Andermatt war bis vor zehn Jahren vor allem als Militärbasis und Durchgangsort für spektakuläre Passfahrten über die Furka, den Gotthard und den Oberalp bekannt. Mit den Millioneninvestitionen von Samih Sawiris erlebte das Dorf den bemerkenswerten Wandel vom Bergdorf zum Luxusresort. Dieser Wandel wurde massgeblich durch die Eröffnung des renommierten Luxushotels The Chedi im Jahr 2013 eingeleitet.

Unter der Führung des Hoteliers Jean-Yves Blatt setzte das 5-Sterne-Superior-Hotel eigene Massstäbe in den Bereichen Gastlichkeit und Herzlichkeit. Sie beruhen auf Werten, die er als Kind aufgesogen hat. Nach acht Jahren als General Manager verlässt Blatt das Luxushotel Ende September und übergibt an Jörg Arnold.

Jean-Yves Blatt, bevor Sie «The Chedi» leiteten, waren Sie während zehn Jahren General Manager des Parkhotel in Gstaad, eines Luxushotels mit 100-jähriger Geschichte. Ist es schwieriger, einem neuen Hotel wie dem Chedi ein Gesicht zu geben oder ein altes Hotel jung zu halten?
Beides hat seine Tücken! Ein komplett neues Hotel muss eine Seele erhalten und erste Gäste finden. Dazu benötigt es in einem ersten Schritt vor allem eine Vision, ein top Marketing und ganz viel Kommunikation. Software und Hardware müssen verbunden werden. Es braucht den Mut, Dinge zu probieren und sie sofort zu ändern, wenn sie nicht funktionieren.

Ein altes Hotel jung zu halten, birgt eine ganz andere Herausforderung. Man weiss schon, was funktioniert und was nicht, und kennt den Weg zu neuen Zielgruppen. Doch wie nimmt man die Stammkunden auf diese Reise mit? Wie kann man diese immens wichtigen Gäste für Neues begeistern?

Die gesamten Prozesse mussten neu strukturiert und durchdacht werden, damit das Hotel funktionieren konnte.

Was könnte die Destination Gstaad von Andermatt lernen?
Es sind dies die Kraft von Innovation und der Mut, etwas Neues zu wagen. Man solle sich trauen, gross zu denken.

Und umgekehrt, was kann Andermatt von Gstaad lernen?
Um sich als angesehene Tourismusdestination zu entwickeln, sollte man nicht kurzfristig denken und ein rasantes Wachstum anstreben, sondern langfristig planen und schrittweise vorgehen.

Sie verlassen das Luxushotel The Chedi Ende September. Dieser Entscheid wirkt etwas überraschend.
Nach achteinhalb unglaublich intensiven, spannenden und erfolgreichen Jahren als General Manager im The Chedi Andermatt würde ich nicht von einem frühen Abgang sprechen. (schmunzelt) Und es war auch kein überraschender Entscheid.

Ich verlasse das Hotel zu einem sehr guten Zeitpunkt und werde dem neuen Direktor ein spektakuläres Alpen-Hideaway mit einem fantastischen Team übergeben. Ich selbst freue mich nun erstmals auf die Zeit mit meiner Familie und danach auf eine berufliche Neuorientierung. Darauf, einfach einmal Zeit zu haben … [RELATED]

Sie sind im Waadtländer Bergdorf Rougemont, einem Nachbardorf von Gstaad, aufgewachsen. Welche Werte haben Sie mitgenommen?
Das ist eine spannende Frage! Tatsächlich denke ich, dass ich viele meiner wichtigsten Werte aus meiner Kindheit und Jugend im Bergdorf Rougemont mitgenommen habe. Dazu zählen sicherlich Demut, Understatement und der Wunsch, füreinander da zu sein und einander zu helfen. Rougemont ist ein touristisches Bergdorf, welches für herzliche Gastfreundschaft steht. Diese herzliche Gastfreundschaft war und ist wegweisend für mein gesamtes Berufsleben in der Hotellerie.

Wie konnten Sie sie im «The Chedi» integrieren?
Wir haben das gesamte Konzept des «The Chedi» rund um diese Werte entwickelt! Herzliche Gastfreundschaft steht für uns an allererster Stelle: vom herzlichen Empfang bis zum «Auf Wiedersehen» tun wir alles dafür, dass sich die Gäste in dieser unaufgeregten Herzlichkeit wohlfühlen.

