Das Gespräch

Frauenstreik: «Sexismus und Mobbing sind präsent»

Am 14. Juni gehen die Frauen für gleiche Rechte auf die Strasse. Die Hotelièren Anna Metry aus Zermatt und Karin Kunz aus Bern sagen, was sie für die Gleichberechtigung tun und weshalb sie Teilzeit arbeitende Mütter schätzen.

Blanca Burri

Anna Metry und Karin Kunz, haben Sie 1991 oder 2019 an den grossen Frauenstreiks teilgenommen?
Karin Kunz:
Ich war 2019 am Frauenstreik in Bern. Zugegebenermassen ein bisschen zufällig, weil ich mit meinen Freundinnen ins Apéro wollte.

Anna Metry: Noch nie, finde es jedoch eine gute Sache. In Zermatt fand bisher keiner statt. Das Einzugsgebiet ist nicht vergleichbar mit den Schweizer Städten.

Wir müssen am 14. Juni auf die Strasse.
Karin Kunz, Direktorin Swissôtel Kursaal Bern

Eine Berglerin und eine Kämpferin

Anna Metry, Gastgeberin im Chalet Hotel Schönegg in Zermatt, ist Mutter zweier Kinder und lebt in einer Partnerschaft. Die 37-Jährige leitet das Hotel mit ihrem Bruder Sebastian in der dritten Generation. Die Walliserin hat die Hotelfachschule in Thun absolviert. Ihr Vorbild ist ihre Mutter, die trotz grosser Verantwortung im Betrieb immer «tiefenentspannt» wirkte.

Karin Kunz ist seit 2016 Direktorin des Swissôtel Kursaal Bern. Die 56-Jährige ist verheiratet. Nach der Hotelfachschule Thun arbeitete sie in Bern im «Schweizerhof» und im «Kornhauskeller» sowie im «Kongress und Kursaal Bern». Es folgten Auslandjahre in Israel und in Spanien. Danach zog es sie zu den Seiler Hotels nach Zermatt, wo sie zehn Jahre lang Direktorin im «Mont Cervin Palace» war.

Empfehlen Sie den Streik Ihren Mitarbeitenden?
Anna Metry:
Ich finde schon, dass man für seine Rechte einstehen und kämpfen soll. Wir haben schon viel erreicht, aber trotzdem ist es noch ein weiter Weg. Ich informiere unsere Mitarbeitenden, aber ich werde sie nicht überreden, teilzunehmen. Das steht jeder Person frei.

Karin Kunz: Ja, wir müssen am 14. Juni auf die Strasse. Ich bin nämlich nicht happy über die Erhöhung des Rentenalters und die leeren Versprechungen bezüglich der Pensionskassengelder. Aber natürlich ist das eine persönliche Entscheidung, die ich akzeptiere.

Was beschäftigt die Branche bei den Frauenthemen am meisten?
Anna Metry:
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Viele Mütter arbeiten Teilzeit, das heisst, sie leisten mit der Care-Arbeit eigentlich mehr als 100 Prozent und am Ende schaut nichts raus.

Anna Metry, Sie haben selbst zwei Kinder, ein- und zweieinhalbjährig. Arbeiten Sie auch mehr als 100 Prozent?
Es kommt darauf an, wie man die Zeit zu Hause rechnet. Ich bringe die Kinder zum Hüten, hole sie wieder ab und bin dauernd am Organisieren. Im Hotel arbeite ich zu 80 Prozent, gesamthaft also wohl mehr als 100 Prozent – so wie jede andere Mutter auch. Zum Glück ist mein Partner an zwei halben Tagen für die Kinder da, obwohl das für ihn schwierig zu organisieren ist. Das alles ist nur machbar, weil wir mit einer grossen Familie ein solides Umfeld haben, welches uns und unsere Kinder unterstützt. Wir sind sehr privilegiert.

