Claude Meier, über Weihnachten wollten Sie erstmals nach Saudi-Arabien reisen. Doch die türkischen Behörden liessen Sie beim Umsteigen trotz Dreifach-Impfung nicht passieren. Also verbrachten Sie Ihre Ferien in Jordanien. Reisen ist kompliziert geworden...
Ja, über Reisefreiheit zu diskutieren, ist in Epidemiezeiten keine theoretische Diskussion mehr, denn diese ist unglaublich eingeschränkt. Bei einer Reise ins Ausland –  zudem noch mit einem Gabelflug – muss man viel in Kauf nehmen, so viel, man kann gar nicht alles vorhersehen oder einplanen. Wir müssen sobald als möglich wieder zur kompletten Reisefreiheit zurückkehren. Saudi-Arabien bleibt vorderhand auf meiner Bucket List.

Ausländische Gäste in der Schweiz gab es in den letzten zwei Wochen des vergangenen Jahres trotzdem zahlreiche. Der Umsatz der Schweizer Hotels mit ausländischen Gästen lag nur noch 10 Prozent unter dem Wert von 2019. Geht es aufwärts?
Auf das ganze Jahr gesehen, sieht es schon etwas anders aus. Wir haben in unserem Sektor massivste Einbrüche gehabt. Wir sind meilenweit entfernt von den Logiernächten und Erträgen, die wir vor der Pandemie generieren konnten. Ich gehe davon aus, dass wir frühestens im Jahr 2025 wieder den Stand von vor der Pandemie erreichen werden.

Planungssicherheiten für unsere Betriebe gibt es schlichtweg schon seit bald zwei Jahren nicht mehr.

Was bedeutet «meilenweit»?
2020 konnten 40 Prozent weniger Logiernächte verbucht werden als 2019. Ein dramatischer Wert. Das Jahr 2021 lief wieder etwas besser als 2020, doch noch lange nicht gut. Und die vergangenen Wochen zeigen, wie volatil der Markt ist. Innerhalb von Tagen kann sich die Situation wieder verschlechtern. Planungssicherheiten für unsere Betriebe gibt es schlichtweg schon seit bald zwei Jahren nicht mehr.

Zur Person
Claude Meier (43) ist seit 2016 Direktor von HotellerieSuisse. Er ist Stiftungs- und Verwaltungsratsmitglied der EHL Group. Der studierte Volkswirtschaftler ist auch Vorstandsmitglied des Schweizer Tourismus-Verbandes und der Reka-Verwaltung. Zuvor war er als Leiter Zentralsekretariat und Mitglied der Gruppenleitung beim Kaufmännischen Verband Schweiz in Zürich und als Geschäftsführer der Organisation der Arbeitswelt Gesundheit Bern tätig. Im März 2022 kandidiert er auf der FDP-Liste für einen Sitz im Grossen Rat des Kantons Bern.

Die Pandemie macht der Branche auch sonst zu schaffen. Es fehlen die Mitarbeitenden wegen Omikron oder wegen der Quarantäneregel. Hotels mussten schliessen, Speisekarten ausgedünnt werden.
Der Arbeitskräftemangel ist ein Thema, das die Branche seit Jahren beschäftigt. Und er wird auch während der nächsten 10, 20 Jahre eine der grössten Herausforderungen sein. Die Corona-Krise hat die Problematik einfach noch verschärft und noch deutlicher vor Augen geführt.

Geändert hat sich während all der Jahre nichts. Warum?
Ein Grund dafür ist die demografische Entwicklung. Die Menschen werden immer älter. Zum Glück. Aber es stehen auf der anderen Seite zu wenig Junge zur Verfügung, welche die Lücken schliessen könnten. Wir haben mehr Pensionierte im Verhältnis zur erwerbstätigen Bevölkerung. Daran können wir nichts ändern. Und ein weiterer Punkt ist, dass wir nicht wie früher auf wertvolle ausländische Arbeitskräfte zählen können, die diese Lücken füllen könnten. Denn die demografische Problematik gibt es in jedem anderen europäischen Land auch. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative hat das ihre zur Verschärfung der Situation beigetragen. Es gibt für dieses Problem schlicht keine einfache Patentlösung, es braucht einen Strauss an Massnahmen.

