Nadja Maurer

Für viele Jugendliche in der Schweiz beginnt in diesen Tagen und Wochen ein neuer Lebensabschnitt. Rund 76 000 Schulabgänger werden eine Lehre be-
ginnen – von der Agrarpraktikerin bis zum Zimmermann. Doch nicht überall können die Ausbildungsplätze mit jungen Kräften besetzt werden. Vor allem das Gastgewerbe kämpft weiterhin mit Nachwuchsproblemen. 2017 blieben in der Branche laut dem Bundesamt für Statistik rund 400 Lehrstellen unbesetzt. Und auch in diesem Jahr ist wieder mit einigen unbesetzten Ausbildungsplätzen zu rechnen, wie dem Nahtstellenbarometer des Bundes zu entnehmen ist. Dieser erfasst zweimal jährlich die aktuelle Situation von Jugendlichen im Übergang von der obligatorischen Schule in die Sekundarstufe II. So waren im Gastgewerbe zum Zeitpunkt der letzten Erhebung im April 2018 noch knapp 40 Prozent der Lehrstellen frei. Ein Blick auf die Lehrstellenplattform berufe­hotelgastro.ch bestätigt, dass auch aktuell noch viele Lernende im Gastgewerbe gesucht werden. Schweizweit gibt es zum Start des neuen Lehrjahres im August 2018 noch über 900 freie Lehrstellen.

Auch Gastrosuisse geht in diesem Jahr erneut von einem starken Wettbewerb um den Berufsnachwuchs aus. Als Grund nennt der Verband die rückläufige Zahl der Schulabgänger in der Schweiz. Davon, so heisst es, seien alle Branchen betroffen. Man beobachte aber, dass es in Städten tendenziell einfacher sei, Lehrstellen zu besetzen, als in ländlichen Regionen. Besonders bei den Köchen ist der Mangel an Nachwuchs anhaltend gross. So sucht etwa das Hotel Schweizerhaus in Maloja noch einen Lernenden respektive eine Lernende in der Küche. «Wir haben die Stelle schon lange ausgeschrieben», lässt Gastgeber Jürg Wintsch wissen. Seit zwei, drei Jahren sei dieser Ausbildungsplatz unbesetzt. «Ich rechne nicht damit, dass sich dies demnächst ändern wird», meint er resigniert. Mit dem gleichen Problem kämpft Wintsch im Service. Insgesamt bietet er in seinem Betrieb im Engadin vier Lehrstellen an.

Über ein Viertel weniger Kochlernende innert fünf Jahren
Ausbildungsberufe im Gastgewerbe, insbesondere in der Küche, haben es schwer. Eine repräsentative Lernendenbefragung der Hotel & Gastro Union ergab, dass nur 57 Prozent der Befragten das Image der Gastrobranche als gut empfinden. Fast jeder Fünfte findet, es sei ungenügend bis schlecht. Seit 2004 hat sich das Image der Branche in den Augen der Lernenden gar verschlechtert, heisst es im Report. Gründe dafür sind vor allem die Arbeitszeiten und der Lohn. Auch im Nahtstellenbarometer des Bundes schaffen es die Gastroberufe nicht in die Top 10 der am meisten nachgefragten Lehrstellen. Angeführt wird das Ranking von den Ausbildungen im kaufmännischen Bereich, in der Informatik und im Gesundheitswesen.

Um rund 20 Prozent ist die Zahl der Lernenden im Gastgewerbe in den vergangenen fünf Jahren gesunken. In der Küche sind es sogar 28 Prozent weniger Lernende in den letzten zehn Jahren (siehe Grafik). Das hinterlässt auf dem Arbeitsmarkt Spuren – ganz abgesehen von den rund 20 Prozent, die nach einer abgeschlossenen gastgewerblichen Lehre in eine andere Branche wechseln. «Auf offene Positionen in der Küche haben wir früher fünf bis zehn ­Bewerbungen erhalten. Heute kommen sie tröpfchenweise rein», erzählt Christian Zinn vom Waldhotel National in Arosa.

Deutschland: Anzahl der Auszubildenden hat sich halbiert
Das 4-Sterne-Superior-Haus, das im Winter rund 100 Angestellte zählt, wurde im Frühling im Rahmen der «Great-Place-to-Work»-Studie als einer der besten Arbeitgeber in der Schweiz ausgezeichnet. Laut Zinn hilft diese Auszeichnung «immens» bei der Mitarbeitersuche. Glücklicherweise, so Zinn, habe man auch alle Lehrstellen besetzen können. Das Haus bietet insgesamt acht bis neun Ausbildungsplätze an. Dennoch merkt der Hotelier, dass die Anzahl der Bewerbungen «massiv zurückgeht».