«The Chedi» stammt aus dem asiatischen Sprachgebrauch und bezeichnet ein religiöses Monument. Wie vereinbarten Sie diese doch stolze Bezeichnung des Luxushotels mit Ihrem Sinn für Understatement?
Das «The Chedi Andermatt» steht nicht für Luxus im klassischen Sinn. Wir bieten einen «versteckten» Luxus. Wir bieten den Luxus der Ruhe, des erstklassigen Designs und der ausgezeichneten Kulinarik. Es ist der Luxus, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu dürfen. Weniger ist mehr. Das ist unser Luxus.

Sie wurden als Hoteldirektor zwei Jahre nach der Eröffnung an Bord geholt. Was reizte sie an der Aufgabe?
Ich wurde exakt 15 Monate nach der Eröffnung geholt und erinnere mich noch ganz genau daran! Der Reiz lag für mich klar darin, in einer damals eher unbekannten Gegend ein komplett neues Hotel aufzubauen und zum Erfolg zu führen. Das «The Chedi» war von allem Anfang an anders. Das reizte mich sehr.

Wo lagen im «The Chedi» die grössten Baustellen?
In den Prozessen. Die gesamten Prozesse mussten neu strukturiert und durchdacht werden, damit das Hotel funktionieren konnte. Wir haben rund um die einmalig schöne Hardware alles neu aufgebaut. Dies war vor allem auch hinsichtlich unserer Mitarbeitenden ein grosses Thema. In einem damals noch eher unbekannten Andermatt fast 350 qualifizierte und passionierte Mitarbeitende zu finden, war eine echte Herausforderung.

Stellen Sie sich vor, wie viele Köchinnen und Köche einzig für die vier Show­küchen benötigt werden!

Wie konnte Ihnen das gelingen?
(lacht) Durch harte Arbeit! Eine der ganz grossen Herausforderungen des «The Chedi» liegt in der asiatischen Bauweise. Und damit meine ich nicht die Materialisierung des Hotels. Das Hotel wurde nach seiner Schönheit gebaut, nicht prozessorientiert.

Stellen Sie sich vor, wie viele Köchinnen und Köche einzig für die vier Showküchen benötigt werden! In der Hochsaison beschäftigen wir tatsächlich über 300 Mitarbeitende – gerade in der heutigen Zeit ist dies eine grosse Herausforderung. Ich bin stolz darauf, dass wir dies so gut meistern.

Was ist Ihr persönliches Rezept für gute Fachkräfte?
Sicher hilft es uns, dass wir einen so guten Namen und Ruf aufbauen konnten. Aber es ist auch unsere junge und frische Philosophie, die gerade junge Menschen begeistert. Wir schauen bei der Rekrutierung immer den Menschen an und nicht nur seine Kompetenzen. Dies macht es möglich, dass unsere Teams miteinander funktionieren und wir uns über ein herzliches Arbeitsklima freuen dürfen.

Wie viele Jahre brauchte das «The Chedi», um in die Gewinnzone zu kommen?
Wir haben es mit unserem neuen Management ab März 2015 in die Gewinnzone gebracht. Seither schreiben wir Gewinn.

«The Chedi» in Zahlen
365
Tage pro Jahr offen

119
Zimmer und Suiten

52 bis 330
Quadratmeter grosse Wohneinheiten

550 bis 20000
Franken beträgt die Spannweite der Zimmerpreise

70  Prozent
Zimmerauslastung

50 Prozent
Gäste aus der Schweiz

30 Prozent
Gäste aus Europa 

Wie haben Sie das 5-Sterne-Superior-Hotel in die schwarzen Zahlen geführt?
Einen starken Fokus legten wir auf Marketing und PR. Wir mussten das «The Chedi Andermatt» erstmals positionieren. Nicht nur «The Chedi», sondern die gesamte Region musste sich ein neues Image erarbeiten.

Wie kommt die einheimische Bevölkerung mit dem neuen Image zurecht? Gibt es Spannungen?
Natürlich war die einheimische Bevölkerung am Anfang sehr skeptisch, aber immer offen. Heute ist das Hotel sehr gut akzeptiert. Die Einheimischen besuchen uns gerne, natürlich vor allem, um fein zu essen oder in der Bar zu verweilen.

Das «The Chedi» wurde vor zehn Jahren eröffnet. Welche Konzeptideen haben sich besonders bewährt?
Wir hatten die Vision, dass es für Jugend, Frische und für einen einmaligen Lifestyle steht. Das «The Chedi» sollte «sparkling» sein. Es ist uns gelungen, dass wir heute nicht nur wegen unserer einmaligen Architektur und der erstklassigen Kulinarik besucht werden.