Es muss uns gelingen,  neue Arbeitsmodelle zu ermöglichen. Wir brauchen Männer und Frauen im Arbeitsprozess.

Welche Lösungen sehen Sie – auch auf politischer Ebene?
Es muss uns gelingen, unser inländisches Fachkräftepotenzial möglichst optimal auszuschöpfen. Stichworte dazu sind: bezahlbare Kitas, um Eltern für den Arbeitsmarkt zu gewinnen; Anreize schaffen, um das Rollenverständnis von Mann und Frau in der Gesellschaft weiter auf Gleichberechtigung auszurichten und neue Arbeitsmodelle zu ermöglichen. Denn es ist klar, dass wir Männer und Frauen im Arbeitsprozess brauchen. Auch die Einführung einer Individualbesteuerung kann hierzu weitere Anreize liefern. Und wichtig dabei ist, dass der Faktor Arbeit nicht durch zusätzliche Steuern und Abgaben verteuert wird. Gerade im Zusammenhang mit einer AHV- oder BVG-Revision ist das ein zentraler Punkt.
 
Ungelernte, oftmals ausländische Arbeitskräfte arbeiten zum Teil zu tieferen Löhnen.
Es geht darum, diese Arbeitskräfte weiterzubilden, damit auch sie nachqualifiziert werden. Hier müssen alle in die Aus- und Weiterbildung ihrer Angestellten investieren. Über die Politik können weitere Anreize zur Förderung des lebenslangen Lernens insbesondere im Bereich der Basisqualifikationen gesetzt werden. Dieses Thema lässt sich auch über die Sozialpartnerschaft weiter forcieren.

Wie kann der L-GAV hier unterstützen?
Über den Gesamtarbeitsvertrag konnten Weiter- und Ausbildungsangebote im letzten Krisenjahr kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Dies im Bewusstsein, dass Arbeitskräfte, die bereits in unserem Land sind, so zu besser qualifizierten Mitarbeitenden werden. Dass die Bildungsoffensive bis 2022 verlängert wurde, ist ein Gewinn für die Branche.

Lehrbetriebe können mit den jungen Menschen nicht mehr gleich umgehen wie vor 20 Jahren. Die Lernenden haben andere Erwartungen und Ansprüche.

Realität aber ist, dass viele aussteigen, bevor sie die Grundausbildung überhaupt abgeschlossen haben. Was sind die wichtigsten Gründe dafür?
Ja, wir haben in meinen Augen eine zu hohe Austrittsrate an Lernenden in unserer Branche. Das führe ich auf die relativ strenge Ausbildung zurück; sie ist körperlich fordernd, gerade zum Beispiel in der Küche. Einige Lernende realisieren das erst während der Ausbildung. Wir haben aber auch von Arbeitgeberseite die Aufgabe, uns stetig zu verbessern. Lehrbetriebe können mit den jungen Menschen nicht mehr gleich umgehen wie vor 20 Jahren. Die Lernenden haben andere Erwartungen und Ansprüche, die Unternehmenskultur ist wichtig. Wertschätzung und Respekt sind wichtige Werte  –  nicht nur für junge Menschen. Damit hier nicht Welten aufeinanderprallen, müssen einige Betriebe weitere Veränderungen vornehmen, wenn sie auch in der Zukunft auf dem Arbeitsmarkt attraktiv sein wollen.

Was unternimmt der Verband, um die Mitglieder dabei zu unterstützen?
Wir haben das in anderen Branchen bereits bekannte Projekt «Top Ausbildungsbetrieb» mit unserem Regionalverband Graubünden und den Kollegen von Gastro Graubünden getestet und dann im vergangenen Jahr auf die ganze Schweiz ausgedehnt. Wir bieten damit zusätzliche Ausbildungseinheiten für die Lehrbetriebsbetreuenden an mit der Absicht, als HotellerieSuisse die besten Ausbildungsbetriebe in der Gesamtbranche Gastgewerbe zu haben. Wir investieren damit in die Ausbildungsqualität der Ausbildungsbetriebe, damit unsere Lehrbetriebe sich selber weiterbilden, um die besten Lehrbetriebe auf dem Markt zu werden. Diesen Ehrgeiz müssen wir haben. Und ich kenne viele Betriebe, die heute bereits mit viel Herzblut und Engagement einen ausgezeichneten Job in der Ausbildung machen.

