Erst im Zuge der Industrialisierung wurde es üblich, dass alleinstehende Frauen überhaupt ihr Heim verliessen. Damals zogen junge Frauen auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Städte. In vielen urbanen Zentren entstanden in der Folge Frauenunterkünfte – teils aus Sorge um die Moral der jungen Damen, teils um diese zu schützen. In solchen Pensionen lebten die Arbeiterinnen oft unter gestrenger Aufsicht einer «Hausmutter».

[IMG 2]Auch in der Schweiz entstanden damals Frauenunterkünfte. Etwa in Zürich das Marthahaus, heute das Hotel Marta, und das gleichnamige Haus in Bern, heute ebenfalls ein Hotel. Betrieben wurden beide vom 1877 gegründeten Verein «Freundinnen junger Mädchen». Die Organisation, die sich heute Compagna nennt, kämpfte in ganz Europa gegen Mädchenhandel und Prostitution. Der Name einer weiteren Zürcher Einrichtung aus jener Zeit belegt, dass die Unterkünfte damals mehr Heim als Hotel waren: «Töchterheim an der Lutherstrasse». An dessen Stelle steht heute das Josephine’s Guesthouse for Women.

Das New Yorker Hotel, «das die Frauen befreit hat»
Die ersten «echten» Hotels nur für Frauen entstanden in den USA. Um die Zeit der Weltkriege veränderte sich das Selbstverständnis der Frauen. Sie studierten, machten Karriere und wollten das Leben geniessen. Die eher biederen «Moralpensionen» waren nichts für sie.[IMG 3]

Es war die Zeit legendärer Frauenhotels wie des «Martha Washington» und des «Barbizon» in New York. Letzteres wurde auch dank Bewohnerinnen wie Grace Kelly, Liza Minnelli und Nancy Reagan selbst zur Berühmtheit. Die Bewohnerinnen konnten in den Unterkünften Kontakte knüpfen und so ihre Karrieren vorantreiben.[IMG 4]

Letztlich wurden die Hotels Opfer ihres eigenen Erfolgs. Sie trieben die Emanzipation voran, indem sie Singlefrauen Raum boten, sich zu entfalten. Die Historikerin Paulina Bren nennt ihr Buch über das «Barbizon» denn auch: «The Hotel That Set Women Free». In den 70er-Jahren hatte sich die Gesellschaft so weit verändert, dass Frauenhotels aus der Mode kamen.

Frauenhotel im Jura führte zwischenzeitlich eine Warteliste
Zwanzig Jahre später und 6200 Kilometer weiter östlich wurde im jurassischen Wintersportort Les Rasses das erste wirkliche Frauenhotel der Schweiz eröffnet. Das «Revital» feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Ein halbes Jahr nach dem «Revital», im Frühling 1993, eröffnete oberhalb des Walensees das Frauenhotel Monte Vuala (das 2005 aufgelöst wurde). Interessanterweise positionierten sich beide Unterkünfte ganz ähnlich: als Kraftort, an dem sich Frauen erholen können. Im Zentrum standen von Beginn weg Angebote wie Yoga, Meditation, Wellness und gesundes Essen.

«Irgendwann einmal hatte das Hotel den Spitznamen ‹Hexenzentrum›.»

Pascale Pilloud
Inhaberin und Direktorin des Frauenhotels Revital

In den frühen Jahren machten wilde Gerüchte die Runde, was in diesen Hotels alles passiere. «Irgendwann einmal hatte das Hotel den Spitznamen ‹Hexenzentrum vom Balcon du Jura›», sagt Pascale Pilloud, die das «Revital» seit 15 Jahren besitzt und leitet. Heute sei das ganz anders: Der Betrieb gehöre zu den wichtigsten Arbeitgebern in der Gemeinde. Und vom Erfolg des Hotels profitiere auch das lokale Gewerbe. So können die Gäste zum Beispiel per Bestellschein beim Käser einkaufen, der dann ins Hotel liefert.

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Der Erfolg gibt Pilloud recht: 70 Prozent der Gäste sind Stammgäste. Zumindest war das vor der Pandemie so. Denn seit Corona seien enorm viele neue Gäste dazugekommen. So viele, dass die Direktorin zwischenzeitlich Wartelisten führen musste. Sie ist überzeugt, dass das Bedürfnis nach dieser Art von Urlaub in Zukunft noch zunehmen wird.

