Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Lebensmittel in der Schweiz mehrheitlich dezentral in kleinen Betrieben hergestellt. Gewerbliche Metzger, Bäcker, Brauer, Landwirte und so weiter versorgten das Land mit Essen und Trinken.
Zwar gab es auch damals bereits erste Betriebe mit mechanischen Produktionssystemen. So eröffnete etwa François-Louis Cailler 1819 in Corsier-sur-Vevey eine Schokoladenmanufaktur mit mechanischer Produktion. Seit 1898 wird Cailler, die älteste noch existierende Schokoladenmarke der Schweiz, in der Fabrik in Broc FR hergestellt. Die Schokolade, die seit 1929 zum Nestlé-Konzern gehört, war eine der ersten, die in einem industriellen Verfahren produziert wurde.
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In dieser Zeit wurde die Schweiz zum Schokoladeland. 1875 erfand Daniel Peter die Milchschokolade, und 1879 kreierte Rudolf Lindt die Schmelzschokolade, heisst es dazu im Historischen Lexikon der Schweiz. Die neuartigen Produkte fanden auch im Ausland reissenden Absatz. Die Exporte explodierten: von 502 Tonnen im Jahr 1887 auf 27'262 Tonnen 1915.
Bekannte Unternehmen wie Suchard, Lindt & Sprüngli, Tobler und eben Cailler waren damals Ton angebend. Unter anderem dank der industriell hergestellten Schokolade wurden Lebensmittel in dieser Zeit zu einem der wichtigsten Exportgüter des Landes. Mit einem Anteil von über 15 Prozent an den Gesamtausfuhren übertraf der Sektor vor dem Ersten Weltkrieg sogar die Uhrenbranche und kam praktisch auf das Niveau der Maschinenindustrie.
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Der Hotelkönig und die Kondensmilch
Ein Exportschalger dieser Zeit war neben der Schokolade haltbare Milch – sei es in Form von Pulver oder von Kondensmilch. Der deutsche Apotheker Heinrich Nestle, der sich nach seinem Umzug von Süddeutschland nach Vevey Henri Nestlé nannte, begann 1867 mit der Herstellung von Milchpulver für Kinder. Ab 1878 stellte das Unternehmen zudem gezuckerte Kondensmilch her.
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Die Kondensmilch-Pioniere der Schweiz waren allerdings zwei Amerikaner: Die Brüder Charles und George Page produzierten mit ihrem Unternehmen, der Anglo-Swiss Condensed Milk Co., ab 1867 in Cham ZG Kondensmilch. 1905 fusionierte die Anglo-Swiss mit Nestlé.
Mit der Kondensmilch-Produktion ist auch ein Name verbunden, der in der Hotellerie unvergessen ist: César Ritz. Der Walliser war im ausgehenden 19. Jahrhundert Hotelier an der französischen Riviera, als dort eine Cholera-Epidemie ausbrach. Viele Hotelgäste verliessen die Gegend und damit Ritz' Hotel panikartig. Ritz reagierte sofort und setzte in seinem Etablissement rigorose Hygienestandards um. So erhielt jedes Zimmer ein eigenes Badezimmer mit fliessendem Wasser und Toilette – eine Weltpremiere in der damaligen Hotellerie.
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Ritz suchte darüber hinaus einen Weg, wie er seinen Gästen Milch anbieten kann, die nicht so rasch verdirbt. 1892 gründete er deshalb die Berner Alpen-Milchgesellschaft in Stalden BE, die ab 1895 ungezuckerte Kondensmilch produzierte. Diese feierte nach 1912 vor allem in Deutschland unter dem Namen Bärenmarke grosse Erfolge.
Mit den Exporten realisierten die Firmen aber auch, dass es günstiger kommt, die Lebensmittel direkt im Ausland zu produzieren. Der damals angestossene Globalisierungsprozess ist bis heute spürbar.
Die Geburtsstunde des Convenience Food
Im Zuge der industriellen Revolution veränderte sich auch das Konsumverhalten der Leute. Die Bedeutung des eigenen Gartens nahm ab, entsprechend wurden weniger Lebensmittel haltbar gemacht. Auch hatten Frauen, die nicht selten in den neuen Fabriken arbeiteten, weniger Zeit, Essen für de Familie zuzubereiten. Nicht zuletzt wurde es zunehmend unüblich, Hausangestellte zu haben. Das war die Geburtsstunde des Convenience Food.
