Alle sieben Jahre wird die Innenausstattung in der Regel erneuert. Dies ist der Rhythmus, der in der Hotellerie und Gastronomie vorherrscht. Doch es wäre an der Zeit, diese Haltung zu überdenken. Denn es braucht nicht allzu viel Vorstellungskraft, um zu verstehen, dass dieser Takt alles andere als ressourcen- und klimaschonend ist. Am 13. Juni kommt das revidierte CO2-Gesetz zur Abstimmung. Das Gesetz soll dafür sorgen, dass der Treibhausgas-Ausstoss der Schweiz bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 halbiert wird. Dies kann nur mit gezielten Massnahmen erreicht werden. Dazu kann auch die Hotellerie beitragen.

In Bezug auf Food-Waste und Energie hat die Hospitality-Branche in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Doch was die Gebäude und die Innenausstattung betrifft – dies gilt für das gesamte Bauwesen –, besteht noch viel Luft nach oben. Hier fallen insbesondere Baustoffe und -materialien mit ihrem hohen Verbrauch an nicht erneuerbarer Energie negativ ins Gewicht. Diese sogenannte graue Energie wird zur Rohstoffgewinnung, Herstellung, Verarbeitung und Entsorgung eingesetzt.

Hochwertige Materialien wiederzuverwenden, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Janine Rüfenacht, Projektleiterin The Lab Hotel, Vizedirektorin HF Thun

Doch auch im Bauwesen findet ein Umdenken statt, wie die Vergabe des diesjährigen Pritzker-Preises zeigt, der international höchsten Auszeichnung für Architektur. Die Architektin Anne Lacaton und der Architekt Jean-Philippe Vassal aus Frankreich erhielten den Pritzker-Preis 2021 für ihren Anspruch, verantwortungsvoll für Mensch und Umwelt zu handeln. Niemals etwas abreissen, lautet ihr Credo. Die Jury strich ihre restaurative Architektur positiv hervor, die zugleich technologisch, innovativ und ökologisch sei.

Glossar
Upcycling: Beim Upcycling werden Baustoffe und -materialien neu eingesetzt und in neuwertige Produkte umgewandelt. Dadurch kommt es zu einer Aufwertung des Ausgangsstoffes. Dies reduziert den Bedarf an neu produzierten Rohmaterialien und wirkt sich positiv auf die Ressourcen aus.
Recycling: Beim Recycling werden Rohstoffe aus entsorgtem Material gewonnen, das in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt und aufbereitet wird. Dazu eignen sich vor allem Glas, Papier, Karton, Eisen, Nichteisenmetalle und Kunststoffe.
Graue Energie: Die zur Rohstoffgewinnung, Herstellung, Verarbeitung und Entsorgung erforderliche nicht erneuerbare Primärenergie einschliesslich der Transporte wird graue Energie genannt.
Null-Energie-Bilanz: Ein Gebäude weist eine Null-Energie-Bilanz auf, wenn es seinen Energiebedarf im Jahresmittel komplett durch eigene Energieproduktion wie etwa durch Solaranlagen decken kann.
Kreislaufsystem: Das Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, Rohstoffe effizient und so lange wie möglich zu nutzen. Wenn Material- und Produktekreisläufe intakt sind, können Rohstoffe immer wieder von Neuem verwendet werden.

Individuelle Zimmergestaltung mit Upcycling-Möbeln
Es geht also darum, clever mit dem Bestehenden umzugehen und Strategien zu entwickeln, die über den Einsatz von Recycling hinausgehen. Einen sehr umfassenden Ansatz verfolgt die Hotelière und Präsidentin des österreichischen Hotelierverbandes Michaela Reiterer mit ihrem Hotel Stadthalle in Wien – das erste Stadthotel mit einer Null-Energie-Bilanz weltweit. 2020 hat die Hotelière 16 Zimmer sowie den Frühstücksraum renovieren lassen und dabei jedem Raum eines der Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO gewidmet.

Selbst gebaute Upcycling-Möbel sollen ein Bewusstsein für das jeweilige nachhaltige Ziel schaffen. Dabei geht es Reiterer bei der Innenausstattung darum, Objekte in neuer Form einzusetzen, statt sie wegzuwerfen. «Das ist zwar nicht günstiger, aber mir widerstrebt es, Dinge wegzuwerfen.» Entstanden sind originelle und individuelle Zimmerausstattungen, die die Gäste für die Thematik sensibilisieren. «Als Hotel sind wir in der privilegierten Rolle, Tag für Tag Menschen aus aller Welt bei uns zu begrüssen und so in eine Botschafterrolle in Bezug auf Nachhaltigkeit zu schlüpfen», führt die Hotelière weiter aus.

