.
Zur Person: International in der Denkmalpflege engagiert
Oliver Martin (48) ist seit Juni 2012 Leiter der Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege im Bundesamt für Kultur (BAK), wo er seit 2002 tätig ist. Zuvor hatte er in Zürich und Rom Architektur studiert. 2002 promovierte er an der ETH Zürich mit einer Arbeit über den «Neorealismus in der Architektur und seinen Bezug zur Literatur und Malerei». Im Dezember 2017 wurde Oliver Martin zum Präsidenten des Rats des Internationalen Forschungszentrums für Denkmalpflege und Restaurierung von Kulturgütern ICCROM ernannt. Martin ist seit Ende 2013 Mitglied des Rats dieser zwischenstaatlichen Organisation, die ihren Sitz in Rom hat.
Welche Position nimmt die Schweiz im europäischen Kontext ein?
In Europa sind wir bekannt als engagierter und verlässlicher Partner. Wir sind auch an den meisten Gefässen und Formaten im Rahmen internationaler Zusammenarbeit beteiligt. Teilweise freilich begrenzt durch die EU-Nichtmitgliedschaft der Schweiz.
Dieses Jahr nimmt die Schweiz zum 25. Mal an den Europäischen Tagen des Denkmals teil. Gibt es ein besonderes Jubiläumsprogramm?
Die Denkmaltage finden gewissermassen vier Mal statt, jeder Region ist ein Wochenende gewidmet. Das Thema «ohne Grenzen» ist auch in diesem Zusammenhang zu verstehen und soll zu einem Austausch und dem Besuch der Denkmaltage über die Sprachgrenzen hinweg einladen. Daneben gibt es zahlreiche Rahmenveranstaltungen und besonders viele Denkmäler zu besichtigen.
In welcher Form sind Sie bei den Europäischen Tagen des Denkmals engagiert?
Das Bundesamt für Kultur unterstützt massgeblich die Koordination auf nationaler Ebene über die Nationale Informationsstelle zum Kulturerbe NIKE. Wir arbeiten mit der NIKE und mit Kantonsvertretern auch an der für die Gestaltung der zukünftigen Entwicklung dieser Tage mit, im Sinne einer strategischen Steuerung.
Wie intensiv müssen bestehende Denkmäler gepflegt werden?
Der beste Umgang mit Denkmälern ist deren permanente Pflege. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass sie mit der Zeit verloren gehen. Trotz diesen Bemühungen verschwinden immer wieder Denkmäler, etwa durch Abbruch. Auf der anderen Seite kommen mit fortschreitender Zeit auch neue aus den 40er-, 50er- und 60er-Jahren, und langsam auch aus den 70ern und 80ern zum Denkmalbestand hinzu.
Wie ist es möglich, dass Denkmäler aus dem Bestand verschwinden, beispielsweise durch Abbruch?
Die herausragenden und bekannten Denkmäler sind in der Schweiz gut geschützt. Doch es gibt einen relativ grossen und wachsenden Verlust an Denkmälern von regionaler oder lokaler Bedeutung, die auf kantonaler Stufe nicht zwingend rechtlich geschützt, aber trotzdem denkmalpflegerisch interessant sind. Wir sind besorgt, dass man mit diesem wertvollen, sogenannten Petit Patrimoine, dem man überall begegnet, unsorgfältig umgeht. Auch unsere Ortsbilder haben in den letzten Jahrzehnten vielerorts stark an Qualität eingebüsst. Wir müssen unsere Baukultur stärken!
Wie wird die Pflege von Denkmälern finanziert?
Viele private Eigentümer engagieren sich stark für ihre Objekte. Ohne sie könnte unser kulturelles Erbe nicht erhalten werden. Sie können vom Kanton und je nach Fall auch von der Gemeinde und vom Bund finanziell unterstützt werden. Ein national bedeutendes Denkmal kann der Bund mit einem Beitrag von 25 Prozent der subventionsberechtigten Kosten unterstützen. Der Kanton steuert gleich viel bei. Die andere Hälfte geht zulasten der Eigentümerschaften oder von Dritten, zum Beispiel private Stiftungen.
[IMG 2] Welche Rolle spielen Denkmäler für den Tourismus?
