Diversity ist seit einiger Zeit in aller Munde. Der englische Begriff steht wörtlich übersetzt für Vielfalt – im Sinne eines ausgewogenen Verhältnisses von Geschlecht, ethnischer Herkunft und Hautfarbe, Alter, Beeinträchtigung, Religion und sexueller Orientierung. Das Konzept des Diversity-Managements entstand ursprünglich in den USA der 1960er-Jahre im politisch aufgeladenen Umfeld der Frauenrechts- und Bürgerrechtsbewegung. Seither ist ein halbes Jahrhundert vergangen. Heute ist unbestritten, dass heterogene Teams kreativer, wirtschaftlich erfolgreicher und innovativer sind. Trotzdem besteht noch in vielen Branchen grosser Handlungsbedarf (siehe Zweittext). Zu homogen sind die Teams meist noch aufgestellt.
Als Diversity-Management wird der verantwortungsvolle Umgang mit Vielfalt in einem Unternehmen bezeichnet. Dabei werden folgende Diversity-Dimensionen berücksichtigt:
- Geschlecht
- Alter
- Gesundheit/Beeinträchtigung
- Sprache
- Nationalität
- Sexuelle Orientierung
- Ethnie
- Religion
Wer nun auf Diversity-Management setzt, muss sich bewusst sein, dass dieser Prozess zeitintensiv ist. Denn ein Wandel der Unternehmensphilosophie passiert nicht von heute auf morgen. Es braucht jedoch nicht von Anfang an ein allumfassendes Diversity-Management. Die Schwerpunkte können je nach Bedarf gezielt gesetzt und mit der Zeit ausgebaut werden. In erster Linie geht es darum, dass die getroffenen Massnahmen gelebt werden und nicht ein reines Lippenbekenntnis bleiben.
Seit der Gründung in der Betriebsphilosophie verankert
Wie wichtig es ist, einmal gefasste Massnahmen zu leben, betonten auch die Teilnehmenden des Tischgesprächs, zu dem die htr hotelrevue Ende August geladen hatte. Mit am Tisch sassen Jeannine Graf, Regionalleiterin Service und Reparaturen bei Schindler Aufzüge; Verena Kern Nyberg, Direktorin Sinn & Gewinn Hotels; Walburga Kunz, stellvertretende Direktorin Hotellerie der Schützen Rheinfelden AG; Marcel Brader, Partner bei HR unlimited, und Beat Bühlmann, Leiter KMU-Vertrieb bei Swisscom.
Mit dem htr-Tischgespräch bietet die htr hotel revue Lieferanten, Hotelièren, Hoteliers und Vertretern der Branche die Möglichkeit, relevante Themen gemeinsam zu diskutieren und zu vertiefen. Die htr hotel revue lädt regelmässig zur Diskussionsrunde nach Bern zu Themen wie Food & Beverage, Table Top, Technik, Digitalisierung, Interior Design, Wellness, Sauna und Spa.
htr.ch/dossiers-studien.html
Bei den Sinn & Gewinn Hotels etwa ist Diversität seit der Gründung 1998 ein wichtiger Bestandteil der Betriebsphilosophie. Die gemeinnützige Aktiengesellschaft Frauenhotel AG, die in Zürich drei und in Lausanne einen Betrieb führt, bietet Arbeit und Ausbildung für Frauen mit erschwerten Voraussetzungen. So arbeiten in den Hotels 15 bis 20 Frauen, die eine psychische oder kognitive Beeinträchtigung haben, im sogenannten zweiten Arbeitsmarkt. Zudem wird ein Viertel der Zimmer in den beiden Pensionen für Frauen in Notsituationen zur Verfügung gestellt. «Ich habe den Eindruck, dass uns unsere Ausrichtung bei der Rekrutierung hilft. Gerade die Generation Y sucht immer öfter nach einer Sinnhaftigkeit in ihrer Arbeit», sagt Verena Kern Nyberg.
Auch die Schützen Rheinfelden AG lebt Sinnhaftigkeit und Diversität seit ihrer Gründung vor 38 Jahren. Auf der einen Seite ist da die Klinik, auf der anderen Seite die Hotellerie.
So arbeiten in dem Unternehmen Mitarbeitende unterschiedlichster Ausbildungsniveaus. In der Klinik bringen viele einen akademischen Hintergrund mit, in der Hotellerie ist das Ausbildungsniveau tiefer. «Umso wichtiger ist es, dass sich alle auf Augenhöhe begegnen», ist Walburga Kunz, Direktorin Hotellerie, überzeugt. «Und dies pflegen wir ganz bewusst, indem wir die beiden Bereiche Klinik und Hotellerie zusammenbringen. Jeden Morgen machen wir eine gemeinsame Znünipause und tauschen uns aus.»