Dass ressourcenschonendes Bauen die Zukunft sein muss, ist man sich auch im The Lab Hotel in Thun bewusst. Das zur Hotelfachschule Thun gehörende, Anfang März eröffnete Laborhotel bietet ebenfalls ein Upcycling-Zimmer an – es ist eines der beliebtesten. Fast alle Materialien in diesem Zimmer stammen aus ehemaligen Studentenzimmern. «Hochwertige Materialien wiederzuverwenden, ist ein Schritt in die richtige Richtung», ist Janine Rüfenacht, Vizedirektorin der Hotelfachschule und Projektleiterin des Laborhotels, überzeugt. «Auch im Hauptgebäude und in der Studentenunterkunft haben wir bestehende Materialien und Mobiliar verwendet.»


Nachgefragt

Karsten Schmidt-Hoensdorf ist Berater von HotellerieSuisse und Inhaber des Zürcher Architektur- und Interior-Design-Studios IDA14.

[IMG 4]«Wir haben verstanden» – dieser Satz ist in Mode gekommen, wenn Unternehmen auf Konsumentenbedürfnisse oder Politiker auf Klimaproteste reagieren. Hat auch die Hotellerie in Bezug auf Bauen und Design verstanden?

Diesen Satz vermisse ich in der Hotellerie. Es geht um einen Paradigmenwechsel. Über die Gestaltung hinaus. Ein Hotel sollte sich als Teil einer lokalen Community sehen, sich beteiligen und Verantwortung übernehmen. Wie etwa das 25hours Hotel Langstrasse, das in seiner Küche seit einem Jahr täglich Essen für Armutsbetroffene zubereitet. Ein Hotel gewinnt, wenn es gesellschaftlich relevante Themen aufgreift.

Die Klimajugendlichen von Climatestrike.ch haben kürzlich einen Aktionsplan mit 17 Punkten vorgelegt. Darunter auch einen Punkt zur Gebäude- und Raumentwicklung. Dabei plädieren sie dafür, Bestehendes zu nutzen. Wie sieht es damit in der Hotellerie aus?

In anderen Bereichen der Baubranche gibt es etablierte Bauteilbörsen, wo Gebrauchtes wieder in den Kreislauf kommt. Das gibt es bis anhin für die Hotellerie nicht. Hier sehe ich grosses Potenzial. Bei drei von fünf Umbauten wird alles weggeworfen, obwohl vieles nach einem Upcycling noch brauchbar wäre. Auch Recyclingwerkstätten wären sinnvoll. Warum gründen Tourismuskantone nicht Recyclingwerkstätten spezifisch für die Hotellerie als Integrationsprojekte für Arbeitslose, Behinderte und schwer Integrierbare? Das wäre ein echter Beitrag.

Ein Hotel gewinnt, wenn es gesellschaftlich relevante Themen aufgreift

Apropos Upcycling. Wie gelingt dies, damit sich die Gäste nicht wie in einer Brockenstube fühlen?

Es geht um einen raffinierten Einsatz des Upcycling. Entweder werden bestehende Produkte zu neuen Möbeln zusammengefügt, oder alte Möbel werden mit gezielten Eingriffen verändert und aufgewertet. So können etwa alte Kommoden mit neuer Farbe und Beschlägen aufgewertet werden, die sich dann optimal in das neue Farbkonzept einfügen. Es ist auch ein guter Anfang, wenn nur einige Elemente eines Zimmers upgecycelt sind.

Wo sehen Sie noch Potenzial?

Man sollte sich auch mit Nischentrends wie etwa dem Veganismus auseinandersetzen. Wenn man bedenkt, dass die Marketingabteilungen von bedeutenden Autokonzernen heute an veganen Autos tüfteln, wäre es auch an der Zeit, an komplett vegane Hotels zu denken. In Bezug auf die Zimmerausstattung würde dies tierversuchsfreie Kosmetik bedeuten, aber auch den Verzicht auf tierische Materialien wie Leder und Daunen. (bbe)