Gedörrte Lebensmittel und Konserven waren damals gefragt. Laut Histroischem Lexikon der Schweiz waren anfänglich Gastronomie und Hotellerie die Hauptabnehmer dieser Produkte, ehe die Privathaushalte die Konserven für sich entdeckten.
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Maggi begann in dieser Zeit in Kemptthal Fertigsuppen herzustellen. Karl Burkhardt-Gänsli gründete in Frauenfeld die erste Konservenfabrik der Schweiz. Und in Rohrschach produzierten Wallrad Ottmar und Philipp Emil Bernhard Fleisch-, Gemüse- und Fruchtkonserven – daraus ging später die Firma Roco hervor, die unter anderem für ihre ab 1934 produzierten Büchsenravioli bekannt wurde. Die beiden letzteren wurden später von Hero übernommen. Das heute für seine Konfitüren bekannte Unternehmen aus Lenzburg hat seine Wurzeln ebenfalls in dieser Zeit: Es wurde 1886 als Konservenfabrik Henckell, Zeiler & Cie. gegründet und hiess ab 1889 Henckell & Roth, woraus sich Hero ableitet.
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Drei Viertel der Brauereien verschwanden
Die Industrialisierung der Lebensmittelbranche führte nicht nur dazu, dass viele Nahrungsmittel günstiger wurden. Es setzte auch eine Konsolidierung bei den Unternehmen ein. Weil die Firmen grössere Mengen zu geringeren Kosten herstellen konnten, brauchte es bald einmal weniger Hersteller. Eindrücklich zeigt sich das beispielsweise bei den Brauereien: 1883 gab es in der Schweiz noch 483 Brauereien, 1900 waren es noch 245 und bis 1911 sank die Zahl gar auf 138.
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Gleiches war bei anderen gewerblichen Betrieben zu beobachten: Knetmaschinen und grosse Öfen industrialisierten die Brot- und neue Walzmühlen die Mehlherstellung. Schlachthöfe wurden aus den Innenstädten verbannt und an den neuen Standorten zum Teil automatisiert. EIn typisches Kind dieser Zeit ist die 1869 gegründete Metzgerei Bell, die 1907 an den Stadtrand von Basel zog und bereits 1912 der grösste Fleischproduzent der Schweiz war.
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Die Kuh verdrängte das Korn
Die Landwirtschaft, der Ursprung der Lebensmittelproduktion, wurde im 19. Jahrhundert ebenfalls ordentlich durchgerüttelt. Ein besseres Verständnis für die Produktionsbedingungen und das Düngen sowie die einsetzende Mechanisierung steigerten den Ertrag deutlich. Ab den 1880er-Jahren begann deshalb die Zahl der Beschäftigten im sogenannten ersten Sektor zu schrumpfen. Hundert Jahre später war sie um sagenhafte 75 Prozent geringer.
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Eine weitere wesentliche Umstellung, war die Verschiebung vom Getreideanbau zur Milchwirtschaft. Bis dahin war die Milch- und Käseproduktion noch Hauptsächlich in den Bergen anzutreffen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wanderte sie ins Flachland ab, wo effizienter produziert werden konnte. Dort entstanden Verarbeitungsbetriebe wie Grosskäsereien und Kondensmilchfabriken. Auch Ovomaltine-Herstellerin Wander in Neuenegg BE war auf Milch aus dem Umland angewiesen.
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Parallel dazu ging der Ackerbau zurück. Und auch die Rebbaufläche schrumpfte in dieser Zeit. Es waren schwieirge Zeiten für die Winzer: Schlechtwetter-Jahre, Mehltau-Pilze und Reblaus sorgten für Missernten und eine regelrechte Rebbaukrise. Der Kampf gegen Krankheiten und Schädlinge trieb die Produktionskosten in die Höhe. Zudem sorgten industriell hergestellte Getränke wie Bier und mit der Eisenbahn importierte ausländische Weine für günstige Konkurrenz. Viele Rebparzellen – vor allem schattige sowie nässe- und frostanfällige – wurden aufgehoben.
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