Zudem legt das Unternehmen Wert auf eine Durchmischung der Generationen. Auch wird auf allen Hierarchiestufen Teilzeitarbeit angeboten. Rund 60 Prozent der Führungskräfte sind Frauen, und in den Teams sind 22 Nationen vertreten. Im Weiteren engagiert sich das Unternehmen auch sozial und bietet Menschen mit Beeinträchtigung einen Arbeitsplatz im zweiten Arbeitsmarkt. Im besten Fall können diese Mitarbeitenden in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Ein Diversity-Management, von dem viele Unternehmen noch weit entfernt sind.
Fokus auf Gender- und Altersdiversität gelegt
Bei Schindler Aufzüge sah die Geschäftsleitung vor rund drei Jahren Handlungsbedarf und beschloss, dass sich in Bezug auf die Gender- und Alterszusammensetzung etwas ändern müsse. Erstens hat sich die Kundenstruktur verändert – Bauführerinnen sind keine Seltenheit mehr –, zweitens fehlen Arbeitskräfte, gerade in den handwerklichen Berufen. Und drittens gaben diverse Studien, die gemischten Teams eine höhere Performance attestieren, den Ausschlag, den Frauenanteil zu erhöhen und auf eine Durchmischung der Altersgruppen zu setzen.
«Wir haben es nun geschafft, Frauen für unsere Firma zu gewinnen. Die grosse Herausforderung ist nun jedoch, dass sie sich auch integriert und akzeptiert fühlen», sagt Jeannine Graf, Regionalleiterin bei Schindler Aufzüge. Sie sieht diesbezüglich noch Verbesserungspotenzial. «Das Genderthema und die Altersdurchmischung waren bei uns in der Firma in der Schweiz – andere Länderniederlassungen sind da schon weiter – die drängendste Priorität.»
Zuerst sinkt die Performance eines Teams, dann steigt sie
Das Beispiel zeigt exemplarisch, dass es nicht darum geht, auf Biegen und Brechen alle Dimensionen der Vielfalt abzudecken –sondern Teams entsprechend zusammenzusetzen, damit sie ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Das braucht Zeit, das geht nicht von heute auf morgen, wie Beat Bühlmann, der bei Swisscom als Leiter KMU-Vertrieb zuständig ist, bestätigt. «Zu Beginn sinkt die Performance erst einmal, sei dies nun in Bezug auf den Umsatz oder die Produktivität», erläutert Bühlmann. «Ein Jahr muss man einem Team geben, das neu nach den Kriterien der Diversität zusammengesetzt ist.» Auch der Auftritt nach aussen muss gut abgestimmt sein. Es bringt nichts, sich öffentlich Diversität auf die Fahne zu schreiben, und intern wird sie nicht gelebt.
So hat Schindler Aufzüge zuerst intern sensibilisiert und ist dann mit dem Thema Schritt für Schritt nach aussen getreten. Als Erstes hat das Unternehmen alle Stellen 80 bis 100 Prozent ausgeschrieben, danach über Hochschulen Ingenieurinnen angesprochen und beim Zukunftstag gezielt Mädchen informiert. Ein wichtiger Moment war auch die Anpassung der Bildsprache. Vor 2017 konnte diese den Eindruck vermitteln, dass ein weisser Mann Mitte 40 gesucht wird. Dadurch fühlten sich Frauen kaum angesprochen. Seither werden Bilder bewusster gewählt und komponiert, um dem Unternehmen ein anderes öffentliches Image zu verleihen.
Die Bedeutung der Bildsprache unterstreicht auch Marcel Brader, der als Partner bei HR unlimited tätig ist, einem Unternehmen, das HR-Interimmanagement anbietet. Hier müsse ganz klar ein Wandel stattfinden, ist der HR-Profi überzeugt.
Als weiteren wichtigen Punkt erachtet er Transparenz im Bewerbungsverfahren. «Lebt ein Unternehmen Diversität noch nicht lange, bringt es nichts, etwas anderes vorzuspielen. Das spüren die Bewerber auf Anhieb», sagt Marcel Brader.
Was ebenfalls nicht unterschätzt werden darf, ist die Sprache, mit der sich ein Unternehmen in seinen Stelleninseraten präsentiert. «Zu oft sind die Stelleninserate zu maskulin formuliert, das schreckt viele Frauen ab», sagt Beat Bühlmann, der gute Erfahrung mit einer Textsoftware gemacht hat, die Jobausschreibungen gendermässig analysiert.
Die Schützen Rheinfelden AG arbeitet zwar nicht mit Textsoftware, wie Walburga Kunz anmerkt, wendet jedoch ebenfalls viel Zeit für die Erstellung von Stelleninseraten auf, damit diese professionell formuliert und adäquat ausgeschrieben werden.
Ganz selbstverständlich integriert und inkludiert
Wie man sich nach aussen präsentiert, ist auch bei den Sinn & Gewinn Hotels in den letzten Jahren zu einem grossen Thema geworden. Zu Beginn sei kommunikativ nicht hervorgehoben worden, dass das Unternehmen ein Integrationsbetrieb sei, erzählt Verena Kern Nyberg. Man habe das Normalisierungsprinzip hochgehalten und niemanden «ausstellen» wollen. Mittlerweile habe innerhalb und ausserhalb der Firma ein Kulturwandel stattgefunden. Menschen mit Beeinträchtigung würden heute ganz selbstverständlich integriert und inkludiert.