Karin Kunz, was tun Sie als Geschäftsleiterin für die Gleichberechtigung?
Im Kursaal Bern haben die Frauen dieselben Löhne wie die Männer. Aber man muss schon festhalten, dass die Lohnverhandlungen mit Männern anders sind als mit Frauen. Die Männer sind fordernder und argumentieren besser als die Frauen.

Nennen Sie ein konkretes Beispiel.
Unser Reservationsteam besteht fast ausschliesslich aus Frauen mit Kindern. Sie sind froh, einen spannenden Job mit einer gewissen Flexibilität zu haben, bei dem Teilzeit möglich ist. Das sind für sie die entscheidenden Kriterien für diesen Job, nicht die Lohnfrage. Für Männer ist das Salär wichtiger, und sie fragen häufiger nach. In den Jahresgesprächen gebe ich jeweils ein wenig Gegensteuer, sodass die Löhne ausgeglichen bleiben.

Hat eine Mutter, die Teilzeit arbeitet, in Ihrem Betrieb Aufstiegschancen?
Karin Kunz:
Ob jemand im Kursaal Bern Aufstiegschancen hat oder nicht, ist keine Frage des Mutter- oder Vaterseins. Es kommt auf den Menschen an. Wenn jemand leitende Fähigkeiten mitbringt, geht das je nach Position auch ab 60 Prozent. Ich verlange aber, dass sich die Person organisiert, damit sie oder er trotz kranker Kinder arbeiten kann. Jede leitende Person muss für das Unternehmen einstehen. Wir haben eine 60-Prozent-Angestellte, die das gut macht, aber die kurze Anwesenheitsdauer ist nicht ideal. 80 Prozent wären besser. Die Frau ist jedoch sehr effizient und flexibel, checkt die Mails von zu Hause und unterstützt ihr Team bei Bedarf. 

Wie gehen Sie mit Absenzen, verursacht durch die Kinder, um?
Karin Kunz:
Da haben wir viel Verständnis, das gehört zu arbeitenden Müttern und heutzutage natürlich auch zu den Vätern. Problematisch wird es einfach, wenn immer dieselben Mitarbeitenden in die Lücke springen müssen. Es muss in einem Gleichgewicht bleiben. Damit es nicht zu Spannungen kommt, müssen die Abteilungen das Thema transparent diskutieren: Wie geht man um mit Krankheit der Kinder, Schulferien, Feiertagen? Die Bedürfnisse der Mütter und Väter müssen im Gleichgewicht mit denen der anderen Mitarbeitenden sein.

In einem grossen Stadtbetrieb wie dem Kursaal Bern mag das ja funktionieren. Wie ist das in den Bergen?
Anna Metry:
Wir beschäftigen einige Mütter mit kleinen Kindern. In Zeiten von Arbeitskräftemangel hat sich das als ein erfolgreiches Modell herausgestellt. Wir ermöglichen den jungen Frauen fixe Tage und Zeiten. Wir schauen auch darauf, dass sie keine Überzeit machen müssen, denn sie müssen die Kinder pünktlich von der Kita abholen oder daheim sein, wenn sie von der Schule kommen. Natürlich erfordert das von den anderen Mitarbeitenden mehr Flexibilität. Ich finde es dann jeweils recht schwierig, auf die Frei- und Ferienwünsche der Mitarbeitenden einzugehen, die nicht auf Kinder Rücksicht nehmen müssen.

Wir ermöglichen den jungen Frauen fixe Arbeitstage und -zeiten.
Anna Metry, Direktorin Chalet Hotel Schönegg, Zermatt

Weshalb nehmen Sie den Mehraufwand für arbeitende Mütter auf sich?
Karin Kunz:
Die meisten arbeiteten bereits vor der Geburt bei uns. Sie kennen den Betrieb, die Philosophie und alle Abläufe. Dass sie nach der Geburt weiter für uns arbeiten, ist gut: Das Know-how und die Qualität der Arbeit bleiben so erhalten. Meine Erfahrungen zeigen, dass arbeitende Mütter effizient arbeiten, pragmatisch im Leben stehen, motiviert sind und sich gerne im Team einbringen. Nicht vergessen darf man, dass sich zunehmend Väter um ihre Kinder kümmern und nicht mehr automatisch 100 Prozent arbeiten.