Das «Revital» ist übrigens nicht 365 Tage im Jahr ein reines Frauenhotel. An zwei Wochen pro Jahr treffen Frauen und Männer aufeinander, und eine Woche pro Jahr sind die Männer unter sich. «Wenn Männer zum ersten Mal zu uns kommen, reisen viele mit dem Bike auf dem Gepäckträger an. Wahrscheinlich ist es für sie einfacher, den Kollegen zu sagen, sie gingen zum Biken in den Jura als zum Erholen ins Frauenhotel», sagt Pilloud und lacht.

Frauenhotel empfängt ein Jahr nach Eröffnung auch Männer
Ein anderes «Frauenhotel», in dem Männer willkommen sind, ist das ehemalige «Ladys First» im Zürcher Seefeld, das Anfang April nach einem Umbau unter dem Namen Alma Hotel wiedereröffnen wird. Es wurde 2001 als Frauenhotel gegründet, liess aber bereits ein Jahr später aus wirtschaftlichen Gründen auch männliche Gäste zu.

«Die Positionierung hängt davon ab, ob ein entsprechendes Bedürfnis besteht.»

Verena Kern Nyberg
Direktorin der vier Hotels von Sinn & Gewinn

Im Zuge des Umbaus zum ursprünglichen Konzept zurückzukehren, sei nie eine Option gewesen, sagt Verena Kern Nyberg, Direktorin der vier Hotels von Sinn & Gewinn – dazu gehören neben dem «Alma» die erwähnten Hotels Marta und Josephine’s Guesthouse in Zürich sowie die Pension Bienvenue in Lausanne. Die beiden Letzteren empfangen exklusiv Frauen und laufen gemäss Kern Nyberg sehr gut.

Dass sie im «Alma» trotzdem an der gemischten Klientel festhält, hat mit den unterschiedlichen Zielgruppen zu tun: «Im ‹Josephine’s› und im ‹Bienvenue› bleiben die meist jungen Gäste in der Regel länger als ein paar Tage. Dort herrscht dank Ess- und Wohnzimmer, Gemeinschaftsküche und Dachterrasse ein bisschen WG-Groove.»

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Die Positionierung hänge davon ab, ob ein entsprechendes Bedürfnis bestehe, findet Kern Nyberg. So funktionierten Frauenparkplätze deshalb so gut, weil Frauen möglichst rasch und sicher aus dem Parkhaus in den belebten öffentlichen Raum kommen wollten. Auch das Wellness im Alma Hotel sei weiterhin Frauen vorbehalten, weil Frauen im Wellness lieber unter sich seien. Im Hotelgang sehe sie das Bedürfnis, dass Frauen unter sich sein wollten, aber weniger.[RELATED]

Frauenetagen im gemischten Hotel überzeugen weniger
Wie Sinn & Gewinn fährt auch das «Haus zur Stauffacherin» in Zürich mehrgleisig und bietet neben klassischen Hotelzimmern Long Stay und betreutes Wohnen – alles exklusiv für Frauen. Vor der Pandemie seien die Hotelzimmer sehr gut ausgelastet gewesen, sagt Geschäftsleiterin Brigit Ruf, unter anderem dank vieler Stammgäste. Derzeit sei vor allem die Langzeitmiete gefragt, «aber sobald sich die Lage normalisiert, kann es sein, dass wir das Hotel innert eines Jahres wieder komplett hochfahren. Das werden wir im Herbst je nach Lage definitiv entscheiden.» Potenzial für Frauenhotels sieht Ruf vor allem in grösseren Städten: «Vermutlich wirkt die Grossstadt als besondere Drohkulisse, in der Frauenhotels einen willkommenen Rückzugsort bieten.»

Immer wieder gibt es Hotels, die einzelne Etagen für Frauen reservieren. Von diesem Konzept sind die Managerinnen weniger überzeugt: «Wer nur einzelne Teile des Hotels für Frauen reserviert, hat kein klares Profil, gleichzeitig aber ein eingeschränktes Zielpublikum», sagt Ruf.

[DOSSIER]

Mischa Stünzi