Eine bedeutende. Dies geht auch aus der neuen Tourismusstrategie des Bundes hervor. Diese hält fest, dass die Erhaltung des Kultur- und Naturerbes eine wichtige Rahmenbedingung für den Erfolg des Schweizer Tourismus darstellt. Beim Betrachten von touristischer Werbung, etwa von Schweiz Tourismus oder von einzelnen Destinationen, fällt auf, dass fast ausschliesslich Bildmaterial verwendet wird, auf welchem entweder intakte Natur, unversehrte Landschaften oder authentisches Kulturerbe im Vordergrund stehen, häufig auch beides. Diese unverbauten Landschaften werden von Touristen und Gästen sehr geschätzt. Wir möchten daran erinnern, dass diese schönen Landschaften, Dörfer und Städte nicht ohne Anstrengungen und politischen Willen erhalten bleiben. Notwendig sind ein konsequentes Management, Instrumente und verbindliche Schutzregeln.
Beraten Sie die Touristiker betreffend Vermarktung solcher Denkmäler?
Der Tourismus kann von der Denkmalbranche erfahren, wo welche interessanten Denkmäler, kulturellen Werte und Qualitäten existieren. Wir arbeiten in diesem Bereich in jüngster Zeit verstärkt mit Schweiz Tourismus zusammen, da sich zeigt, dass die Interessen beider Parteien zu starken Synergien führen. Bei meiner Teilnahme am letzten Ferientag habe ich festgestellt, dass viele Touristiker an unserem Fundus, unserem Wissen und unseren Ressourcen interessiert sind. Umgekehrt können wir von der Kommunikation und dem Marketing des Tourismus lernen. Die Zusammenarbeit muss noch intensiviert werden, damit vorhandene Synergien noch besser für einen nachhaltigen Kulturtourismus genutzt werden können.
Sie haben beim Schweizer Seilbahninventar mitgearbeitet. Gelten denn gewisse Seilbahnen als Denkmäler?
Ja sicher. Bestimmte Seilbahnen gelten als Denkmal von nationaler Bedeutung und wurden entsprechend ins Schweizer Seilbahninventar aufgenommen. Sie legen ein wertvolles Zeugnis ab von der Industrie- und Technikgeschichte sowie der Entwicklung der Seilbahnindustrie. Total sind es deren 63, von insgesamt rund 3300 Seilbahnen. Leider ist es uns bisher nicht gelungen, ein derartiges Denkmal integral zu bewahren und zu erhalten.
Sie hatten sich sehr für den Erhalt der Sesselbahn auf den Weissenstein bei Solothurn eingesetzt. Trotzdem wurde sie durch eine moderne Gondelbahn ersetzt. Schmerzt es Sie?
Ich bedaure dies. Und natürlich schmerzt es mich. Es handelt sich um eine der letzten erhaltenen Bahnen mit der berühmten kuppelbaren Von-Roll-Klemme. Dank dieser Schweizer Entwicklung wurde der Seilbahnbau einst weltweit revolutioniert. Es war auch ein besonderes Erlebnis, seitwärts im offenen Sessel knapp über den Baumwipfeln auf den Weissenstein zu fahren. Am Ende überwogen Sicherheitsüberlegungen, Standards, die man nur mit einer modernen Bahn zu erreichen meinte. Die Restaurierung einer historischen Seilbahn kann vermutlich nur gelingen, wenn auch die Eigentümerschaft mit voller Überzeugung die Erhaltung anstrebt. Zusammen mit öffentlichen Beiträgen und technischer Unterstützung sollte dies möglich sein und müsste mindestens einmal ernsthaft versucht werden. Leider konnte ein derartiges Vorhaben bisher nicht realisiert werden.
«Notwendig sind ein konsequentes Management, Instrumente und verbindliche Schutzregeln.»
Begriff Denkmal: Deutlich breiter gefasst als Skulpturen und Reiterstandbilder
Die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege hat in ihren «Leitsätzen» definiert, was Denkmäler sind: Es handelt sich um ortsgebundene Objekte, die geschichtlichen Zeugniswert haben. Ein Objekt aus vergangener Zeit werde durch menschliches Erkennen und Interpretieren zum Denkmal. Denkmäler können Zeugnisse jeglichen menschlichen Wirkens sein: historische Ereignisse und Entwicklungen, künstlerische Leistungen, soziale Einrichtungen, technische Errungenschaften. Denkmäler seien bestimmt durch ihre überlieferte Materie; diese mache die Authentizität der Denkmäler aus. Die physische Gestalt der Denkmäler sei dabei vielfältig: Das Denkmal könne sowohl ein Einzelobjekt – zum Beispiel ein Gebäude oder eine archäologische Fundstelle – wie auch Teil eines Objekts oder eine Gruppe von Objekten bis hin zu einer Ortschaft und Kulturlandschaft sein. Die Umgebung des Denkmals bilde einen wichtigen Rahmen für seine Wahrnehmung. Denkmäler sind deshalb weit mehr als Kunstwerke im öffentlichen Raum, wie etwa Skulpturen und Reiterstandbilder.