Wenn Sie an die eigene Laufbahn denken... Wer hat Sie ermutigt, Karriere zu machen und den Platz einzunehmen, den Sie heute haben?
Karin Kunz:
Ich bin mit zwei Brüdern aufgewachsen. Bei uns waren alle gleich, und alle hatten dieselben Aufgaben. Das hat mich gestärkt. Ich wusste bereits früh, dass ich führen wollte. Ich lasse mir nämlich nicht so gerne vorschreiben, was ich tun soll. (lacht)

Anna Metry: Mein grosses Vorbild ist meine Mutter. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet, oft an sieben Tagen die Woche. Trotzdem hat sie die Zeit gefunden, mit uns Kindern Ski zu fahren, zu wandern oder die Hausaufgaben zu machen. Sie hat auch schwierige Zeiten durchgemacht mit den hohen Zinsen in den 1990er-Jahren. Sie war aber nie schlechter Laune. Für uns machte sie immer einen tiefenentspannten Eindruck.

Zahlen

75 598
Arbeitskräfte sind in der Schweizer Beherbergungsbranche beschäftigt.

54 %
beträgt der Anteil der Frauen.

38 %
Prozent aller Frauen arbeiten Teilzeit.

13 %
Prozent der Männer arbeiten Teilzeit.

???
Es gibt keine Erhebung, wie hoch der Frauenanteil in den Chefetagen der Beherbergungsbetriebe ist.

Quelle: BFS-BESTA, 4. Quartal 2022

Trotzdem sind die meisten Direktionen noch immer mit Männern besetzt.
Anna Metry:
Das stimmt nur teilweise. Viele Hotels werden von Ehepaaren geführt. Nur ist die Visibilität der Frauen gering, weil meist die Männer repräsentative Termine wahrnehmen. Als ich vor zehn Jahren an Versammlungen mit geschäftlichem Charakter ging, wurde ich als Frau nicht ganz ernst genommen. Auch in den Köpfen der Gäste ist die Direktion männlich. Das bekomme ich tagtäglich mit, wenn beispielsweise Gäste nach dem Direktor statt nach der Direktorin fragen.

Wie haben sich die Themen Sexismus oder sexuelle Übergriffe in der Hotellerie in den vergangenen Jahren verändert?
Karin Kunz:
Wir beschäftigen 190 Festangestellte und 220 Aushilfen aus total 43 Ländern, deshalb sind Sexismus und Mobbing Themen, die präsent sind. Zielpersonen sind vor allem Frauen und Personen, die nicht hetero sind oder einen Migrationshintergrund haben. Es gibt immer wieder Witze, die nicht gut ankommen. Aber wir sind auf verschiedenen Ebenen aufmerksam: Die Abteilungsleiter sind auf die Themen sensibilisiert. Die Mitarbeitenden werden bereits am Einführungstag geschult und können sich jederzeit an eine neutrale Stelle wenden. Wir entliessen jemanden, der übergriffig wurde. Damit setzten wir ein Zeichen.

Anna Metry: Früher gab es mehr Sprüche von Männern als heute. Das fand ich nicht so cool und versuchte es zu ignorieren. Heute bin ich viel sensibilisierter und würde eher reagieren. Als Arbeitgeberin beobachte ich, dass es immer mal wieder alkoholisierte Gäste gibt, die einen Spruch klopfen. Dann greifen wir ein, wir empfehlen den Gästen auch mal, zu Bett zu gehen, als Alternative schlagen wir vor, das Hotel zu verlassen.