Bilden genug Betriebe Lernende aus?
Die Zahl der Betriebe, die Lernende in der beruflichen Grundausbildung ausbilden, hat in den vergangenen Jahren leicht abgenommen. Aber die Nachfrage hat leider noch mehr abgenommen. Wir haben aktuell nach wie vor einen Überhang an offenen Lehrstellen in der Gesamtbranche. Es gibt also genügend Lehrstellen für Interessierte – ausser bei den Hotelkommunikationsfachleuten, einem relativ neuen Beruf. Hier ist die Nachfrage grösser als das Angebot an Ausbildungsplätzen. Fakt ist: Fachkräfte fallen nicht vom Himmel. Die Branche ist in der Verantwortung. Sie muss ausbilden. Wenn sie es nicht macht, machts niemand. Wir als HotellerieSuisse wollen unsere Mitglieder darin unterstützen, dass sie zu den besten Lehrbetrieben im Land gehören.

Ich glaube, dass diese Unternehmen die Chancen erkannt haben, über eine Investition in die Unternehmenskultur nachhaltig unternehmerischen Erfolg zu generieren.


Was muss sich in der Kultur mancher Betriebe verändern?
Vorab möchte ich sagen, dass mir sehr viel Mitgliederbetriebe bekannt sind, die enorm und ganz gezielt in die eigene Unternehmenskultur investieren. Ich glaube, dass diese Unternehmen die Chancen erkannt haben, über eine Investition in die Unternehmenskultur, die Unternehmenswerte und die Führungsarbeit nachhaltig unternehmerischen Erfolg zu generieren. Gute Führungskultur heisst zum Beispiel für mich, dass Führungskräfte die Fähigkeiten der Mitarbeitenden erkennen, diese gezielt fördern und auch dabei helfen, ihre Potenziale optimal zu nutzen. Eine offene Gesprächs- und Feedbackkultur ist hierfür eine genauso wichtige Voraussetzung wie eine stufengerechte Weitergabe von Verantwortung und Entscheidungskompetenzen. Das Führen von Mitarbeitenden ist eine zeitintensive Aufgabe. Und ja, zahlreiche KMU sind damit teilweise überfordert oder durch das Tagesgeschäft schlicht dermassen belastet, dass sie solchen Aspekten zu wenig Beachtung schenken.

Wir werden auch strukturelle Massnahmen treffen, um die Ausbildung der Fachkräfte zu stärken.

2022 lautet das Motto von HotellerieSuisse «Future Hospitality». Was steckt dahinter?
Wir richten 2022 unseren Fokus explizit auf das Thema Mitarbeitende. Wie gewinnen wir unsere Arbeitskräfte? Wie können wir diese in unseren Betrieben behalten und weiterentwickeln? In diesen Fragen will HotellerieSuisse die Mitglieder unterstützen. Wir werden auch strukturelle Massnahmen treffen, um die Ausbildung der Fachkräfte zu stärken.

Was heisst das?
Unsere Schulhotels befinden sich in Martigny, Interlaken und Pontresina. Wir sind Mitträger der Hotelfachschule Thun, und wir sind Träger und Stifter der EHL Group mit Campus-Standort Lausanne, Passugg und Singapur. Historisch betrachtet sind das alles selbständige Einheiten. Wir wollen nun die Zusammenarbeit dieser Institutionen intensivieren. Wir werden die Mitarbeitenden in den nächsten Tagen informieren. Von der beruflichen Grundbildung über die höhere Berufsbildung bis zum Fachhochschulabschluss soll alles angeboten werden – und zwar mit einer grossen Durchlässigkeit. Ein solcher Anbieter wird einmalig sein in der Schweiz und international. Es geht hier um einen massiven strukturellen Eingriff auf Schulanbieterseite.

Wird es Schulschliessungen geben?
Nein, wird es nicht geben. Auch keine Entlassungen, denn wir brauchen alle Kräfte. Wir schaffen neue Entwicklungschancen und Potenziale, um neue Produkte an den unterschiedlichen Standorten und auch digitale Ausbildungseinheiten anbieten zu können. Doch Schritt für Schritt.