Wir bieten den Gästen Momente und Erlebnisse, welche sie sonst nirgends auf der Welt finden können. Diese Konzeptideen haben sich besonders bewährt.

Was hat nicht geklappt?
Wir haben es nicht geschafft, dass wir alle, ich inklusive, akzentfrei Schweizerdeutsch sprechen! Obwohl wir den Mitarbeitenden im Hotel monatliche Deutschkurse anbieten.

Sie bedienen eine internationale Kundschaft, weshalb ist Ihnen das Schweizerdeutsche trotzdem wichtig?
Wir möchten, dass sich unsere Mitarbeitenden im Dorf integrieren können.

Wo wohnen die Mitarbeitenden – oder mit anderen Worten: Haben Sie Ihnen eigene Personalwohnungen gebaut?
Für unsere Mitarbeitenden mieten wir in Andermatt ein 3-Sterne-Hotel. Da wir jedoch 365 Tage im Jahr geöffnet sind, mieten sich unsere Mitarbeitenden auch privat Wohnungen, sei dies in Andermatt oder den umliegenden Dörfern.

Was sind die nächsten Ziele, die Ihr Nachfolger unbedingt an die Hand nehmen sollte?
Ich freue mich darauf, dies direkt von meinem Nachfolger Jörg Arnold zu lesen, und bin gespannt, welche Visionen er im «The Chedi» verwirklichen wird!

Als Begründung für Ihren Abgang sagten Sie, dass Sie noch einmal etwas anpacken möchten. In welche Richtung geht es? Consulting? Hotelkette? Etwas Eigenes?
Das kann ich an dieser Stelle noch nicht sagen. Ich werde mich nach dieser intensiven Zeit einfach einmal ausruhen und meine Batterien aufladen. Ich freue mich sehr auf die kommende Zeit mit meiner Familie. Danach entscheide ich, wohin mich meine berufliche Reise führt.

Understatement in der Luxushotellerie
Nach einer Ausbildung zum Koch in Château-dʼŒx absolvierte Jean-Yves Blatt die Hotelfachschule Ecole hôtelière de Lausanne. Er arbeitete im Sales & Marketing in Hotels wie dem Lausanne Palace. Der heute 58-Jährige übernahm 2005 die Führung des Grand Hotel Park Gstaad, eines «Leading Hotel of The World» und «Swiss Deluxe Hotel».

Der dreifache Familienvater wechselte 2015 ins Hotel The Chedi Andermatt mit 119 Zimmern, 5 Restaurants und einem 2400 Quadratmeter grossen Spa & Health Club. Blatt führte das Leuchtturmprojekt der Firma Andermatt Swiss Alps in die schwarzen Zahlen. In seiner freien Zeit ist er in den Bergen oder beim Motorsport anzutreffen.

 


Kaum bezahlbaren Wohnraum in Andermatt

Die rasante Entwicklung von Andermatt zieht auch problematische Aspekte mit sich. Wie in vielen andere Tourismusdestinationen bekunden die Mitarbeitenden Mühe, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Zwar gibt es innerhalb von zehn Kilometern sehr günstige leerstehende Wohnungen, das setzt jedoch den Besitz eines Autos oder den Anschluss ans ÖV-Netz voraus. In Andermatt selbst ist wohnen jedoch teuer geworden. «Man hat aus den Erfahrungen der Destination nicht viel gelernt», bedauert Tourismusdirektor Thomas Christen. Er hätte sich gewünscht, dass bei der Planung der Luxusimmobilien und -hotels auch an Mitarbeiterunterkünfte gedacht worden wäre. Eine Strategiegruppe wurde vor einem halben Jahr eingesetzt. Darin nehmen die Gemeinden Andermatt sowie Tujetsch (Disentis/Sedrun), die Vail Resorts und Andermatt Swiss Alps Einsitz. Die Strategiegruppe setzt sich zum Ziel, das Bahnhofareal weiterzuentwickeln und dabei eine Quote anzuwenden, wie viel Prozent der Mitarbeitenden von Andermatt im Dorf bezahlbaren Wohnraum finden sollen. Bis zur Umsetzung werden jedoch mehrere Jahre vergehen, wie Christen mitteilt, da die Gebäude erst geplant und gebaut werden müssen.