Wie ermutigen Sie das weibliche Umfeld, für sich einzustehen?
Karin Kunz:
Wenn neue junge Mitarbeitende an der Front arbeiten, sind sie anfangs oft unsicher, egal ob Frau oder Mann. Ich zeige ihnen, wie sie es machen sollen: Steh souverän hinter die Réception, beide Beine verwurzelt, aufrecht. Suche den Augenkontakt. Beantworte Fragen korrekt. Wenn du etwas nicht weisst, sag dem Gast, dass du es abklärst und auf ihn zugehst. Mit den Gästen muss man klar kommunizieren, womöglich als Frau noch klarer. Aber hier hoffe ich, dass ich auch als Vorbild wirken kann.

Anna Metry: Ich empfehle den neuen Mitarbeitenden zu üben. Sie sollen zu Hause beispielsweise ein Check-in von A bis Z durchführen und sich dabei filmen. So merken sie, wie sie wirken. Damit üben sie auch den Text und den Ablauf, danach können wir gemeinsam an den Details feilen. Denn das selbstsichere Auftreten vor dem Gast ist essenziell.

Und was ist, wenn der Gast etwas behauptet, das vielleicht gar nicht stimmt.
Anna Metry:
Man muss besonders den jungen Frauen erklären, dass der Gast nicht immer recht hat, sondern auch mal falschliegen kann. Auf jeden Fall muss man ruhig bleiben und seine Argumente sachlich wiederholen. Alternativ kann man den Vorgesetzten holen. Aber hier möchte ich noch anfügen, dass ich es schade finde, wenn gewisse Gäste die Situation ausnützen und die jungen Frauen verunsichern, wenn sie neu an der Front sind. Das ist einfach nicht fair.

Zurück zum Frauenstreik. Was werden Sie am 14. Juni machen?
Anna Metry:
Ich veranstalte ein Frauenapéro bei uns im Hotel. Natürlich dürfen auch die Männer kommen!

Karin Kunz: Dann findet der Hospitality Summit von HotellerieSuisse in Zürich statt. Ich werde wohl erst am Branchenevent teilnehmen, dann zwischendurch an den Frauenstreik und wieder zurück an den Hospitality Summit gehen.


Schweizer Hotelièren schrieben Geschichte

[IMG 2]Katharina Seiler-Clausen (1834–1895) aus Brig war die Ehefrau des Walliser Hotelpioniers Alexander Seiler. Die 16-fache Mutter führte die Buchhaltung und die Korrespondenz des wachsenden Hotelunternehmens in Zermatt. Nach dem Tod ihres Ehemanns 1891 führte sie die Hotels mit ihren Söhnen Alexander und Joseph weiter. Auch war sie aktiv an der Einführung der elektrischen Beleuchtung in Zermatt 1892 beteiligt. 


[IMG 3] Maria Badrutt-Berry (1822–1877) aus Chur war die Ehefrau und Mitkämpferin des Hoteliers Johannes Caspar Badrutt. Gemeinsam hatten sie neun Kinder. 1856 gründeten sie in der Pension Faller in St. Moritz das heutige Hotel Kulm St. Moritz. Finanzielle Unterstützung fanden die Hoteliers bei Marias Vater, dem Churer Stadtrat Johannes Berry. Laut ihrer Grabsteininschrift war Maria Badrutt die Seele des Hauses, «die Mutter vom Kulm».


[IMG 4] Die Elsässer Hotelierstochter Marie-Louise Beck (1867–1961) heiratete 1888 den Walliser Hotelpionier Cäsar Ritz. Gemeinsam hatten sie zwei Söhne. Marie-Louise Beck war bekannt für ihren guten Geschmack und beriet ihren Mann anfangs vor allem in Sachen Inneneinrichtung, Stoffe und Geschirr. Nach dessen Tod übernahm sie das Management des «Ritz»-Hotelimperiums und führte das «Ritz» in Paris bis zu ihrem Tod im Alter von 93 Jahren. nde