Gibt es weitere strukturelle Veränderungen?
Neben Veränderungen auf dem Bildungsmarkt sehen wir weitere strukturelle Chancen. HotellerieSuisse ist zusammen mit GastroSuisse und Hotel & Gastro Union Träger der Hotel & Gastro Formation in Weggis. Darüber werden die Berufsbilder unserer Branche entwickelt, modernisiert und revidiert. Uns scheint es wichtig zu sein, dass wir Träger einer eigentlichen Trägerstrategie zusammen entwickeln und uns dabei die Frage stellen, wie es uns Trägerverbänden gelingt, dass wir die Aufgabe der Berufsbilderweiterentwicklung gemeinsam noch fokussierter, dynamischer und weiter stärken können.

Am Anfang der Corona-Krise hätte ich nicht gedacht, dass wir wegen der Pandemie mit einer noch grösseren Fachkräfteproblematik dastehen werden.

Warum ist «Future Hospitality» gerade 2022 das Motto von HotellerieSuisse?
Am Anfang der Corona-Krise hätte ich nicht gedacht, dass wir wegen der Pandemie mit einer noch grösseren Fachkräfteproblematik dastehen werden. Die Problematik bestand schon vorher, aber die Pandemie hat die Branche hart getroffen, was gerade potenzielle Lernende und ihre Eltern verunsichert. Zudem hatten Mitarbeitende, die in Kurzarbeit waren, Zeit, sich nach einer Lösung ausserhalb der Branche umzuschauen, und sind abgewandert. Deshalb auch der Jahresschwerpunkt von HotellerieSuisse, weil dies eine der grössten Herausforderungen für unsere Mitglieder darstellt. 

In welcher Form unterstützt der Verband seine Mitglieder?
Das im vergangenen Jahr neu herausgebrachte Coachingprogramm von HotellerieSuisse bietet eine konkrete Hilfestellung. Mit einem Coach lassen sich zum Beispiel neue Arbeitszeitmodelle, Employer-Branding-Massnahmen oder Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Betrieben erarbeiten. Ich rufe die Mitgliederbetriebe auf, diese kostenlose Chance zu nutzen und sich bei uns zu melden. Wir können nicht im vertrauten Fahrwasser bleiben, diese Rechnung wird nicht aufgehen. Ausgehend von unseren Regionalverbänden Association Romande des Hôteliers (ARH) und des Berner Oberlandes haben wir kürzlich auch begonnen, ein neues Fringe-Benefit-Programm für Mitarbeitende in der Hotellerie aufzugleisen. Dies zeigt, es gibt nicht DIE Lösung für die Fachkräfteproblematik, aber es gibt viele Mosaiksteine, die helfen und welche die Betriebe selber an die Hand nehmen können.

Zusammen mit dem Zürcher Hotelier Verein lanciert der Verband ein neues Quereinsteigerprojekt. Sind Quereinsteigerinnen die neuen motivierten Mitarbeitenden?
Durchaus, denn es gibt Arbeitnehmende in anderen Berufsfeldern, die von den Vorzügen unserer Branche wie Mehrsprachigkeit oder Umgang mit Menschen angetan sind. Das Quereinsteigerprojekt bietet hier Hand, um in einem Pilot in Zürich nun potenzielle Betriebe und Quereinsteigerinnen zu finden, die zusammen mit der EHL Group in Passugg einen gemeinsamen Einstieg ermöglichen.

Müssten die Löhne nicht angehoben werden?
Nach einer dreijährigen Grundbildung verdient man rund 4200 Franken. Als Einstiegslohn ist das ein gutes Salär. In einer Branche mit einer tiefen Marge sind dann vielleicht nicht die grossen Lohnschritte bis auf 10 000 Franken möglich, wie sie die Banken- oder die Pharmaindustrie kennt. Aber in Zukunft werden es sowieso die Arbeitnehmenden sein, welche die Löhne bestimmen. Der War for Talents wird die Löhne steigen lassen, der Markt wird einen höheren Ansatz von selbst diktieren.

Mitte Jahr sind Sie sechs Jahre im Amt. Ihr Vorgänger Christoph Juen blieb 16 Jahre. Bleiben Sie noch zehn Jahre?
Ich habe keine Abwanderungsgelüste, dafür aber grosse Lust, die Herausforderungen anzupacken. Es sind hochspannende Zeiten.

Was wünschen Sie sich fürs 2022?
Ich möchte am nächsten Silvester sagen können: Die Pandemie liegt hinter uns.