Was Zinn ebenfalls feststellt: Die Zahl der Bewerbungen aus Deutschland nimmt spürbar ab. Das kommt nicht von ungefähr: Auch Deutschland hat weniger Lernende im Gastgewerbe. Laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga Bundesverband) gab es 2017 rund 53 000 Auszubildende im Gastgewerbe. Vor zehn Jahren waren es noch doppelt so viele – und mit über 107 000 Lernenden ein Rekordwert. Die Anzahl Ausbildungs­verträge als Koch oder Köchin ist bei den nördlichen Nachbarn ebenfalls rückläufig, wenn auch etwas weniger markant als in der Schweiz: Seit 1993 zählt Deutschland knapp 19 Prozent weniger Kochlernende.

Die Situation in Deutschland bleibt gemäss Dehoga angespannt: «Nach dem, was wir überwiegend aus den Betrieben hören, ist die Besetzung der Ausbildungsstellen weiter schwierig.» Allerdings seien die regionalen Unterschiede und Unterschiede von Betrieb zu Betrieb sehr gross. «Es gibt auch Betriebe, die ihre Ausbildungsstellen für dieses Jahr schon seit Monaten mit motivierten und leistungsstarken Jugendlichen besetzt haben, die richtig Lust aufs professionelle Kochen haben.» Im Hinblick auf das neue Ausbildungsjahr kann der Verband mitteilen, dass Ende Juni dieses Jahres 1,6 Prozent weniger noch unbesetzte Ausbildungsstellen in der Speisezubereitung gemeldet waren als zum gleichen Zeitpunkt 2017.

Fehlt aber in Deutschland der Nachwuchs, wirkt sich das unmit­telbar auf das Schweizer Gastgewerbe aus. Jürg Wintsch vom «Schweizerhaus» in Maloja konnte in den vergangenen Jahren vielfach auf deutsche Fachkräfte zählen. «Doch jetzt kommen aus Deutschland fast keine Bewerbungen mehr rein.»

Ein guter Koch finde heutzutage auch in Deutschland eine verhältnismässig gut bezahlte Anstellung in der Küche. Wintsch, Chef von bis zu 23 Angestellten, orientiert sich deshalb weiter in Richtung Osten. Sowohl für die Réception als auch für den Service und die Küche holte er sich Verstärkung aus dem Osten. Diesen Trend in der Branche bestätigt Thomas Nussbaumer, Präsident vom Schweizer Kochverband: «Deutschland gehen Arbeitgeber gar nicht mehr aktiv an.»

Städte konkurrieren mit höheren Löhnen
Ein weiteres Problem, welches die Bergregionen betrifft, macht Christian Zinn vom Waldhotel National aus: «Die Städte booten uns mit höheren Löhnen aus. Wenn sich jemand aus Deutschland in Arosa und in Zürich bewirbt, kann der Lohnunterschied bis zu 20 Prozent betragen», weiss der Hotelier. Dabei werde dem Bewerber oft verschwiegen, dass die Lebenskosten in der Stadt 
höher seien als in den Bergen. Zinn möchte den Kopf aber nicht in den Sand stecken. Er sei sich der schwierigen Situation auf dem Lehrstellen- und Arbeitsmarkt bewusst. «Wir jammern nicht, sondern krempeln die Ärmel hoch und schauen, was wir tun können. In der heutigen Zeit, mit der Generation X und Y, müssen wir umdenken. Wir dürfen Lernende nicht mehr als ‹Stifte› sehen und müssen Mitarbeitende ins Zentrum stellen», so sein Rezept.

Der Präsident vom Schweizer Kochverband Thomas Nussbaumer glaubt nicht, dass sich der Fachkräftemangel in der Schweiz entschärft. «Gute Fachleute im Überfluss werden wir kaum haben.» Trotzdem glaube er, dass Dienstleistungs- und handwerkliche Berufe eine Zukunft haben. «Ich bin überzeugt, dass die Gesellschaft wieder mehr auf jene Werte zurückkommt, die handwerkliche Berufe verkörpern.» Heute haben es Handwerks- und Dienstleistungsberufe allgemein sehr schwer – der Kochberuf ist nur einer davon.

Dieser Artikel erschien in der htr hotel revue vom 09. August 2018 als Teil des Schwerpunktes «Lehrjahr 2018/2019».