«Auch mit dem 2018 eingeführten neuen Namen Sinn & Gewinn haben wir gezeigt, dass wir diese Sinnhaftigkeit stolz nach aussen tragen wollen.»
Fünf Branchenprofis sprechen über Diversität
Jeannine Graf ist Regionalleiterin Service und Reparaturen bei Schindler Aufzüge. Nach einem Studium der Betriebswirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich stieg sie 2010 bei Schindler Aufzüge ins HR ein. Seit fünf Jahren ist sie Linienverantwortliche. Schindler Aufzüge arbeitet seit 2017 an einer ausgewogenen Geschlechter- und Altersdurchmischung. [IMG 5]
schindler.ch
Verena Kern Nyberg amtet seit acht Jahren als Direktorin der Sinn & Gewinn Hotels mit drei Betrieben in Zürich und einem in Lausanne. Die gebürtige Deutsche war lange in der Luxushotellerie tätig, bevor sie zur gemeinnützigen Aktiengesellschaft hinter den Sinn & Gewinn Hotels wechselte. Die Betriebe leben Vielfalt und integrieren Schwächere. [IMG 6]
sinnundgewinn.ch
Walburga Kunz ist stellvertretende Direktorin Hotellerie der Schützen Rheinfelden AG und seit elf Jahren für das Unternehmen tätig. Die drei dazugehörigen Hotels sind ein Geschäftsfeld des Betriebes mit einem Klinik-im-Hotel-Konzept, in dem gesunde und kranke Menschen unter einem Dach beherbergt sind. Diversität ist in der DNA des Unternehmens verankert. [IMG 7]
schuetzen-ag.ch
Marcel Brader stieg vor eineinhalb Jahren als Partner bei HR unlimited ein. Das Unternehmen bietet HR-Interimmanagement. Der HR-Profi ist seit über 20 Jahren in HR-Funktionen tätig und war vor der Selbstständigkeit viereinhalb Jahre bei der Ospena Group unter anderem mit der Eröffnung des Marktgasse Hotels in Zürich betraut, wo Diversität ein Thema war. [IMG 8]
hr-unlimited.com
Beat Bühlmann leitet bei Swisscom den KMU-Vertrieb. Zudem ist er in der Lehre und Beratung tätig. Der gelernte Automechaniker studierte Informatik und Betriebswirtschaftslehre. Er war in Zürich, London und Genf für Dell, HP, Google und Evernote tätig und hat bezüglich Diversität und Inklusion viele verschiedene Firmenkulturen gesehen. [IMG 9]
swisscom.ch
Diversity-Index: Es besteht noch Handlungsbedarf
Das Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern hat vor sieben Jahren einen Diversity-Index ins Leben gerufen. Dieser ist ein unabhängiges Instrument zur Erhebung der Vielfalt der Belegschaft in Schweizer Grossunternehmen. 2013 zum ersten Mal durchgeführt – lanciert aus einem Forschungsprojekt in Kooperation von Wissenschaft, Bund und Wirtschaft –, wurde er seither alle zwei Jahre erhoben.
Das Ziel des Diversity-Index ist es, die Heterogenität der Belegschaft zu messen und diese mittels einer Kennzahl abzubilden. Dabei fliessen die Diversity-Dimensionen Alter, Geschlecht, Nationalität, Religion, Gesundheit und Beeinträchtigung sowie die Verankerung des Themas in der Organisation des Unternehmens in den Diversity-Index ein. So lassen sich Aussagen zu den einzelnen Diversity-Dimensionen und zur allgemeinen Heterogenität machen.
Im Vergleich zu den ersten Erhebungen stellt Dr. Anina Cristina Hille, Projektleiterin von Diversity & Inclusion Management, eine deutliche Verbesserung fest. Trotzdem zeigen die Resultate des Diversity-Index, dass beim Thema Vielfalt in der Schweiz weiterhin Handlungsbedarf besteht. Obwohl durchschnittlich 87 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen Grundsätze zum Diversity-Management festhalten, setzt im Durchschnitt nur die Hälfte der Unternehmen konkrete Massnahmen um. Positiv zu werten ist hingegen, dass im Bereich Gesundheit und Beeinträchtigung die Mehrheit der Firmen vielfältig aufgestellt ist und präventive oder unterstützende Programme zum Gesundheitsmanagement anbietet. Auch im Bereich Gender werden zahlreiche Massnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie umgesetzt. Knapp die Hälfte der Unternehmen beschäftigt sich mit einer vielfältigen Belegschaft in Bezug auf Nationalitäten und Religionen.
Als Alternative zum Diversity-Index, der dieses Jahr nicht erhoben wird, bietet das Institut Unternehmen Self-Assessments, diverse Programme und Dienstleistungen an, um den verantwortungsvollen Umgang von Diversity im Betrieb zu fördern. Zudem ist zurzeit ein Index für KMU in Entwicklung.